Wo Medizin auf Wirtschaft stößt, geht es oft schief

Medizin trifft Wirtschaft: Eine gefährliche Liaison, die Berufsaussteiger und Versorgungslücken schafft. Wohin führt der ökonomische Druck im Gesundheitswesen? Eine neue Kolumnen-Folge mit Dr. Enger.

Ökonomischer Druck im Gesundheitswesen: Auswirkungen auf Ärzte und Patienten

Viele Kollegen bereiten sich derzeit auf den Ruhestand oder auf den Umstieg in einen anderen Beruf vor. Die Umfrage zu meiner ersten esanum-Kolumne vom 7.7. 2025 bestätigt genau das: 31 % derer, die sich geäußert haben,  wollen hinschmeißen bzw. bald aussteigen. Sehr bewegt hat mich der Kommentar eines Kollegen: “Ich weiß sehr sicher, dass ich NICHT über den 67. Geburtstag hinaus in diesem Hamsterrad weiterlaufen werde…Was bleibt, ist Ermüdung ... wir hatten dieses Szenario bereits vor Jahren den GKVen sowie der Politik ausgemalt. Mir drängt sich der Verdacht auf, dass die Gegenseite sehr wohl einen Plan verfolgt: Irgendwann bricht die Versorgung zusammen, dann kann der Staat endlich als Heilsbringer die staatlichen MVZ installieren und das Gesundheitswesen so kontrollieren wie er es ohnehin schon versucht!” Das klingt vielleicht, wenn man so will, ein bisschen nach Verschwörungstheorie, aber ich habe auch den Eindruck, dass bestimmten Kreisen das alte DDR-System mit Schwester Agnes und den Polikliniken als Lösung vorschwebt. Man bekommt durchaus das Gefühl, dass der freie Arztberuf von manchen Akteuren nicht mehr gewollt ist. Ich habe noch den Spruch der einstigen Gesundheitsministerin Ulla Schmidt im Hinterkopf: Es müsse Schluss sein mit “der Ideologie der Freiberuflichkeit”. Natürlich geht es da um staatliche Kontrolle – bei Freiberuflern eher schwierig. 

Warum die Arbeitsverdichtung im Medizinsektor Frustration und Resignation auslöst

Ich bin als Niedergelassene, als Freiberuflerin meinen Patienten verpflichtet und nicht der Politik. Ich bin auch dem Gemeinwohl verpflichtet – muss also abwägen, was ich dem Einzelnen zugutekommen lasse und ob die Allgemeinheit das tragen kann. Das ist eine große Frage: Was bekommt der Patient noch? Dennoch bin ich eher dem Patienten verpflichtet als allen anderen. Das gilt für den Klinikarzt im Prinzip natürlich ganz genauso. Aber ich erzähle dazu gern ein Beispiel aus der letzten Zeit: Ich hatte einen Patienten mit dem dringenden Verdacht auf ein Leberzellkarzinom. Für ihn wollte ich telefonisch in einer Universitätsklinik ein Bett besorgen zur zügigen Abklärung. Der Assistent rief mich nach zehn Minuten zurück und sagte: Das Bettenmanagement bietet ein Bett in vier Monaten an. Ich habe gefragt ,ob ich den Patienten lieber zum Notar schicken soll, um sein Testament zu machen, denn es war klar, dass der Betreffende das nicht überleben würde. Ich habe darauf hingewiesen, dass auch der junge Arzt der Uniklinik dem Patienten verpflichtet sei, aber der fragte, ob ich nicht selbst das Bettenmanagement anrufen könne. In anderen Worten, diese Verpflichtung gerät unter dem Druck zur Wirtschaftlichkeit in Vergessenheit – gerade bei unseren jungen Kollegen. Ich erwarte, dass die Notwendigkeit der Medizin immer den wirtschaftlichen Faktor schlägt – insbesondere bei einer Universitätsklinik. In dem Fall habe ich damals ein anderes Krankenhaus für den Patienten gesucht – und er lebt heute noch. Durch den medizinischen Fortschritt haben wir heute wesentlich mehr Möglichkeiten. Aber zugleich kommt etwas ins Rutschen bei der Frage: Wie gehe ich mit Medizin und Patienten um? Das sehen wir auch an dem Frust, den die Kollegen in ihren Kommentaren mitteilen, denn dahinter steckt: Ich kann das, was ich mal gelernt habe, unter den Umständen nicht gescheit umsetzen.

So interpretiere ich auch den Kommentar einer Kollegin aus einem MVZ: “Die Arbeitsverdichtung hat enorm zugenommen, sodass in einer Tour jüngere Ärzte kündigen und die Fluktuation daher hoch ist... wenn ich daran denke, älter und damit nicht belastbarer zu werden, bekomme ich existentielle Angst. Ich habe mich auf die letzten und schwersten Jahre meines Arbeitslebens eingestellt. Trotz allem mag ich meinen Beruf.” Auch bei den MVZ steht ja der wirtschaftliche Faktor immer mehr im Vordergrund. Viele müssen, wenn sie zu bestimmten Ketten gehören, 8 bis 9 Prozent Gewinn bringen. Das funktioniert nur über Arbeitsverdichtung, sodass man sich die leichteren Patienten aussucht und diejenigen, die einen höheren Aufwand brauchen, versucht man weiter zu schicken. Mein Eindruck ist: Wo Medizin mit Wirtschaft gepaart wird, geht es immer schief – für die Patienten und für die Mediziner, die so arbeiten müssen.

Die Rolle von Politik und Krankenkassen: Prävention und wirtschaftliche Interessen

In Kliniken geht es um Statistik. Sie müssen eine bestimmte Anzahl von bestimmten Operationen abliefern. Und wenn beispielsweise eine Klinik höhere Komplikationsrate hat als andere, weil sie eben auch „kompliziertere” Patienten behandelt, ist das ein KO-Kriterium. Auch das verführt dazu, sich die leichteren Fälle auszusuchen. Patienten mit Herzinsuffizienz oder Komplikationen versucht man, aus dem eigenen Krankenhaus rauszuhalten. Wer es am meisten braucht, bekommt am schwersten ein Bett.

Ich will nicht zu schwarz malen, aber es gibt einen Trend, der in die falsche Richtung geht. Allerdings klingt auch dieser Kollegen-Kommentar ziemlich düster: “Schöne Aussichten, aber darin sehe ich die langfristigen Ziele der Politik und der Pharmaindustrie. Da kommt noch Schönes auf uns zu. Viel verschreiben, wenig Prävention, die Ursachen am besten nicht suchen und schön die Pflichten ohne Kritik erledigen.” Wer 25 Jahre die Entwicklung in der Medizin erlebt, kann zu diesem Eindruck kommen. Einerseits stellen die Krankenkassen natürlich Mittel für Prävention zur Verfügung. Dazu sind sie verpflichtet. Aber wir schauen nicht genug darauf: Wo bringt Prävention wirklich etwas? Impfen, ja, das funktioniert, wir dezimieren bestimmte Erkrankungen oder rotten sie sogar aus. Aber wie ist es denn mit der Prävention bei Adipositas? Da braucht es viel Beratung und der Output ist manchmal schlecht, weil sich der Patient vielleicht in die Schulung setzt, aber an der Umsetzung im Alltag scheitert.

Berufspolitisches Engagement im Gesundheitswesen: Notwendigkeit für nachhaltige Reformen

Trotz all der aktuellen Kritik sagen in der Umfrage von esanum nur 5 % der Kollegen, sie engagieren sich berufspolitisch für Veränderungen. Warum ist das so? Naja, wer Medizin studiert, gehört meist zu den Braven, und wer brav ist, kommt in der Regel glatter durch. Um die Jahrtausendwende gab es mal eine ziemlich große Protestwelle von Ärzten. Und die Politik hat es gut verstanden, die Leute auseinander zu dividieren. Hausärzte gegen Fachärzte, Allgemeinmediziner gegen Internisten. Mal bekamen die einen ein Zuckerli, mal die anderen. Viele haben dann resigniert.

Ich glaube allerdings, dass man für Veränderungen einen längeren Atem braucht. Denn auch, wenn vielleicht alles an die Wand fährt, braucht man einen Plan B für den Wiederaufbau. Also berufspolitisch engagierte Menschen, die sich Gedanken machen, wie es besser gehen kann. Deswegen bin ich Vorsitzende der Interessengemeinschaft Medizin. Wir wollen nicht nur die Ärzte in Aktion bringen, sondern auch Apotheker, Zahnärzte, medizinische Therapeuten. Denn sie alle leiden im Moment unter ähnlichen Problemen. Unsere Gemeinschaft () ist klein, aber wir sind bundesweit aufgestellt. Ein ganz aktuelles Ärgernis ist die ePA, die nicht funktioniert, die den Patienten völlig egal ist, die dennoch mit Milliarden durchgesetzt wird. Aber das ist ein brisantes Thema für die nächste Kolumne.