Digitale Krebstherapie: Medizinische Innovation oder Millionengrab?

„Apps auf Rezept“ sind umstritten. Hersteller sprechen von einem wichtigen Beitrag zur Patientenversorgung, während Fachkreise oder der GKV-Spitzenverband Datensicherheit, Studienqualität, Nutzen und Preispolitik kritisieren.

Was sind DiGA und welche Hoffnungen knüpfen Hersteller an sie?

Im Zuge des digitalen Versorgungsgesetzes können seit 2019 Apps auf Rezept entwickelt und zulasten der Krankenkassen verschrieben werden. Eine digitale Intervention als verfolge das Ziel, Betroffenen ein niederschwelliges, kostengünstiges Angebot zu machen, um die Erkrankung und die Nebenwirkungen besser zu bewältigen, erklären die Autoren eines deutschen Beitrages zur digitalen Therapiebegleitung beim Mammakarzinom in der Zeitschrift 'Die Onkologie'.1 Mehrere von ihnen sind für den Hersteller der derzeit einzigen zugelassenen DiGA für Brustkrebs-Patientinnen tätig, die (von PINK! gegen Brustkrebs GmbH, Hamburg).

Sie hoffen, dass Versorgungslücken hierdurch geschlossen und die Lebensqualität und Symptomkontrolle verbessert werden können, während die knappen Ressourcen des Gesundheitssystems durch effiziente Lösungen entlastet werden sollen. Der Hersteller hat hierzu eine Studie über 12 Wochen durchführen lassen, aus der eine Reduktion der psychischen Belastung bei den 434 Anwenderinnen mit Brustkrebs (im Vergleich zu einer Kontrollgruppe) hervorging.2

Das Team betont, dass nicht alle Gesundheits-Apps auf dem Markt offiziell als DiGA zugelassen sind. Die Bezeichnung Medizin- oder Gesundheits-App werde teils auch ohne entsprechende Zertifizierung verwendet, einige würden von der Pharmaindustrie zur Verfügung gestellt. Der Zulassungsstatus kann über das DiGA-Verzeichnis des BfArM nachgeschlagen werden. In dieser Liste sind vorläufig und dauerhaft angenommene Apps enthalten. Bei ersteren steht der Nachweis eines positiven Versorgungseffektes noch aus. Wird nach maximal 2 Jahren Erprobungsphase kein solcher erbracht, wird die App wieder von der Liste gestrichen.3

Fachkreise und Krankenkassen sehen niedrige Zulassungsvoraussetzungen, fraglichen Nutzen und Kosten kritisch

Der Grad der Evidenz von DiGA werde in Fachkreisen häufig diskutiert, so die Autoren des oben genannten Beitrages. „Mit Blick auf die Evidenz stehen die meisten DiGA jedoch noch am Anfang, und es gibt noch Raum für klinisch relevante Fragestellungen zur Wirksamkeit dieser Applikationen“, räumen sie ein.1

Vom GKV-Spitzenverband etwa werden DiGA aufgrund hoher Kosten und fraglichen Nutzens scharf kritisiert.4 Die Kosten steigen stetig und haben sich 2023 beispielsweise verdoppelt.3
Bedenken bezüglich der Datensicherheit und mangelnde Akzeptanz durch Ärzte und Psychotherapeuten scheinen ebenfalls eine Rolle zu spielen. Letztere wird durch die Zulassungsmodalitäten nicht verbessert, erklärt eine wissenschaftliche Mitarbeiterin des Essener Forschungsinstituts für Medizinmanagement (EsFoMed). „Insgesamt ist die größte Unsicherheit das Fast-Track-Verfahren.“5 Gerade bei DiGAs für psychische Erkrankungen reiche den Behandelnden die Qualität der Informationen oft nicht aus und die Studien der Hersteller entsprächen häufig nicht wissenschaftlichen Standards.

Für noch größere Bedenken sorgte bereits im Vorfeld das Ansinnen, das DiGA-Modell nicht mehr wie anfänglich auf niedrige Risikoklassen zu beschränken. Das Digital-Gesetz (DigiG) ermöglicht seit 2024 auch die Eintragung von DiGA höherer Risikoklassen (RK IIb), die auch mehr Datenquellen nutzen können.6 Die hauptamtlichen unparteiischen Mitglieder des Gemeinsamen Bundesausschusses (G-BA) hatten sich bereits 2023 dagegen ausgesprochen, da zu befürchten sei, dass Medizinprodukte mit „schwachen Nutzenbelegen und unzureichenden Risikobewertungen im Schnellverfahren“ in die Versorgung aufgenommen werden.6

Fazit: Problemlöser oder lediglich neuer Markt-Boom?

Gerade die Ausweitung auf höhere Risikoklassen führte weg von harmlosen Apps und Pulsmessern. Von den Herstellern wurde diese Entwicklung begrüßt, stieß aber auf heftige Kritik durch Organisationen wie die Bundesärztekammer (BÄK), die Kassenärztliche Bundesvereinigung (KBV), den GKV-Spitzenverband oder den G-BA.7  

Auch auf anderen Indikationsgebieten, beispielsweise bei , sind DiGA in den letzten Jahren noch keine Erfolgsgeschichte und die Verordnungszahlen eher zurückhaltend, beschreibt ein Artikel von Medical Tribune.8 Diese „elektronische Medizin“ werde auch hier nicht nur von den Fachärzten, sondern von den Patienten zurückhaltend betrachtet.

Das Fast-Track-Verfahren hat überdies dazu geführt, dass immer weniger DiGA bei ihrem Eintritt in die Versorgung und in den GKV-Leistungskatalog bereits einen Nutzen belegen können. Die Krankenkassen müssen trotz unklarer Effektivität für mindestens 12 Monate die Kosten tragen. So zahlte die GKV für Verordnungen einer Migräne-App 1,7 Millionen Euro, bevor diese nach 16 Monaten Erprobung aus dem DiGA-Verzeichnis entfernt wurde, da der Hersteller keinen positiven Versorgungseffekt nachweisen konnte. Die Preise können die Hersteller im ersten Jahr selbst bestimmen.

Der Trend zu fehlendem Nutzen verfestigt sich, hieß es auch in einer Pressemitteilung des GKV-Spitzenverbandes von April 2025.9 Zwischen September 2020 und Ende 2024 wurden in der GKV 234 Mio. Euro für DiGA ausgegeben.9
Die Bilanz zu den DiGA sei von Ernüchterung geprägt, so ein GKV-Vorstandsmitglied. Bislang „lösen die Gesundheits-Apps nicht ihr Versprechen ein, die gesundheitliche Versorgung grundlegend zu verbessern.“3 

Quellen:
  1. Würstlein, R., Wolff, J., Harbeck, N. & Wülfing, P. Digitale Begleitung der Therapie und Nachsorge beim Mammakarzinom. Onkologie 31, 294–299 (2025).
  2. Wolff, J. et al. App-based support for breast cancer patients to reduce psychological distress during therapy and survivorship – a multicentric randomized controlled trial. Front. Oncol. 14, (2024).
  3. Krankenkassen kritisieren Ausgaben für DiGA ohne nachweisbaren Nutzen. Deutsches Ärzteblatt https://www.aerzteblatt.de/news/krankenkassen-kritisieren-ausgaben-fuer-diga-ohne-nachweisbaren-nutzen-4610ca7d-0837-4424-b783-9947890b1648 (2024).
  4. Volpert, D. H., Jean Stadlbauer, Kai Schewina, Annika. Ein Zwischenfazit zu Digitalen Gesundheitsanwendungen - Blog des Fraunhofer IESE. Fraunhofer IESE https://www.iese.fraunhofer.de/blog/digitale-gesundheitsanwendungen-zwischenfazit/ (2023).
  5. Digitale Gesundheitsanwendungen: Zu wenig Vertrauen in die Apps. Deutsches Ärzteblatt https://www.aerzteblatt.de/archiv/digitale-gesundheitsanwendungen-zu-wenig-vertrauen-in-die-apps-862e9f48-6930-4e4a-9521-8298fd3a0451 (2023).
  6. Digitalisierung: Debatte um Update für Digitale Gesundheitsanwendungen. Deutsches Ärzteblatt https://www.aerzteblatt.de/archiv/digitalisierung-debatte-um-update-fuer-digitale-gesundheitsanwendungen-eba9e648-7df1-455c-96af-18f8b5145dec (2023).
  7. Kritik an Ausweitung des DiGA-Verfahrens auf höhere Risikoklasse. Deutsches Ärzteblatt https://www.aerzteblatt.de/news/kritik-an-ausweitung-des-diga-verfahrens-auf-hoehere-risikoklasse-2464cd97-4b5e-4b37-af0d-8604f1206813 (2023).
  8. Thomas, D. A. DiGA sind seit einiger Zeit verordnungsfähig, beim Evidenz-Nachweis hapert es aber noch. https://www.medical-tribune.de/medizin-und-forschung/artikel/digitale-gesundheitsanwendungen-erreichung-einer-ueberzeugenden-evidenz (2024).
  9. GKV-Spitzenverband. Steigende Kosten bei wenig Nutzen von Digitalen Gesundheitsanwendungen. Pressemitteilung. https://www.gkv-spitzenverband.de/gkv_spitzenverband/presse/pressemitteilungen_und_statements/pressemitteilung_2011904.jsp.