Erblindung bei AMD: Was wäre, wenn wir einfach auf den REVERSE-Knopf drücken könnten?

Eine Erblindung aufgrund einer fortgeschrittenen, altersbedingten Makuladegeneration ist aktuell noch unheilbar. Dies könnte sich bald ändern. Experimentell ist es bereits möglich, diese Form der Erblindung im Mausmodell teilweise rückgängig zu machen.

Eine Erblindung aufgrund einer fortgeschrittenen, altersbedingten Makuladegeneration ist aktuell noch unheilbar. Dies könnte sich bald ändern. Experimentell ist es bereits möglich, diese Form der Erblindung im Mausmodell teilweise rückgängig zu machen.

Was sich wie Zukunftsmusik anhört, könnte schon bald Einzug in unseren klinischen Alltag nehmen. Eine Forschungsgruppe aus Toronto hat im August 2020 ein Abstract publiziert. Darin wird berichtet, wie sie blinden Mäusen durch Injektion von retinalen Pigmentepithelzellen und Photorezeptoren das Augenlicht teilweise zurückgeschenkt hat. Die Zellen wurden mithilfe eines Hydrogels in das Auge eingebracht. Die Erblindung der Versuchstiere wurde zuvor durch eine gezielte Injektion von Natriumiodat beigeführt. Das Resultat der Natriumiodat-Injektion ist vergleichbar mit einer fortgeschrittenen altersbedingten Makuladegeneration beim Menschen. Immunhistochemisch zeigte sich eine vollständige Degeneration des retinalen Pigmentepithels, sowie eine Ausdünnung der äußeren Körnerschicht. Dieses morphologische Korrelat entspricht dem Zelltod der Photorezeptoren. 8 Wochen nach der Natriumiodat-Injektion erfolgte die Kotransplantation. Die Kotransplantation von retinalen Pigmentepithelzellen und Photorezeptoren führte nach 2 Monaten zu einer teilweisen Wiederherstellung der Sehfähigkeit der Versuchstiere.

Dies war der Forschungsgruppe in den bisherigen Studien aus den Jahren 2015 und 2018 in diesem Ausmaß noch nicht gelungen. Auch die Überlebensfähigkeit der beiden Zelltypen war nach Kotransplantation deutlich besser als nach einzelner Transplantation des jeweiligen Zelltypus gewesen. Die Forschungsgruppe betonte, dass es die Kotransplantation ist, die den kleinen aber feinen Unterschied macht. Verglichen mit einer alleinigen RPE-Transplantation führte die Kotransplantation zu einer 2,8-fachen Steigerung des Überlebens des retinalen Pigmentepithels. Das Zellüberleben der Photorezeptoren konnte durch die Kotransplantation um den Faktor 2,1 verbessert werden. Prozentual betrachtet, war das Zellüberleben insgesamt jedoch gering. Im Elektroretinogramm (ERG) konnte die Forschungsgruppe eine positive Korrelation zwischen der Anzahl an retinalen Pigmentepithelzellen und an Photorezeptoren und dem Ausmaß der b-Welle beobachten.

Diese Symbiose entscheidet über die Sehkraft

Die Zellen des retinalen Pigmentepithels und die Zellen der Retina befinden sich in einem symbiotischen Verhältnis zueinander. Sie entwickeln sich gemeinsam und auch ihre Funktionalität ist aneinander gekoppelt. Kommt es zu einer pathologischen Veränderung einer der beiden Zelltypen, so werden beide in Mitleidenschaft gezogen. Mit diesem Wissen scheint es nur logisch zu sein, dass die beiden Zelltypen kotransplantiert werden müssen, um einen therapeutischen Erfolg zu erhalten. Es wird angenommen, dass eine Dysfunktion des retinalen Pigmentepithels pathogenetisch relevant ist für den Entstehungsprozess der altersbedingten Makuladegeneration. Bei der Retinitis pigmentosa hingegen tritt die Schädigung zuerst in den Stäbchen auf, bevor es zu einer Degeneration des retinalen Pigmentepithels kommt.1

Das Hydrogel als perfekte Basis

Das Hydrogel besteht aus Hyaluronsäure und Methylcellulose. Die Hyaluronsäure konnte in vitro über den mTOR-Signalweg und in vivo über einen CD44-vermittelten Mechanismus ein Zellüberleben der Photorezeptoren sicherstellen. Die Methylcellulose ist als biokompatibles Polymer für die strukturellen Eigenschaften des Hydrogels verantwortlich. Die Verwendung eines strukturviskösen und injizierbaren Hydrogels ermöglicht eine gleichmäßige Verteilung der beiden Zelltypen, sowie deren Schutz während der trans-vitrealen subretinalen Injektion. Gleichzeitig geht diese Methode mit einer geringeren inflammatorischen Reaktion als die bisherigen experimentellen Verfahren auf diesem Gebiet einher. Vor allem in den ersten postoperativen Tagen ist dies neben einer adäquaten Wundheilung ein ausschlaggebender Faktor für das Therapieergebnis. Das Hydrogel ist biologisch abbaubar und lässt gesunde Zellen zurück.1

Jahrelange Vorarbeit führt zur Kotransplantation

Bereits im Jahr 2015 hat die Forschungsgruppe versucht, durch Einbringung eines Photorezeptoren enthaltenden Hydrogels die Sehfähigkeit ihrer Versuchstiere wiederherzustellen. Damals zeigte sich zwar eine gewisse Sehverbesserung, die jedoch begrenzt war. Das Verständnis über die Interaktionen des retinalen Pigmentepithels mit den Photorezeptoren führte schließlich zu der erst kürzlich publizierten Studie und dem Studienerfolg. Im Jahr 2018 hat die Forschungsgruppe ein Abstract zur Kotransplantation retinaler Pigmentepithelzellen und Photorezeptoren im Mausmodell auf der ARVO auf Hawaii vorgestellt. Das Akronym ARVO steht für "Association for Research in Vision and Ophthalmology". In der Studie aus dem Jahr 2018 wurde mit Natriumiodat (70mg/kg) die Erblindung der Versuchstiere herbeigeführt. Mit einem optokinetischen Head-Tracking-System wurde die Sehfähigkeit der Mäuse überprüft. Histologisch zeigte sich ein Verlust des retinalen Pigmentepithelzellen und eine Degeneration der darüberliegenden Photorezeptoren. Zur Therapie dieser künstlich induzierten Erblindung der Versuchstiere injizierte die Forschungsgruppe Stäbchen und retinale Pigmentepithelzellen subretinal. Die Stäbchen wurden durch Zellsortierung aus P6 NrlGFP Mäusen gewonnen. Die retinalen Pigmentepithelzellen hatten ihren Ursprung in humanen embryonalen Stammzellen. Die Forschungsgruppe verwendete ein Hydrogel auf Hyaluronsäurebasis, um die Zellen in das Auge einzubringen und ihre regelmäßige Verteilung zu gewährleisten. Nach der Kotransplantation erfolgte ein Elektroretinogramm und ein optokinetisches Head-Tracking. Diejenigen Versuchstiere, die entweder nur Photorezeptoren oder nur retinale Pigmentepithelzellen subretinal transplantiert bekommen haben, zeigten keine wesentliche Verbesserung ihrer Sehfähigkeit. Die Kotransplantation hingegen führte 4 Wochen nach dem Eingriff zu einem statistisch signifikanten Ergebnis (p< 0,05). Im ERG konnten skotopische, stäbcheninduzierte B-Wellen gemessen werden.2

Bis diese innovative Therapiemethode Einzug in unseren klinischen Alltag nimmt, ist es noch ein langer Weg. Wir sind auf jeden Fall gespannt, in den kommenden Jahren mehr von dieser Forschungsgruppe zu lesen und zu hören.

Referenzen:
1. Mitrousis N. et al. (2020). Hydrogel-mediated co-transplantation of retinal pigmented epithelium and photoreceptors restores vision in an animal model of advanced retinal degeneration. Biomaterials.
2. Mitrousis N. et al. (2018). Co-transplantation of RPE and photoreceptors rescues vision in a mouse model of advanced retinal degeneration. Investigative Ophthalmology & Visual Science July 2018, Vol.59, 3261.