Mit Kindern über den Tod sprechen

Das 11-jährige Mädchen wusste, dass ihre Mutter Krebs hatte, aber eine bestimmte Ärztin war schließlich mit der Aufgabe konfrontiert, ihr zu sagen, dass der Krebs in das Gehirn gestreut hatte.

Das 11-jährige Mädchen wusste, dass ihre Mutter Krebs hatte, aber eine bestimmte Ärztin war schließlich mit der Aufgabe konfrontiert, ihr zu sagen, dass der Krebs in das Gehirn gestreut hatte.

Selbst für die Palliativmedizinerin Dr. Dana Guyer gehört es keinesfalls zu den alltäglichen Aufgaben, einem Kind schlechte Nachrichten zu überbringen. Bevor wir zu einigen Tipps kommen, wie Eltern oder Ärzte Kinder in einer solchen Situation unterstützen können, möchten wir zunächst Dr. Guyer's tiefgehenden Bericht wiedergeben, den sie in einem "Blickwinkel" im New England Journal of Medicine schildert:1 

"Ich wollte diese Aufgabe nicht. Ich habe mich nicht freiwillig dafür gemeldet. Um ehrlich zu sein, habe ich versucht, da rauszukommen"

"Meine Patientin war 40 Jahre alt und hatte einen aggressiven Darmkrebs. Sie bekam Chemotherapie, aber nachdem sie mit lähmenden Schmerzen und Schwäche in die Klinik eingeliefert wurde, fanden wir Metastasen in ihrem Gehirn und Rückenmark. Ihre Prognose war düster und sie, ihre Familie und unser Team waren erschüttert. [...] Ihre größte Sorge war ihre Tochter. Wie sollte sie es schaffen, ihr zu sagen, was unausweichlich war? Ich unterbreitete Vorschläge und Strategien und empfahl Bücher darüber, wie man mit Kindern in jeder Entwicklungsphase über das Sterben sprechen kann. Ich bot ihr an, dabei zu sitzen, während sie es ihrer Tochter erzählte. Aber nein, sie wollte die Nachricht nicht überbringen – sie wollte, dass ich es tue. Widerstrebend stimmte ich zu.

Unser Sozialarbeiter arrangierte ein Treffen nach der Schule. In der Nacht, bevor es stattfinden sollte, war ich beunruhigt. Ich stellte mir einen Horrorfilm vor: eine Frau in ihren 20ern, in einer unheimlichen Psychiatrie eingesperrt, von Albträumen und Rückblenden über den schaurigen Arzt geplagt, der ihr auf grausame Weise mitteilte, dass ihre Mutter im Sterben liegt. Würde unser Gespräch am kommenden Tag die Weichen für eine PTSD bei diesem armen Kind stellen?
Mir kam nicht richtig vor, was hier von mir verlangt wurde – ich hatte den Eindruck, dass meine Patientin sich ihrer elterlichen Verantwortung entzog. Ich konnte mir nicht vorstellen, zu wissen, dass ich sterbe und jemand anderen darum zu bitten, meinen Kindern solch eine furchtbare Botschaft zu überbringen. Ich fühlte mich auch wütend darüber, dass meine Patientin sich weigerte, anwesend zu sein, um ihre Tochter zu trösten.

"Diese Einstellung war genau das, was ich brauchte"

Nach einer unruhigen Nacht rief ich eine befreundete Ärztin an, die ein Vorbild an Einfühlungsvermögen ist. Ich erzählte ihr, wie schrecklich ich mich fühlte, und bat sie um Rat. Sie stimmte mir zu, dass die Mutter die beste Person für diese Aufgabe wäre, fügte aber hinzu: "Was ist, wenn die Mutter es einfach nicht schafft, das Gespräch nie führt und dann stirbt, und ihre Tochter ist völlig unvorbereitet? Das wäre schlimmer, als es von einem Fremden zu hören. Und du bist nicht schaurig."

Diese Einstellung war genau das, was ich brauchte. Mein Kummer ließ nach, und ich wusste, dass ich es jetzt verkraften konnte, der Tochter zu sagen, was vor ihr lag, wie sich ihr Leben verändern würde und dass ihre Mutter, ihr Anker, in ein paar Monaten nicht mehr leben würde.

Der Nachmittag war da. Die Sozialarbeiterin und ich trafen die Tochter und ihre Tante im Patientenzimmer und gingen dann in das Familienzimmer. Die Tochter war herzlich und gesellig. Sie erzählte uns, dass ihre Großmutter sich um sie kümmerte und dass sie zwar nett sei, aber die von ihr zubereiteten Mahlzeiten "eklig" waren. Sie war traurig, dass sie ihre Freunde nicht annähernd so oft sehen konnte, wie wenn ihre Mutter zu Hause war. Ihre Sorgen waren für eine 11-Jährige absolut angemessen.

Ich lenkte das Gespräch und fragte sie, ob sie in der Schule über die Krankheit ihrer Mutter gesprochen habe. Sie erwähnte eine Klassenkameradin, die ihre Mutter an Krebs verloren hatte, und erzählte uns, dass das Mädchen anfangs sehr traurig gewesen sei, es ihr aber jetzt gut zu gehen schien. Das war eine perfekte Überleitung zu dem Gespräch, für das wir dort waren.

Der Moment der Wahrheit

Ich fragte sie, ob sie mehr darüber wissen wolle, was mit ihrer Mutter geschehe. Sie sagte ja. Und dann habe ich ihr die Wahrheit gesagt.
Das Mädchen fragte, ob ihre Mutter wieder gesund werden würde. "Nein", sagte ich, "aber wir werden versuchen, den Krebs mit einem neuen Medikament zu behandeln, das vielleicht eine Zeit lang hilft. Aber irgendwann wird es ihr schlechter gehen und sie wird an diesem Krebs sterben."

Das Mädchen war erschrocken über meine Worte. Sie vergrub ihren Kopf in den Schoß ihrer Tante und weinte. Nachdem sie 10 Sekunden lang geweint hatte, hob sie ihren Kopf und fragte mutig: "Was kann ich tun, um zu helfen?" Ihre Güte und Belastbarkeit verblüfften mich. Wir sprachen über ihre "Aufgaben": glücklich sein, gute Noten schreiben, mit ihren Freunden Spaß haben, ihre Mutter anlächeln und versuchen, mit ihrer Familie auszukommen. Ich betonte, was nicht zu ihren Aufgaben gehörte: sich um ihre Mutter körperlich zu kümmern oder sich um sie zu sorgen.

Das Gespräch dauerte 20 Minuten. Die Tante des Mädchens ermutigte sie, Fragen zu stellen und sie stellte einige: Wie wird es aussehen, wenn ihre Mutter kränker wird? Wie würde sie sterben? Ich beantwortete jede Frage ehrlich und räumte Ungewissheit ein. Dann betonten wir, dass ihre Mutter noch am Leben ist und dass eine besondere Zeit vor ihnen liegt.

Das Eis schmilzt

Zum Abschluss gab es in der Cafeteria ein Eis, bevor wir in das Zimmer der Patientin zurückkehrten, wo bereits alles für die Entlassung gepackt war. Die Patientin und ihre Tochter umarmten sich und weinten, aber das Eis war am Schmelzen, sodass sich ihre Aufmerksamkeit darauf richtete, bevor sie nach Hause gingen.

Über die folgenden zwei Monate betreute ich die Patientin weiter in der Klinik und sie dankte mir mehrfach für die Konversation mit ihrer Tochter. Sie starb schließlich zu Hause, friedlich, umgeben von ihrer Familie, einschließlich ihrer Tochter – die nicht bereit war und niemals bereit sein konnte für den Tod ihrer Mutter.

Ich stelle mir vor, dass ihr Tod in jeden Aspekt des Lebens ihrer Tochter eingegangen ist und ich kann mir den Schmerz über diesen Verlust nicht vorstellen. Ich hoffe, dass die Ehrlichkeit, die wir ihr in diesem Gespräch entgegenbrachten, sinnhaft war und dass sie Wege gefunden hat, weiter in ihrem Leben vorwärts zu gehen. Noch Jahre später denke ich an diese Patientin und ihr Kind und es erinnert mich daran, unbequeme Aufgaben anzunehmen und zu tun, was ich kann, um verletzlichen Familienmitgliedern Ehrlichkeit und Mitgefühl zu schenken."

In der Fortsetzung nächste Woche tragen wir Tipps von Experten zusammen, die Erfahrung in der Gesprächsführung und Trauerbegleitung mit Kindern haben und die für Ärzte, Familienmitglieder und Angehörige unterschiedlichster Berufssparten hilfreich sein könnten.

Referenz:
1. Guyer, D. A Child’s Loss. New England Journal of Medicine 385, 391–393 (2021).