- Schweizer, Ulrich (Bonn). Vortrag: Selen und Co., hilfreich oder schädlich? Sitzung: Hormone und Co – von der Wissenschaft in die Praxis. Kongress der Deutschen Gesellschaft für Innere Medizin (DGIM) 2025, Wiesbaden,06.05.2025.
Selen ist für den Menschen ein essentielles Spurenelement. Es wird als Bestandteil der Aminosäure Selenocystein in zahlreiche Proteine eingebaut – insbesondere in Enzyme für antioxidative Prozesse und den Schilddrüsenstoffwechsel – und erfüllt somit wichtige Aufgaben. Zu den bekannten selenabhängigen Enzymen und Funktionen zählen etwa die
Diese selenabhängigen Mechanismen erfüllen wichtige Schutz- und Regulationsfunktionen im Körper. Allerdings können dieselben Schutzmechanismen unter bestimmten Bedingungen – etwa bei Tumorerkrankungen – auch nachteilig wirken. So verhindert das selenabhängige Enzym Glutathionperoxidase 4 (GPX4) den ferroptotischen Zelltod vieler Tumorzellen, eine Form des oxidativen, eisenabhängigen Zelltods.
In Mitteleuropa sind die Böden selenarm; die Ernährung liefert Selen hauptsächlich über tierische Produkte wie Fleisch, Fisch und Eier. Viele Menschen in Deutschland erreichen dennoch nicht die empfohlene Tageszufuhr von rund 60–70 µg. Es wird angenommen, dass in Deutschland eher 30–50 µg pro Tag eingenommen werden. Im Durchschnitt liegen die Selenwerte hierzulande deutlich unter denen in den USA, wo dank selenreicher Böden nahezu doppelt so hohe Mengen aufgenommen werden und der durchschnittliche Spiegel bei über 110 µg/L liegt.
Ein chronisch niedriger Selenstatus kann nachteilige Auswirkungen haben. In einer schwedischen Studie war die Überlebensrate von Brustkrebspatientinnen signifikant geringer, wenn ihr Selen-Spiegel zu den niedrigsten 20 % gehörte. Bemerkenswert ist, dass selbst ein sehr niedriger Selen-Spiegel bei Tumorerkrankungen mit ungünstigen Verläufen assoziiert ist – obwohl wie bereits erwähnt selenabhängige Enzyme wie GPX4 Tumorzellen vor dem Absterben bewahren und somit das Tumorwachstum begünstigen können.
Ebenso zeigte die deutsche ESTHER-Studie, dass bereits Selenwerte knapp unterhalb des empfohlenen Bereichs mit erhöhter Gesamtmortalität einhergingen. Der Zusammenhang war bei Männern stärker ausgeprägt.
Eine Verbesserung der Selenversorgung kann gesundheitliche Vorteile bringen. In einer placebokontrollierten Studie an älteren Menschen führte eine vierjährige Selen-Supplementation mit Selenhefe zu einem signifikanten Anstieg des Selenoprotein-P-Spiegels im Serum, während dieser Wert unter Placebo abnahm. Außerdem blieb die Telomerlänge in der Selen-Gruppe länger erhalten, und die Probanden berichteten über eine größere körperliche Fitness. Nach zwölf Jahren Follow-up war in der ursprünglich supplementierten Gruppe die kardiovaskuläre Sterblichkeit signifikant niedriger als in der Placebo-Gruppe.
Die aus Studien abgeleitete Vermutung, Selen könne das -Risiko erhöhen, wurde nicht bestätigt. Zwar wurden in manchen Arbeiten geringfügig höhere Diabetesraten unter Selen beobachtet, doch dieser Unterschied war statistisch nicht signifikant. Nach aktueller Datenlage besteht für normal versorgte Personen kein erhöhtes Diabetesrisiko durch eine moderate Selenzufuhr. Nur bei bereits hohem Ausgangs-Selenstatus (≈120 µg/L) könnten zusätzliche hohe Dosen problematisch sein – in Europa ein seltenes Szenario; zudem ist die Sicherheitsmarge groß, Aufnahmemengen bis etwa 255 µg/Tag gelten als unbedenklich.
Für den Praxisalltag bedeutet dies, dass auf eine ausreichende Selenversorgung geachtet werden sollte – insbesondere bei gefährdeten Gruppen wie älteren oder einseitig ernährten Patienten und bei nachgewiesenem Selenmangel. Eine moderate Supplementation (z. B. 50–100 µg pro Tag) ist in diesen Fällen als sicher einzustufen und kann potenziell gesundheitliche Vorteile bieten (etwa hinsichtlich der Mortalität). Bei Patienten mit aktiver sollte hingegen auf Selen-Präparate verzichtet werden, da ein hoher Selenstatus (ebenso wie andere Antioxidanzien, z. B. Coenzym Q10) Tumorzellen vor oxidativen Schäden und somit dem ferroptotischen Zelltod schützen kann.