Viele Jugendliche nutzen Soziale Medien zur Selbstdiagnose psychischer Probleme
Laut einer aktuellen Studie stellen drei Viertel der Jugendlichen auf der Suche nach Hilfe Eigendiagnosen psychischer Erkrankungen und konsultieren dafür mehrheitlich die sozialen Medien.
Selbstdiagnose korreliert oft mit problematischer Nutzung sozialer Medien
Fast drei Viertel (71,4 %) der Befragten äußerten im Erstgespräch die Auffassung, eine psychiatrische Diagnose zu haben, die nicht von einem Arzt gestellt worden war, und dies entsprang mehrheitlich aus Informationen in den sozialen Medien.
Alle Befragten (100 %) gaben an, dass sie sich online Inhalte zum Thema psychische Gesundheit anschauten. Sie konsultierten bei ihrer Suche im Internet deutlich häufiger als wissenschaftlich orientierte Quellen. Führend war , gefolgt von Youtube und Instagram, etwas seltener Facebook und Twitter.
Jugendliche nutzen häufig TikTok anstelle von Google. Nachdem passende Begriffe einmal gesucht wurden, bekommen Nutzer anschließend über einen algorithmisch generierten Feed auf ihrer „Für dich”-Seite Inhalte zum Thema psychische Gesundheit angezeigt, ohne dass sie erneut danach suchen oder entsprechenden Accounts folgen.
Wie „therapy speak“ die Kommunikation verwässert
„Therapy speak“ oder “„Therapie-Sprech“ beschreibt die Verbreitung des Psychotherapie-Jargons in Alltagsgesprächen und sozialen Netzwerken. Begrifflichkeiten, teils auch solche, die diagnostisch umschriebene Erkrankungen bezeichnen, werden zunehmend lapidarer verwendet – Trauma, toxisch, Narzisst, Psychopath, Trigger, Gaslighting, OCD (zwanghaft), Daddy Issues, Grenzen setzen. Menschliche Erfahrungen werden hierdurch pathologisiert und Gespräche können unpersönlich oder distanziert wirken. Ein authentisches Ausdrücken von schwierigen Gefühlen und ein aufrichtiger Austausch, der eine echte Verbindung fördert, werden eher behindert.
Den Ratsuchenden sollte damit jedoch kein Vorwurf gemacht werden. Eine Psychologin der Cleveland Clinic betont, dass vieles davon aus gut gemeinter Absicht passiert und verständlich ist. Endlich haben Personen gut klingende Erklärungen und Worte für das, was sie seit Jahren erleben. Sie fühlen sich bestätigt und validiert. Doch es ist wichtig, solche Begriffe überlegt und somit auf eine Weise zu gebrauchen, die hilfreich ist, anstatt abträglich.2 Vor allem in Konfliktsituationen greifen viele aus den falschen Gründen zu solchen Begriffen, um sich „oben auf“ zu fühlen oder sich zu verteidigen.
Fazit für die Praxis
Im Gegensatz zu früheren Generationen, die psychische Erkrankungen oft als stigmatisierend empfanden und ungern darüber reden wollten, war es allen in der aktuellen Studie befragten Jugendlichen ausnahmslos sehr wichtig, eine konkrete Diagnose zu haben. Umso mehr Wert sie darauf legten, desto häufiger wurden erwartungsgemäß Inhalte zum Thema psychische Gesundheit online angesehen. Dass diagnostische Labels im Zeitalter der Online-Selbstdarstellung an Bedeutung gewonnen haben, liege im Vergleich zu früheren Jahrzehnten häufiger an anderen Gründen als der Auswahl oder Ermöglichung einer Therapie, so die Autoren. Von den Befragten selbst angegebene Gründe waren der Wunsch nach Validierung, Eigenerkenntnis, Anerkennung oder Verständnis von anderen sowie das Finden einer gleichgesinnten Gemeinschaft.
Die Auswirkungen des Onlinekonsums von Inhalten zum Thema im Internet durch Jugendliche sind jedoch komplex und stark vom jeweiligen Nutzer abhängig. Nur die negativen Auswirkungen zu sehen, wäre reduktionistisch, resümieren die Autoren.
- Armstrong, S. et al. Self-diagnosis in the age of social media: A pilot study of youth entering mental health treatment for mood and anxiety disorders. Acta Psychologica 256, 105015 (2025).
- 2. When ‘Therapy Speak’ Does More Harm Than Good. Cleveland Clinic https://health.clevelandclinic.org/what-therapy-speak-is.