Stille Nacht, harte Schicht: Burnout-Risiko in der Weihnachtszeit

Die Weihnachtszeit bedeutet für viele im Gesundheitswesen: mehr Arbeit, weniger Personal, größere emotionale Belastung. Weihnachten ist für Kliniker oft keine Erholungspause – sondern ein Brandbeschleuniger für Burnout & Co.

Das Feiertagsparadox: Wenn der Stress seinen Höhepunkt erreicht

Jedes Jahr passiert im Dezember das gleiche: Während in ganz Europa die meisten Menschen zur Ruhe kommen, drehen Krankenhäuser erst richtig auf. Die Notaufnahmen füllen sich mit und Wintersportunfällen. Auf den Stationen steigt die Belastung, weil planbare Eingriffe pausieren. Und die chronische Unterbesetzung wird besonders sichtbar, wenn Kollegen ihren wohlverdienten Urlaub nehmen.

Für viele im Klinikalltag wird Weihnachten so zum Widerspruch: die Familien- und Erholungszeit wird eine der härtesten Arbeitsphasen des Jahres.

Burnout unter Gesundheitspersonal ist zwar kein rein saisonales Phänomen. Aber die Weihnachtszeit wirkt wie ein Verstärker auf bereits vorhandenen Stress. Eine große Studie aus dem Jahr 2024, veröffentlicht in JAMA Network Open, befragte über 3.000 Ärzte. Das Ergebnis: Fast 60 Prozent nehmen jährlich nicht mehr als drei Wochen . Mehr als 70 Prozent arbeiten sogar während ihrer Urlaubszeit. Die gute Nachricht: Jede zusätzliche Woche echter Erholung senkt das Burnout-Risiko deutlich und steigert die berufliche Zufriedenheit. Die schlechte Nachricht: Wenn die Feiertage mit Pflichtdiensten, Nachtschichten oder der unausgesprochenen Erwartung „erreichbar zu bleiben" zusammenfallen, steigt das Risiko weiter.

Diese Erkenntnisse fügen sich in ein größeres Bild: Burnout entsteht vor allem durch strukturelle Probleme. Zu viele wöchentliche Arbeitsstunden, häufige Nachtdienste, fehlende Erholungszeiten, unkalkulierbare Zwischenfälle. Eine systematische Übersichtsarbeit mit fast 29.000 Assistenzärzten bestätigt: Nachtschichten, lange Rotationen und Arbeit während geplanter Urlaubszeit gehören zu den stärksten Belastungsfaktoren. Und genau diese Hochrisikobedingungen prägen die Weihnachtszeit in europäischen Kliniken: weniger Personal, engere Dienstpläne, unerwartet hohes Patientenaufkommen.

Dienstplankonflikte, emotionale Mehrarbeit und Epidemiologie

Ein oft übersehenes Problem: Die Dienstplanung zu den Feiertagen belastet zwischenmenschliche Beziehungen im Team. Zwar gibt es wenig formelle Forschung zu „Konflikten über Weihnachtsurlaub unter Ärzten". Doch europäische Daten zeigen: Wenn Urlaub knapp ist und Schichten ungerecht verteilt werden, leidet die Stimmung im Team.

Eine aktuelle europäische Umfrage berichtet von weit verbreiteter Unzufriedenheit – besonders in Ländern mit . Dort sagen über 60 Prozent der Befragten, sie könnten nicht den Urlaub nehmen, den sie bräuchten. Aus Italien wissen wir: Weniger als jeder vierte Arzt schafft es, fünf oder mehr Wochen Jahresurlaub zu nehmen. Die meisten berichten von verkürzten oder zerstückelten Erholungsphasen.

Wenn eine Abteilung Heiligabend-, Weihnachts- und Silvesterdienste mit zu wenig Personal besetzen muss, sind Konflikte vorprogrammiert. Die Organisationsforschung zeigt: Unklare oder kurzfristige Dienstplanung löst sogenannte „Prozesskonflikte" aus – Vertrauen und Zusammenarbeit leiden. Feiertagsdienstpläne sind also nicht nur eine logistische Herausforderung, sondern auch eine soziale. Besonders junge Ärzte tragen dabei oft überproportional viele Nacht- und Feiertagsdienste.

Die saisonale Belastung hat aber auch epidemiologische Gründe. Dezember und Januar sind Hochsaison für Influenza und . In vielen Ländern kommt noch hinzu. Hausarztpraxen und Kinderarztpraxen laufen oft auf Hochtouren. Notaufnahmen behandeln immer mehr gebrechliche ältere Menschen mit Atemversagen. Auf den Stationen steigt die Komplexität durch mehrfach erkrankte Patienten. Die Teams arbeiten schon vor den Feiertagen am Limit.

Hinzu kommt die emotionale Dimension. An Heiligabend oder Silvester Dienst zu haben bedeutet oft: Patienten begleiten, die allein sind. Sterbende versorgen. Schwierige Gespräche mit Angehörigen führen. Diese emotionale Arbeit steht in keinem Dienstplan – trägt aber erheblich zu Erschöpfung und dem Gefühl von Entfremdung bei.

Das System neu denken

All das macht eines klar: Resilienz entsteht nicht durch guten Willen allein. Sie muss im System angelegt sein. Was also kann der Gesundheitssektor konkret tun?

Generell sollten Resilienz und nicht auf individuelle Bewältigungsstrategien reduziert werden. Burnout ist in erster Linie ein Systemproblem – und wirksame Lösungen müssen dort ansetzen.

Der organisatorische Hebel: Die Europäische Arbeitszeitrichtlinie gibt den Rahmen vor – angemessene Ruhezeiten, begrenzte Wochenstunden, planbare Dienste. Doch die Umsetzung hapert. Transparente Dienstplanung, gerechte Rotation bei Feiertagsschichten und der Verzicht auf kurzfristige Änderungen senken nachweislich den wahrgenommenen Stress. Manche Krankenhäuser führen mehrjährige Protokolle, um Weihnachts- und Neujahrsdienste fair zu verteilen. Andere setzen auf Teams mit gemischter Erfahrung in Hochbelastungsphasen – damit junge Kollegen nicht allein gelassen werden.

Arbeitsbelastung reduzieren: Einige Abteilungen haben „bürokratiearme Wochen" eingeführt. Zwischen dem 24. Dezember und 2. Januar werden Verwaltungsaufgaben, Meetings und Audits auf das Nötigste beschränkt. Kurze strukturierte Nachbesprechungen und geschützte Pausen – besonders in und Akutbereichen – stärken nachweislich die Widerstandskraft im Team.

Psychologische Unterstützung: Wenn sie proaktiv angeboten wird – nicht erst in der Krise –, kann sie emotionale abfedern. Viele europäische Krankenhäuser bieten inzwischen vertrauliche Beratung oder Peer-Support-Programme an, die in den Arbeitsalltag integriert sind.

Individuelle Strategien bleiben wichtig – aber sie reichen nicht aus. Grenzen setzen, eine gute familiäre Planung, die eigenen Limits kennen – all das hilft. Doch es kann systemische Mängel nicht ausgleichen.

Stress und Anspannung wirken sich auch auf die Patientensicherheit aus. Gesundheitseinrichtungen tragen Verantwortung für ihre Mitarbeitenden. Gerade in vorhersehbaren Belastungsphasen wie der Weihnachtszeit.

Fazit: Fürsorge als Voraussetzung, nicht als Luxus

In der Weihnachtszeit zeigt sich klar und deutlich: Die Medizin macht keine Pause. Aber auch das Engagement für das Wohlergehen der Menschen, die für sie arbeiten, darf nicht pausieren.

Gesundheitspersonal während der Feiertage zu schützen, ist mehr als eine nette Geste. Es ist die Voraussetzung für eine sichere, hochwertige Versorgung. Die Herausforderung für europäische Krankenhäuser lautet: Die Arbeit in der Festtagszeit so zu gestalten, dass sie den Bedürfnissen der Patienten UND der Menschen gerecht wird, die sich um sie kümmern.

Anstatt weitere Opferbereitschaft zu verlangen, brauchen wir echte strukturelle Veränderungen.

Quellen:
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