Genetische Resilienzfaktoren bei Alzheimer-Demenz: Mechanismen und therapeutische Implikationen

Schützende Genvarianten wie APOE3 Christchurch können den Ausbruch von Alzheimer verzögern. Was bedeutet das für die klinische Praxis?

Genetische Varianten, die das Gehirn bei Alzheimer schützen

Genetische Resilienz gegenüber Alzheimer bezieht sich auf genetische Varianten, die selbst bei Vorliegen genetischer oder umweltbedingter Risikofaktoren vor dem Ausbruch der Krankheit schützen oder diesen verzögern können. Diese Varianten wirken als „natürliche Verbündete” des Gehirns und verbessern die Schutzmechanismen und die neuronale Reparatur.

Während sich die meisten Forschungsarbeiten auf genetische Risikofaktoren konzentriert haben, haben jüngste Erkenntnisse die Aufmerksamkeit auf schützende Varianten gelenkt, die Resilienz gegenüber der verleihen. Unter ihnen gewinnt APOE3 Christchurch (APOE3Ch, R136S) aufgrund seines Zusammenhangs mit einem verzögerten Auftreten der Symptome an Bedeutung, selbst bei Personen, die deterministische PSEN1-Mutationen tragen. Die APOE3-Christchurch-Variante hat ihren Namen von der Stadt Christchurch in Neuseeland, wo sie erstmals entdeckt wurde.

Die aktuelle Studie von Quiroz et al. (DOI:) untersuchte 1077 Träger der PSEN1-E280A-Mutation in einer kolumbianischen Familie. Heterozygoten für APOE3Ch (n = 27) entwickelten im Medianalter von 52 Jahren eine leichte kognitive Beeinträchtigung, verglichen mit 47 Jahren bei Nicht-Trägern, was trotz identischem PSEN1-Hintergrund einer Verzögerung von 5 Jahren entspricht.

Wie die APOE3Ch-Variante wirkt

Die APOE3Ch-Variante scheint mehrere Aspekte der AD-Pathologie zu verändern:

Der Leitartikel von Hardy (DOI:) postuliert, dass APOE3Ch die Rezeptorbindung an Heparansulfat-Proteoglykane (HSPGs) stört und dadurch die intrazelluläre Aufnahme von Tau- und Amyloid-Aggregaten verändert. Dieser Mechanismus könnte einen Wendepunkt in den Strategien zur Arzneimittelentwicklung darstellen, weg von der Plaque-Clearance hin zur Blockierung der pathologischen Ausbreitung.

Klinische Implikationen: von Biomarkern zur Prävention

Diese Erkenntnisse eröffnen mehrere klinisch relevante Überlegungen. In Familien, die von autosomal-dominanter Alzheimer-Krankheit betroffen sind, insbesondere solchen mit hoch penetranten Mutationen wie PSEN1, könnte es sinnvoll sein, das APOE3-Christchurch-Screening in die genetische Untersuchung einzubeziehen. Das Wissen darüber, ob ein Patient diese Variante trägt, könnte die Prognose verfeinern und dabei helfen, die psychologische Beratung individuell anzupassen, insbesondere in Fällen, in denen das erwartete Erkrankungsalter einen starken Einfluss auf die Lebensplanung hat.

Darüber hinaus könnte das Vorhandensein schützender Allele dazu beitragen, atypische Verläufe zu erklären, die in einigen sporadischen AD-Fällen beobachtet werden. Die Integration dieser Varianten in polygene Risiko-Scores könnte deren Vorhersagegenauigkeit verbessern – insbesondere bei Personen mit frühzeitig auftretenden Symptomen oder unklaren diagnostischen Befunden – und Ärzten eine differenziertere Risikostratifizierung ermöglichen.

Schließlich wird bereits die Möglichkeit untersucht, die schützende Wirkung von APOE3Ch pharmakologisch nachzuahmen. Mehrere Therapiestudien untersuchen Wirkstoffe zur Modulation der APOE-Rezeptorbindung, zur Störung der Tau-Internalisierung oder zur Beeinflussung von Gliazellenreaktionen. Diese Strategien könnten letztendlich den bei APOE3Ch-Trägern beobachteten biologischen Vorteil in praktikable Interventionen für die breitere Bevölkerung umsetzen.

Die ersten Ergebnisse der INVOKE-2-Studie (AL002, ein TREM2-Agonisten-Antikörper) konnten trotz pharmakodynamischer Zielbindung keinen klinischen Nutzen nachweisen, was die Komplexität der Umsetzung der Mikrogliaaktivierung in funktionelle Ergebnisse unterstreicht. Neuere Ansätze wie VG-3927, ein oraler TREM2-Agonist, der sich derzeit in Phase I befindet, könnten jedoch eine besser skalierbare Strategie bieten. Diese Studien unterstreichen die Notwendigkeit, auf frühe Krankheitsstadien abzuzielen, Patienten anhand geeigneter Biomarker (z.B. sTREM2, APOE-Genotyp) auszuwählen und Kombinationsschemata zu untersuchen.

Aufkommendes Ziel: NDP52-verstärkte Autophagie

Eine kürzlich in Cell Death & Disease (2025) veröffentlichte italienisch-französische Studie identifizierte eine schützende Variante im NDP52-Gen (rs550510, G140E), die an der neuronalen Autophagie beteiligt ist. Unter 1.400 Probanden, darunter 434 mit Alzheimer, zeigten Träger dieser Variante eine verringerte Tau-Akkumulation und eine langsamere Neurodegeneration. Der Effekt wurde in vitro und in vivo (Drosophila-Modell) bestätigt, was auf einen eindeutigen Mechanismus der Resilienz durch verstärkte Clearance toxischer Proteine hindeutet. Diese Ergebnisse führen eine dritte Schutzachse ein – die Autophagie –, die die APOE-vermittelte Lipidsignalisierung und die TREM2-gesteuerten Gliazellenreaktionen ergänzt. NDP52 könnte ein neues therapeutisches Ziel für die Stärkung der endogenen neuronalen Abwehrkräfte darstellen.

Ein Perspektivwechsel in der Behandlung der Alzheimer-Krankheit

Der Nachweis, dass APOE3Ch-Heterozygotie den kognitiven Verfall bei autosomal-dominanter AD verzögert, bestätigt, dass Resilienz nicht nur anekdotisch, sondern genetisch kodiert ist. Zusammen mit neuen Erkenntnissen zu TREM2 und NDP52 unterstreichen diese Ergebnisse die Notwendigkeit, über die Anhäufung von Pathologien hinauszuschauen und die Reaktion des Gehirns darauf zu modulieren.

Kliniker sollten kommende translationale Studien, die sich mit diesen Signalwegen befassen, aufmerksam verfolgen, da sie präventive Interventionen nicht nur für genetisch definierte Untergruppen, sondern für die breitere AD-Population bieten könnten.

Quellen:
  1. Quiroz YT, Aguillon D, Aguirre-Acevedo DC, Vasquez D, Zuluaga Y, Baena AY, Madrigal L, Hincapié L, Sanchez JS, Langella S, Posada-Duque R, Littau JL, Villalba-Moreno ND, Vila-Castelar C, Ramirez Gomez L, Garcia G, Kaplan E, Rassi Vargas S, Ossa JA, Valderrama-Carmona P, Perez-Corredor P, Krasemann S, Glatzel M, Kosik KS, Johnson K, Sperling RA, Reiman EM, Sepulveda-Falla D, Lopera F, Arboleda-Velasquez JF. APOE3 Christchurch Heterozygosity and Autosomal Dominant Alzheimer's Disease. N Engl J Med. 2024 Jun 20;390(23):2156-2164.
  2. Hardy J. Protection against Alzheimer's Disease with APOE Christchurch Variant - How? N Engl J Med. 2024 Jun 20;390(23):2212-2213.
  3. Marino C, Malotaux V, Giudicessi A, Aguillon D, Sepulveda-Falla D, Lopera F, Quiroz YT. Protective genetic variants against Alzheimer's disease. Lancet Neurol. 2025 Jun;24(6):524-534.
  4. Mattioni A, Carsetti C, Bruqi K, Caputo V, Cianfanelli V, Bacalini MG, Casa M, Gabelli C, Giardina E, Cestra G, Strappazzon F. A variant of the autophagic receptor NDP52 counteracts phospho-TAU accumulation and emerges as a protective factor for Alzheimer's disease. Cell Death Dis. 2025 Apr 15;16(1):300.
  5. Alector Inc. (2024). A phase 2 study of AL002 in participants with early Alzheimer’s disease (INVOKE-2). ClinicalTrials.gov Identifier: NCT04592874.
  6. Vigil Neuroscience. (2025). A phase 1 study of VG-3927 in healthy volunteers. ClinicalTrials.gov Identifier: NCT05743356.