Welche Daten bestimmen die klinische Praxis: Wirksamkeit oder Lebensqualität?

Das progressionsfreie Überleben (PFS) ist über die letzten Jahre zu dem häufigsten primären Studienendpunkt in der Onkologie geworden. Solche Daten sind häufig praxisbestimmend, doch die Chance für Fehlinterpretationen ist groß.

Brauchen wir eine weniger missverständliche Terminologie?

Den Begriff des PFS zu stark in den Mittelpunkt von Therapieentscheidungen zu stellen, halten die Autoren des Lancet-Artikels deshalb für unglücklich, weil die Tumorgröße allein kein patientenzentriertes Outcome ist. Was meinen sie damit?

Progression ist nach den RECIST-Kriterien für die Bewertung des Ansprechens bei soliden Tumoren definiert als eine Zunahme der Summe der maximalen Tumordurchmesser um mindestens 20%, die Entwicklung neuer Läsionen oder eine eindeutige Zunahme der nicht messbaren malignen Erkrankung.

In den meisten randomisierten kontrollierten Studien würden die Behandelten in Abhängigkeit hiervon eingestuft werden. Worauf die Onkologen im Lancet hinauswollen: Aus klinischer Sicht scheint ein Unterschied zwischen einem Patienten mit einem Tumor, der um 21% wächst, und einem Patienten mit einem Tumor, der um 19% wächst, unwahrscheinlich. "Wir sind besorgt darüber, dass das PFS von der onkologischen Fachwelt weitgehend als Endpunkt akzeptiert wurde, ohne dass seine Limitationen als Maß für relevante Auswirkungen für die Patienten berücksichtigt wurden."

Klarheit über Therapieziele muss geschaffen werden

Eine kürzlich im JAMA Oncology veröffentlichte Metaanalyse wertete alle im Jahr 2019 in der englischen Fachliteratur erschienenen randomisierten kontrollierten Studien aus, die Patienten mit Krebs im fortgeschrittenen Stadium untersuchten und Daten zur Lebensqualität enthielten (insgesamt 45 Studien mit 24,8 Tsd. Patienten).2

Nur 24% der Studien hatten Verbesserungen der allgemeinen Lebensqualität unter der Studienmedikation ergeben und diese Studien verzeichneten auch mit größerer Wahrscheinlichkeit eine verbesserte Gesamtüberlebensrate. Für das PFS bestand kein solcher Zusammenhang. In 13% der Studien verschlechterte sich die Lebensqualität unter der Studienmedikation. Von den verbleibenden Studien, in denen sich die Lebensqualität nicht veränderte, berichteten 47% in einem positiven Licht über diese Ergebnisse. Last, but not least wurden von nur 22% der Studien, die ein verbessertes PFS zeigten, auch Verbesserungen der Lebensqualität beschrieben. 

"Studien sind in erster Linie auf Endpunkte ausgerichtet, die zur Zulassung durch die FDA führen. Das ist es, worauf sie hyperfokussiert sind", sagt Arif Kamal, Chief Patient Officer der American Cancer Society, der nicht an der Studie beteiligt war. "Die FDA berücksichtigt zwar die Lebensqualität, aber im Allgemeinen nicht mit dem gleichen Gewicht wie die Krankheitsdaten."3

Fazit für die Praxis

Insbesondere bei Menschen mit Krebs im Spätstadium ist die zentrale Frage zu klären, was sie von der Behandlung möchten. Vielen ist nicht nur wichtig, wie viel Zeit sie noch haben, sondern wie sie diese Zeit verbringen oder ob sie weiterhin in der Lage sind, Dinge zu tun, die sie gern tun. Die Verfasser des eingangs genannten Beitrages im Lancet weisen auf das Problem hin, dass den Erkrankten oft nicht gut erklärt wird, was das PFS bedeutet.

Neben vielen methodischen Bedenken hinsichtlich der Verwendung des progressionsfreien Überlebens als primärem Endpunkt, wie an anderer Stelle beschrieben, sind wir zutiefst besorgt darüber, wie der Begriff "Überleben" in dieser Formulierung die klinische Praxis und die Entscheidung der Patienten beeinflussen kann. Sie schlagen daher vor, den Begriff progressionsfreies Überleben durch einen weniger zweideutigen Begriff zu ersetzen: progressionsfreies Intervall.1

Quellen:
  1. Gyawali, B., Eisenhauer, E., Tregear, M. & Booth, C. M. Progression-free survival: it is time for a new name. The Lancet Oncology 23, 328–330 (2022).
  2. Samuel, J. N. et al. Association of Quality-of-Life Outcomes in Cancer Drug Trials With Survival Outcomes and Drug Class. JAMA Oncology 8, 879–886 (2022).
  3. Be Clear About Treatment Goals. Cancer Today https://www.cancertodaymag.org/fall-2022/be-clear-about-treatment-goals/.

    letzter Zugriff auf Websites: 7.12.22