Psychosomatischer Schwindel: Zwischen körperlichem Signal und innerer Erfahrung

In der Allgemeinmedizin stellt Schwindel das häufigste Leitsymptome dar. Die Chronifizierung somatoformer Schwindelerkrankungen geht für die Betroffenen mit einem hohen Leidensdruck einher.

Schwindel ist keine Seltenheit und kann chronifizieren

In der Allgemeinmedizin leiden fast 50 % der Patienten unter Schwindel. Doch Schwindel ist nicht gleich , es wird zwischen organischen und somatoformen Syndromen unterschieden. Die unterschiedlichen - oft zum Teil komplexen Schwindelerkrankungen - bedürfen diverser Therapiemethoden. Psychische Faktoren dürfen bei der Behandlung nicht außer Acht gelassen werden, denn sie können bei der Entstehung und Aufrechterhaltung eines sonst organisch bedingten Schwindels grundlegend beteiligt sein.1-4 Seit dem Paradigmenwechsel in der Beurteilung psychosomatischer Störungen in der Hals-Nasen-Ohren-Heilkunde ab der Mitte des 20. Jahrhunderts floss nun auch die psychische Komponente in die Therapie von Schwindel-Patienten mit ein. Im klinischen Alltag ist es weiterhin wichtig nicht nur organische, sondern auch somatoforme Schwindelerkrankungen rechtzeitig zu erkennen.3

Das Halten des Gleichgewichts ist keine Selbstverständlichkeit

Hirnleistungen, wie das Gleichgewicht zu halten, nehmen wir im Alltag oft als Selbstverständlichkeit wahr – doch diese Fähigkeit ist keineswegs selbstverständlich. Sobald unsere Welt ins Schwanken kommt, wird unsere sichere Verankerung so auf die Probe gestellt. Dies kann körperliche, jedoch auch psychische Gründe haben. Diese beiden Erlebnisdimensionen können zusammen den „psychosomatischen“ Schwindel begründen.1

Aus organisch wird psychosomatisch

Eine vestibuläre Krise kann den Betroffenen das Gefühl eines Kontrollverlustes vermitteln. Als Folge kann aus einer primär organischen Erkrankung ein Krankheitsbild mit psychosomatischer Komponente entstehen. Ein sich so entwickelnder chronifizierter Schwindel lässt sich nicht mehr nur durch den organischen Anteil der Schwindelerkrankung erklären.5

Interdisziplinäre Zusammenarbeit ausschlaggebend bei der Behandlung von Schwindelerkrankungen

Nach einer Schwindelattacke aufgrund einer peripheren vestibulären Störung kann sich - in 30 % der Fälle - ein primärer oder sekundärer somatoformer Schwindel entwickeln. Mit diesen Schwindelformen stellt sich dann fast die Hälfte der Patienten in spezialisierten Schwindelkliniken vor. Es gibt essentielle Wechselwirkungen zwischen neuroanatomischen, neurophysiologischen sowie psychologischen Pathomechanismen der Schwindelerkrankung. Für die Behandlung all dieser Schwindelkomponenten sind umfassende therapeutische Prinzipien und interdisziplinäre Zusammenarbeit notwendig.1-4

Die Rolle der Psychosomatik bei der Behandlung des Schwindels

Die Psychosomatik hat in den letzten Jahrzehnten eine rasante Entwicklung durchlaufen. Entscheidende Fragen zum Zusammenhang zwischen psychischen Konflikten und körperlichen Erkrankungen an der Schnittstelle von Körper, Psyche und Gesellschaft haben seit der neue Bedeutung erlangt. Auch im Bereich der HNO trifft man immer wieder Patienten psychosomatischen Beschwerden im klinischen Alltag an. Bei den betroffenen Patienten sind oft keine eindeutigen organischen Ursachen auffindbar.1-4

Psychosomatischer Schwindel in der HNO

Mit der Zunahme biopsychosozialer Erkrankungen in allen Fachgebieten – so auch in der HNO – wächst der Bedarf an psychosomatischen Behandlungsmethoden. Dieser Prozess stößt jedoch gleich auf mehreren Ebenen auf Widerstände, die zunächst analysiert und anschließend gelöst werden müssen, um eine optimale Patientenversorgung gewährleisten zu können. Ein prominentes Beispiel hierfür ist der psychosomatische Schwindel.1-4

Was versteht man unter einem psychosomatischen Schwindel?

Hierzu zählen Phänomene, die aus pathophysiologischer Sicht eine organische Ursache des Schwindels besitzen und durch psychische Faktoren beeinflusst werden hinsichtlich:

Die psychischen Faktoren sind auch für den weiteren Verlauf nicht unerheblich. So kann sich bei einer primär organischen Schwindelerkrankung eine reaktive psychogene Schwindelkomponente entwickeln, die in einer partiellen und sogar kompletten Berufsunfähigkeit resultieren kann.1-4

Fazit für die Praxis

Quellen:
  1. Dieterich M. et al. (2004). Neurologische und somatoforme Schwindelsyndrome.Nervenarzt 75, 281–302 (2004). 
  2. Mazurek B. et al. (2025). Psychosomatics in ENT. HNO (2025). 
  3. Marek A. Psychosomatische Aspekte in der HNO-Heilkunde – historische Meilensteine [Psychosomatic aspects in otorhinolaryngology-historical milestones]. HNO. 2023 Oct;71(10):622-631. German. 
  4. Eckhardt-Henn A. et al. (2009). Somatoforme Schwindelsyndrome [Somatoform vertigo syndrome]. Nervenarzt. 2009 Aug;80(8):909-17. 
  5. Bronstein AM. et al. (2017). Schwindel: Praktischer Leitfaden zur Diagnose und Therapie. Mit 60 Videos. Stuttgart: Schattauer; 2017. p. 255