Die Tigermücke ist da: Chikungunya als Europas neue Rheuma-Mimikry

Mit der Ausbreitung der Tigermücke steigt auch hierzulande das Chikungunya-Risiko. Was nach Ausbrüchen in Italien und behördlichen Reisewarnungen bisher als Reisekrankheit galt, entwickelt sich zur regionalen Bedrohung.

Chikungunya: Von der Tropenerkrankung zur europäischen Herausforderung

Lange Zeit als reine Tropenkrankheit abgetan, hat sich das Chikungunya-Fieber durch die Globalisierung und den zu einer wachsenden Bedrohung auch für Europa entwickelt. Die durch Stechmücken übertragene Viruserkrankung ist nicht nur für ihre akute, fieberhafte Symptomatik bekannt, sondern vor allem für die potenziell monate- bis jahrelang anhaltenden, invalidisierenden Gelenkschmerzen.1 Für Ärzte in Klinik und Praxis wird es zunehmend wichtiger, dieses Krankheitsbild differenzialdiagnostisch zu berücksichtigen und die Langzeitfolgen zu managen.

Was ist das Chikungunya-Virus (CHIKV)?

Das Chikungunya-Virus ist ein RNA-Virus aus der Familie der Togaviridae, Genus Alphavirus. Der Name stammt aus der Makonde-Sprache Tansanias und bedeutet so viel wie "der gekrümmt Gehende", was die charakteristische Schonhaltung der Patienten aufgrund der extremen Gelenkschmerzen beschreibt.

Die Übertragung erfolgt primär durch den Stich von infizierten Stechmücken der Gattung Aedes, insbesondere durch die Gelbfiebermücke (Aedes aegypti) und die Asiatische Tigermücke (Aedes albopictus). Letztere hat sich bereits in weiten Teilen Südeuropas und auch in einigen Regionen Deutschlands etabliert, was das Risiko für eine autochthone (lokale) Übertragung deutlich erhöht.

Epidemiologie: Situation in Europa und die offizielle Warnung des Auswärtigen Amtes

Ursprünglich in Afrika und Asien beheimatet, hat das CHIKV seit 2004 eine massive globale Expansion erlebt. Ein großer Ausbruch im Indischen Ozean (2005-2006) mit über 1,5 Millionen Fällen zeigte das epidemische Potenzial. Der Wendepunkt für die westliche Hemisphäre war der Ausbruch in der Karibik Ende 2013: von da aus breitete sich das Virus rasant über Nord-, Mittel- und Südamerika aus und Millionen von Menschen infizierten sich.

Die meisten Chikungunya-Fälle in Europa bleiben reiseassoziiert. In Deutschland werden dem Robert Koch-Institut (RKI) jährlich Fälle im meist hohen zweistelligen bis niedrigen dreistelligen Bereich gemeldet.

Das eigentliche Risiko liegt jedoch in der Möglichkeit der lokalen Übertragung: die Asiatische Tigermücke (Aedes albopictus) ist mittlerweile in weiten Teilen Süd- und zunehmend auch Mitteleuropas, inklusive Deutschland, etabliert.  

Aktuelle Relevanz und offizielle Warnungen

Das deutsche Auswärtige Amt in seinen offiziellen Reise- und Sicherheitshinweisen warnt Italien-Urlauber insbesondere in den Regionen Emilia-Romagna (Bologna, Rimini, Parma) und Venetien (Venedig, Verona) vor Tigermücken. Die Reisenden werden dringend zum sorgfältigen Mückenschutz geraten.

Diese offizielle Warnung ist ein klares Indiz dafür, dass die Übertragungsbedingungen für Arboviren in beliebten europäischen Urlaubsregionen optimal sind und unterstreicht die Notwendigkeit einer erhöhten Wachsamkeit in der reisemedizinischen Beratung und bei der Differenzialdiagnostik fieberhafter Erkrankungen.

Klinisches Bild und Diagnostik

Nach einer Inkubationszeit von 3 bis 7 Tagen (Range 1-12 Tage) beginnt die Erkrankung meist abrupt. 

Die akute Phase dauert ca. 7-10 Tage :

Weitere Symptome: Myalgien, Kopfschmerzen (oft retroorbital), Übelkeit und Lymphadenopathie.

Chronische Phase:

Das klinisch relevanteste Merkmal des Chikungunya-Fiebers ist die Persistenz der Gelenkschmerzen. Bei 30-60 % der Patienten halten die arthralgischen Beschwerden über Monate oder sogar Jahre an und können zu einer signifikanten Morbidität und Einschränkung der Lebensqualität führen. Dies kann eine rheumatoide Arthritis imitieren.2

Diagnostik von Chikungunya-Fieber:

Therapie und Management

Eine spezifische antivirale Therapie existiert nicht. Die Behandlung erfolgt rein symptomatisch. Flüssigkeitszufuhr und fiebersenkende Mittel: Paracetamol ist Mittel der ersten Wahl.

Schmerztherapie:

Prävention und Meldepflicht

Die Prävention basiert primär auf dem Schutz vor Mückenstichen (Expositionsprophylaxe) in Endemiegebieten. Dazu gehören Repellents (DEET, Icaridin), helle, lange Kleidung und Moskitonetze. Die Vektorkontrolle bleibt eine zentrale Public-Health-Maßnahme.

Ein Meilenstein in der Prävention wurde kürzlich erreicht: Der Lebendimpfstoff IXCHIQ® (von Valneva) wurde Ende 2023 von der US-amerikanischen FDA zugelassen. Am 31. Mai 2024 hat auch der Ausschuss für Humanarzneimittel (CHMP) der Europäischen Arzneimittel-Agentur (EMA) die Zulassung für die EU empfohlen. Die formelle Zulassung durch die Europäische Kommission, die meist der Empfehlung folgt, wird in Kürze erwartet. Dies wird der erste für Erwachsene sein.

In Deutschland ist der direkte oder indirekte Nachweis des Chikungunya-Virus nach § 7 Abs. 1 Infektionsschutzgesetz (IfSG) meldepflichtig.

Fazit für die Praxis

Das Chikungunya-Fieber ist mehr als nur eine Reisekrankheit. Aufgrund der etablierten Vektorpopulation in Europa ist das Potenzial für lokale Ausbrüche real. Für den Kliniker bedeutet dies: Bei Patienten mit akuter febriler Polyarthralgie nach einer Reise in (sub-)tropische Regionen muss Chikungunya differenzialdiagnostisch stets in Erwägung gezogen werden. Die größte Herausforderung liegt im Management der oft langwierigen und belastenden chronischen Gelenkbeschwerden, die eine interdisziplinäre Betreuung erfordern können. Die korrekte Diagnose und die Beachtung der Meldepflicht sind entscheidend, um die Gefahr einer Weiterverbreitung frühzeitig zu erkennen.

Quellen:
  1.  
  2. 2 Riemersma, M., & van der Goot, T. (2017). A new artritis epidemic? Chikungunya and its rheumatic complications. Netherlands The Journal of Medicine, 75(6), 228-233.