Protrudin fördert die Regeneration geschädigter Sehnervenfasern

Die Regenerationsfähigkeit von Nerven ist stark begrenzt. Eine Schädigung des Sehnervs - sei es durch ein Glaukom oder eine Durchblutungsstörung - geht daher fast unweigerlich mit einer Sehminderung einher.

Die Regenerationsfähigkeit von Nerven ist stark begrenzt. Eine Schädigung des Sehnervs - sei es durch ein Glaukom oder eine Durchblutungsstörung - geht daher fast unweigerlich mit einer Sehminderung einher. Der Mensch zeichnet sich durch Eigenschaften wie Hoffnung und Optimismus aus. Diese Wesensbestandteile des menschlichen Gemüts treiben Tag für Tag Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler zu Hochleistungen an. Die kleinste Möglichkeit einer Regeneration oder auch der Heilung eines pathologischen Ereignisses reicht für sie aus, um weiterzukämpfen.

Protrudin rückt ins Rampenlicht

Erst kürzlich wurde in der Fachzeitschrift "Nature" ein wissenschaftlicher Artikel publiziert, der sich mit der Stimulation der Regeneration des Nervus opticus intensiv auseinandergesetzt hat. Im Mittelpunkt des Ganzen befindet sich ein 411 Aminosäuren langes Protein mit dem Namen Protrudin (ZFYVE27). Dieses Protein besitzt als Regulator des vesikulären Transports während der Extension von Neuriten eine Schlüsselposition innerhalb des Nervenwachstums. Protrudin ist zudem wesentlich an intrazellulären Transportprozessen der Pyramidenbahn beteiligt. Dieses Protein ist in der Lage, geschädigten reifen Nervenzellen die Regeneration zu ermöglichen.1

Grenzen überwinden und Nerven heilen

Der Name Protrudin leitet sich vom lateinischen Verb für "vorwärts stoßen" - protrudere - ab. Protrudin zeigt uns, dass wir noch lange nicht an die Grenzen der wissenschaftlichen Möglichkeiten beim Thema Nervenregeneration gestoßen sind. Auch die Forschungsgruppe aus Cambridge ließ sich nicht davon abbringen, nach therapeutischen Optionen für eine Sehnervenschädigung zu suchen. Ihr Ansatz war, das sonst in Nervenzellen in einer geringen Konzentration vorkommende Protrudin in einer höheren Konzentration anzubieten. Die erhöhte Protrudin-Expression ging in vitro und in vivo mit einer Regeneration der Neurone einher.1

Das Geheimnis um Protrudin lüftet sich

Die Forschungsgruppe stütze ihre Hypothese auf vorhergegangene Forschungsarbeiten zu Protrudin. Protrudin erhielt nach seiner Entdeckung seinen Namen durch seine Eigenschaft Membrandeformitäten in Form langer Protrusionen zu induzieren. Seit seiner Entdeckung sind noch weitere Merkmale dieses besonderen Proteins bekannt geworden. Unter anderem reguliert es den Rab11-vermittelten Transport vom axonalen zum somatodendritischen Bereich eines Neurons hin. Eine Überexpression von Protrudin war mit einer axonalen Extension innerhalb des Hippocampus assoziiert. Ein Protrudinmangel hingegen ging mit einer Reduktion des Neuritenwachstums einher.2

Networker und Stimulator in einem

Protrudin ist ein wahrer Networker unter den Proteinen. Durch diverse Hauptdomänen besitzt Protrudin Einfluss auf unterschiedliche zelluläre Prozesse.  Neben der Rab11-bindenden Domäne besitzt Protrudin drei hydrophobe Membran-assoziierte Domänen (TM 1-3) und eine Proteinbindungsdomäne mit FFAT-Motiv (FFAT=Diphenylalanin in einem sauren Milieu) zur Bindung von ER-ständigen (ER=Endoplasmatischen Retikulum) VAP-Proteinen (VAP=VAMP-assoziiertes Protein; VAMP=Vesikel-assoziiertes Membranprotein). Die Interaktion mit Kinesin-1 wird über die CC-Domäne (CC=coiled-coil; Doppelwendel) umgesetzt. Die FYVE-Domäne (Fab1, YOTB, Vac1, EEA1) zur Bindung von Phosphoinositid ermöglicht die Interaktion zwischen Endosomen und Plasmamembran.2

Im kommenden Beitrag lernen wir im Detail die wissenschaftliche Arbeit der Forschungsgruppe aus Cambridge kennen. Wir erfahren, wie Protrudin durch seine besonderen Eigenschaften die Augenheilkunde revolutionieren könnte.

Referenzen:
1. Petrova V. et al. (2020). Protrudin functions from the endoplasmic reticulum to support axon regeneration in the adult CNS. Nat Commun 11, 5614 (2020).
2. Shirane M. (2019). Roles of protrudin at interorganelle membrane contact sites. Proc Jpn Acad Ser B Phys Biol Sci. 2019;95(7):312-320.