Carnegies Erfolgsgeheimnis oder warum Multitasking so erschöpfend ist

Sich kurz, aber dafür ganz auf eine Sache konzentrieren zu können, ist produktiver als mit der Aufmerksamkeit permanent zwischen Aufgaben zu springen. Aus neurologischer Sicht ist es einleuchtend.

Multitasking senkt die kognitive Leistung

Stabiler Fokus: Carnegies Geheimnis für Exzellenz

Woran denken Sie, wenn Sie den Namen Carnegie hören? Vielleicht an die Carnegie Hall, an den Milliardär und Philanthropen Andrew Carnegie. Als Sohn schottischer Einwanderer war sein geschäftlicher Aufstieg von Niedriglohnjobs zu einer der reichsten Personen in der Geschichte so kometenhaft, dass die Regierung ein Untersuchungskomitee gegen ihn einrichtete, da ein solcher Erfolg innerhalb derart kurzer Zeit nicht mit rechten Dingen zugegangen sein könne, so der Verdacht. Neben gründlichen Untersuchungen, die keine Verfehlungen seinerseits fanden, wurde Carnegie selbst dazu vernommen, wie er so rasch solchen Reichtum hatte anhäufen können. Seine Antwort war so einfach, wie profund: sein Erfolgsgeheimnis sei, sich 5 Minuten vollkommen auf eine Sache konzentrieren zu können. Er fragte die Verhörenden, ob einer von ihnen das könne und bat sie, es ehrlich auszuprobieren. Zunächst waren die Ausschussmitglieder nicht sicher, ob er sie auf den Arm nehmen wollte, aber sie waren so ehrlich und begannen einige Experimente. Die erste überraschende Erkenntnis war, dass Carnegie recht hatte: der Geist ist rastlos und die meisten Teilnehmer konnten ihren Fokus nur für einige Sekunden vollkommen auf einer Sache halten. Sie arbeiteten daran, dies zu verbessern, und waren selbst erstaunt, wie rasch sie enorme Ergebnisse verzeichneten. Das Verfahren wurde natürlich eingestellt und Carnegie hat uns eine Botschaft hinterlassen, deren Implikationen wir heute auch neurowissenschaftlich belegt finden.1

Wir alle kennen dies in Ansätzen: zuweilen sind wir selbst überrascht, zu welchen Höchstleistungen unser Kopf plötzlich fähig ist und wie produktiv wir sein können, wenn etwa eine wichtige Prüfung unmittelbar bevorsteht. Plötzlich lassen wir alles andere stehen und liegen und die Arbeit geht wie am Schnürchen. Wie viel man doch erreichen könnte, wenn man an "normalen" Tagen genauso viel schaffen könnte wie in solchen Phasen!

Doch geteilte Aufmerksamkeit, unerwünschte Unterbrechungen und Ablenkungen sind heute unser Standardarbeitsmodus. Es ist so selbstverständlich geworden, dass wir oft gar nicht mehr darüber nachdenken.

Forscher der Universität Kaliforniens, Irvine, fanden heraus, dass der typische Büroangestellte im Durchschnitt alle drei Minuten und fünf Sekunden unterbrochen wird oder die Aufgabe wechselt. Für dieses Springen zwischen Kontexten zahlen wir jedes Mal einen Produktivitätszoll und schaffen es immer schlechter, uns zu konzentrieren – ein Teufelskreis, der in geistiger Erschöpfung endet, ohne dass besonders viel dabei herauskommt.2 Wenn man nach einer Ablenkung zu einer Arbeit zurückkehrt, kann es laut Evidenz der Universität Oregon 23 Minuten dauern, in puncto Konzentration und Gedankengang wieder an der Stelle anzukommen, wo man aufgehört hat. Auf diese Weise können sogar "kurze mentale Blockaden" als Folge von (zumeist unnötigen und unproduktiven) Ablenkungen 40 bis 60% der produktiven Zeit einer Person in Anspruch nehmen.2,3

Multitasking verbraucht kognitive Ressourcen

fMRT-Studien der Vanderbilt Universität fanden Belege für ein "Nadelöhr" bei der Reizselektion: wenn das Gehirn gezwungen ist, auf mehrere Reize gleichzeitig zu reagieren, kommt es zu Verlusten, während das Gehirn entscheidet, welche Aufgabe es ausführen soll.4

Für all das ist die Speicherkapazität des Arbeitsgedächtnisses ein zentraler limitierender Faktor: kognitive Aufgaben sind nur dann zu bewältigen, wenn die Fähigkeit, Informationen während der Verarbeitung im Arbeitsspeicher zu halten, ausreichend ist. Aus diversen Studien wissen wir schon länger, dass die meisten Menschen zwischen 3 und 5, maximal 7, Informationen auf einmal verarbeiten können.2,5 Jede Ablenkung oder Unterbrechung flutet unser Gehirn mit Informationen – zusätzlich zu dem, was wir bereits schultern, und belegt somit Kapazitäten. Die kognitive Leistung des Menschen ist nicht für diese Art von Multitasking optimiert, zumal die Komplexität der Arbeitsabläufe und Aufgaben in sehr vielen Bereichen stetig zugenommen hat. Prof. Earl Miller, Neurowissenschaftler am Massachusetts Institute of Technology, betont, dass das Gehirn nur einen oder zwei Gedanken gleichzeitig im Bewusstsein produzieren kann, mehr nicht.6

Wenn Sie das Gefühl haben, dass es Ihnen schwerfällt, während des Arbeitstages konzentrierte Zeit zu finden, sind Sie nicht allein. Wir alle, die in unterbrechungsintensiven Arbeitskulturen leben, machen diese Erfahrung, auch diejenigen, die sich um Kinder oder andere Angehörige kümmern.

"Switch cost effect" betrifft nicht nur Berufstätige

Eine Studie der Carnegie Mellon University kam zu dem Ergebnis, dass Studenten, die ihr Telefon eingeschaltet hatten und Nachrichten empfingen, im gleichen Test 20% schlechter abschnitten als diejenigen, die ihre Telefone aushatten. Man stelle sich vor, wie es erst ausgefallen wäre, wenn die Teilnehmer nun noch langfristiger ohne Ablenkung gelernt hätten. "Ich habe den Eindruck, dass fast alle von uns diese 20% unserer Gehirnleistung einbüßen, und das fast permanent. Miller sagte mir, dass wir deshalb jetzt in einem "perfekten Sturm des kognitiven Abbaus leben", schreibt Johann Hari, Autor von "Stolen Focus: Why You Can’t Pay Attention—and How to Think Deeply Again".6

Hari beschreibt auch die Veränderung eines 9-jährigen Jungen in seinem eigenen Bekanntenkreis, der einst pfiffig und musikbegeistert war: "Zehn Jahre später war Adam verloren. Er hatte mit 15 Jahren die Schule abgebrochen und verbrachte fast all seine wachen Stunden in wahllosem Wechsel zwischen Bildschirmen – eine verschwommene Pixelsauce aus YouTube, WhatsApp und Pornos. Er schien mit der Geschwindigkeit von Snapchat zu rasen, und nichts Stilles oder Ernstes konnte in seinem Kopf Fuß fassen. In dem Jahrzehnt, in dem Adam zum Mann geworden war, schien diese Zersplitterung vielen von uns zu widerfahren. Unsere Fähigkeit, aufmerksam zu sein, bekam Risse und zerbrach."6

In einem Interview formulierte Carnegie: "Zielgerichtete Aufmerksamkeit magnetisiert das Gehirn mit der Beschaffenheit der eigenen vorherrschenden Gedanken, Ziele und Absichten, was dazu führt, dass man immer auf der Suche nach jedem notwendigen Ding ist, das mit den vorherrschenden Gedanken zusammenhängt." Wenn Ihre dominierenden Gedanken, Ihre Aufmerksamkeit und Ihr Fokus auf etwas ausgerichtet sind, das Sie erreichen wollen, werden Sie es hochwahrscheinlich auch erreichen.1 In der Fortsetzung dieses Beitrages soll es genau darum gehen: welche Modifikationen aus Sicht der Hirnforschung unseren anspruchsvollen Alltag in dieser Richtung verbessern können.

Quellen:
  1. KreyonMedia. This Simple Secret Made Andrew Carnegie Rich & Successful -. https://www.kreyonmedia.com/post/?p=3210 (2020).
  2. The productivity tax you pay for context switching. The Async Newsletter https://async.twist.com/context-switching/ (2022).
  3. Schulte, B. Work interruptions can cost you 6 hours a day. An efficiency expert explains how to avoid them. Washington Post (2021).
  4. The Myth of Multitasking. The New Atlantis https://www.thenewatlantis.com/publications/the-myth-of-multitasking.
  5. Cowan, N. The Magical Mystery Four: How is Working Memory Capacity Limited, and Why? Curr Dir Psychol Sci 19, 51–57 (2010).
  6. Hari, J. Your attention didn’t collapse. It was stolen. The Observer (2022).

    letzter Zugriff auf Websites: 09.11.22