Vom Verschwinden des Normalgewichtes unter jungen Menschen

Der durchschnittliche junge Erwachsene in den USA ist mittlerweile übergewichtig. Eine alarmierende Auswertung.

Der durchschnittliche junge Erwachsene in den USA ist mittlerweile übergewichtig. Eine alarmierende Auswertung.

Die steil ansteigenden Trends bezüglich des Übergewichtes bei Kindern und Erwachsenen ist uns schon lange bekannt. Doch eine aktuell im 'Journal of the American Medical Association' erschienene Auswertung der 'NHANES' (National Health and Nutrition Examination Survey) verdeutlicht eine Dimension des Problems, die die Wissenschaftler selbst erschreckte. In der Altersgruppe der 18- bis 25-Jährigen liegt der durchschnittliche BMI inzwischen im übergewichtigen Bereich: er stieg von 23,1 im Jahr 1976 auf 27,7 in 2018. Was das bedeutet, wird noch klarer, wenn man sich die Explosion der Adipositas-Prävalenzen im gleichen Kollektiv vor Augen führt. Jeder dritte junge Mensch in dieser Altersgruppe ist inzwischen adipös. Hier war ein Anstieg der Rate von 6,2% auf 32,7% zu verzeichnen.1,2

Das beginnende Erwachsenenalter könnte ein kritischer Zeitraum für die Prävention und Behandlung von Übergewicht sein, da Gewohnheiten, die sich in dieser Zeit herausbilden, oft ein Leben lang bestehen bleiben...

...betonen die Studienautoren der Johns Hopkins University, Baltimore, Maryland.3 Die 'NHANES' ist eine große, repräsentative Langzeitstudie in den USA, aus der wir schon mehrfach berichteten, unter anderem kam eine ebenfalls recht aktuelle Auswertung zu dem Schluss, dass Kinder und Jugendliche zwischen 2 und 19 Jahren inzwischen gut zwei Drittel ihrer täglichen Energiezufuhr mit Fertignahrungsmitteln decken.
Die Übergewichtsrate unter jungen Erwachsenen scheint höher als bei Kindern, aber im Detail lassen sich aktuell keine Direktvergleiche ziehen, weil dieselbe Analyse für Kinder noch nicht durchgeführt wurde.

Anteil der jungen Erwachsenen mit gesundem Gewicht annähernd halbiert

Beinahe noch schockierender als die Zunahme der Adipositas ist der Rückgang der Normalgewichtigen (von 68,7% auf 37,5%) und die Tatsache, dass die Diskussionen um diese Gesundheitskrise immer wieder die gleichen sind. Sollten uns diese Entwicklungen nicht zu einer grundlegenden Infragestellung unserer Ernährungsleitlinien und Lebensmittelindustrie veranlassen? 

1980 ist das Jahr, in dem die Ernährungspyramide eingeführt wurde. Seither erscheinen fünfjährlich "dietary guidelines". Diese Pauschalempfehlungen scheinen für die Mehrheit der Menschen stoffwechselphysiologisch offenbar fehlgeleitet. Die Übergewichtsepidemie in den USA nahm mit oder kurz nach Einführung der Ernährungsleitlinien richtig Fahrt auf. Ab 1980 sehen wir diesen explosiven Anstieg der Inzidenzen, der sich seither nur weiter verschlimmert hat.4 

Auch wenn die Liste weiterer beitragender Faktoren lang ist, kann es an erster Stelle nicht sein, dass große Teile der Lebensmittelindustrie weiter in diese Richtung fortschreiten, als gäbe es kein Morgen. Man denke exemplarisch an einen solchen politischen Schritt rückwärts wie die Abschaffung des Gesetzes, welches den Zusatz von Maissirup bis 2017 wenigstens auf 5% limitiert hatte. Dieser wirkt sich auf den Stoffwechsel noch fataler aus als Tafelzucker, aber ist kostengünstiger, weil geringere Mengen bereits als süß empfunden werden. Dieser billige Kniff zum Ersatz fehlenden Geschmacks führt nun ohne Deckelung auch zu einer regelrechten Zuckerschwemme in herzhaften Lebensmitteln, von Gewürzgurken über Saucen bis hin zu Brot. Und wie wir bereits hier aufzeigten, werden viele Menschen davon so abhängig, dass sie von Heißhungerattacken trotz gedecktem Energiebedarf und insbesondere vom Überkonsum ungesunder Lebensmittel kaum wieder loskommen. Ebenfalls aus Daten der 'NHANES' ging hervor, dass bereits vor der Abschaffung dieser Quotenregelung ein durchschnittlicher 13Jähriger innerhalb von zwei Jahren sein eigenes Körpergewicht an Zucker zu sich nahm, in sozial schlecht gestellten Familien mehr. Ein durchschnittliches Dreijähriges brauchte dafür nur 1 Jahr.5,6

Höchste Zeit für wirksame Änderungen

Der Global Burden of Disease Study (GBD) zufolge haben sich die weltweiten Todesfälle und DALYs (behinderungsbereinigte Lebensjahre), die auf einen hohen BMI zurückzuführen sind, zwischen 1990 und 2017 mehr als verdoppelt.7 Im Jahr 2017 waren die sechs führenden Ursachen für BMI-bedingte DALYs ischämische Herzkrankheiten, Schlaganfall, Diabetes mellitus, chronische Niereninsuffizienz, hypertensive Herzkrankheiten und Lumbalgien. 

Referenzen:
1. Ellison-Barnes, A., Johnson, S. & Gudzune, K. Trends in Obesity Prevalence Among Adults Aged 18 Through 25 Years, 1976-2018. JAMA 326, 2073–2074 (2021).
2. Kelsey Bennett. Trends in Obesity Prevalence Among Adults Aged 18 Through 25 Years, 1976-2018 | Medicine Matters. https://medicine-matters.blogs.hopkinsmedicine.org/2021/11/trends-in-obesity-prevalence-among-adults-aged-18-through-25-years-1976-2018/ (2021).
3. U.S. obesity rates soar in early adulthood. https://www.mdedge.com/endocrinology/article/249157/obesity/us-obesity-rates-soar-early-adulthood.
4. Was können wir tun, um die MS-Inzidenz zu senken? https://www.esanum.de/blogs/neurologie-blog/feeds/today/posts/was-koennen-wir-tun-um-die-ms-inzidenz-zu-senken.
5. Daily added sugar intake by age groups. https://ichef.bbci.co.uk/news/624/cpsprodpb/40ED/production/_88812661_2010623_daily_added_sugar_v4.gif.
6. Diabetes Typ 2: Ist es nie zu spät, umzukehren? https://www.esanum.de/blogs/diabetes-blog/feeds/today/posts/diabetes-typ-2-ist-es-nie-zu-spaet-umzukehren.
7. Dai, H. et al. The global burden of disease attributable to high body mass index in 195 countries and territories, 1990-2017: An analysis of the Global Burden of Disease Study. PLoS Med 17, e1003198 (2020).