Kontroverse um BMJ-Leitlinie: Sind interventionelle Verfahren bei chronischen Rückenschmerzen unwirksam?

34 Fachgesellschaften fordern die Rücknahme einer BMJ-Leitlinie, die interventionelle Verfahren bei chronischen Rückenschmerzen ablehnt. Was bedeutet diese Kontroverse für die tägliche Praxis?

Die neue BMJ-Leitlinie

Die im Rahmen des "Rapid Recommendations"-Programms des BMJ veröffentlichte Leitlinie basiert auf einer Metaanalyse von 132 Studien (davon 81 mit Daten für die Metaanalyse). Die Autoren kamen zu dem Schluss, dass "kein üblicherweise durchgeführtes interventionelles Verfahren überzeugende Belege für eine bedeutsame Schmerzlinderung oder Verbesserung der körperlichen Funktionalität liefert". Vielmehr zeige die Evidenz mit "mittlerer Sicherheit wenig bis keine Wirkung".

Die Leitlinien-Autoren empfehlen daher, dass "alle oder fast alle informierten Patienten" interventionelle Verfahren bei chronischen Rückenschmerzen vermeiden sollten, da die verfügbare Evidenz nahelege, dass diese Verfahren im Vergleich zu Scheinverfahren kaum Vorteile bei der Schmerzlinderung bieten, dabei belastend sein können und möglicherweise zu unerwünschten Nebenwirkungen führen.

Bemerkenswert ist auch die Anmerkung der Autoren, dass "die erhebliche Vergütung im Zusammenhang mit diesen Verfahren einen falschen Anreiz darstellen könnte".

Kritik von Fachgesellschaften

Die Reaktion ließ nicht lange auf sich warten: 34 internationale Fachgesellschaften unter Führung der International Pain and Spine Intervention Society forderten das BMJ auf, die Leitlinie zurückzuziehen. Ihre Hauptkritikpunkte:

Die Kritiker räumen ein, dass interventionelle Verfahren "nicht universell wirksam" sind, argumentieren jedoch, dass sie bei "entsprechend ausgewählten Patienten" durchaus hilfreich sein können.

Antwort der Autoren

Die Autoren der Leitlinie haben ihre Arbeit verteidigt und bestreiten, Studien über nicht mehr gebräuchliche Verfahren eingeschlossen oder relevante Studien ausgeschlossen zu haben. Sie verteidigen auch ihre Methode der Datenzusammenführung mit dem Hinweis, dass Subgruppenanalysen "keine Hinweise auf systematische Unterschiede in den Behandlungseffekten" für verschiedene Wirbelsäulenregionen, Verfahrensansätze oder Erkrankungen ergeben hätten.

In einer Antwort auf die Kritik fordern sie Kliniker, die glauben, dass sie Patienten mit chronischen Rückenschmerzen identifizieren können, die von interventionellen Verfahren profitieren würden, auf, "hochwertige placebokontrollierte Studien durchzuführen, um Beweise zu liefern".

Vergleich mit deutschen Leitlinien

Die deutsche Nationale Versorgungsleitlinie "Nicht-spezifischer Kreuzschmerz" von 2017 (aktuell in Überarbeitung) zeigt bereits eine zurückhaltende Position gegenüber vielen interventionellen Verfahren. Allerdings werden bestimmte gezielte Injektionen wie Facettengelenksinfiltrationen unter bestimmten Umständen und nach sorgfältiger Diagnostik nicht grundsätzlich ausgeschlossen.

Praktische Implikationen

Die BMJ-Leitlinie und die darauf folgende Kontroverse können ein Anlass sein, die eigene Behandlungspraxis bei chronischen Rückenschmerzen kritisch zu reflektieren. Bei der Entscheidung für oder gegen interventionelle Verfahren ist ein abwägendes Vorgehen unter Berücksichtigung der individuellen Patientensituation, aktueller Evidenz und nationaler Leitlinien zu empfehlen.

Die Kontroverse unterstreicht die Bedeutung einer präzisen Diagnostik und sorgfältigen Patientenselektion vor Anwendung interventioneller Verfahren.

Bei der Aufklärung sollte der möglicherweise begrenzte Nutzen interventioneller Verfahren thematisiert werden, ohne Patienten, die von diesen Maßnahmen profitieren könnten, diese vorzuenthalten. Die Einbettung interventioneller Verfahren in multimodale Konzepte mit Bewegungstherapie, Schmerzedukation und gegebenenfalls psychologischer Betreuung bleibt essenziell. Die Indikationsstellung sollte stets kritisch und evidenzbasiert erfolgen.

Es bleibt abzuwarten, inwieweit sich diese Kontroverse auf zukünftige Leitlinien, die Kostenerstattung durch die Krankenkassen und letztlich die Versorgungsrealität in den Praxen auswirken wird. Für die aktuelle Praxis ist ein besonnener Umgang mit interventionellen Verfahren zu empfehlen.

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