Das stiefmütterlich behandelte Schütteltrauma

Das Shaken-Baby-Syndrom, auch als Schütteltrauma bekannt, ist eine Form der Kindesmisshandlung, die sogar zum Tode führen kann. Gehirn- und Kopfverletzungen sind bei Kindern unter 2 Jahren die häufigsten Ursachen für den traumatisch bedingten Tod.

Anhaltendes Babyschreien kann Behinderung und Tod zur Folge haben

Die Schwere der neurologischen Folgeschäden korreliert beim Shaken-Baby-Syndrom mit dem Grad und der Dauer der intraventrikulären Blutung. Das Risiko für die Entwicklung eines posthämorrhagischen Hydrozephalus steigt mit der Dauer der intraventrikulären Blutung. Als Folge kann es zu einer Schädigung der weißen Hirnsubstanz kommen. In der DRIFT10-Studie wurden Kinder 10 bis 11 Jahre nach intraventrikulärer Hämorrhagie in regelmäßigen Abständen untersucht, um die Folgeschäden beurteilen zu können.3

DRIFT-Methode bei Shaken-Baby-Syndrom

Die DRIFT10-Studie wurde eingerichtet, um die Auswirkungen der chirurgischen Drainage-, Spül- und fibrinolytischen Therapie (DRIFT) bei Frühgeborenen mit posthämorrhagischer ventrikulärer Dilatation zu untersuchen. Der Schwerpunkt der Studie lag auf der Gehirnfunktion und -struktur im Schulalter. Es wurden Daten erhoben zu den kognitiven, den visuellen und den sensomotorischen Fähigkeiten, sowie zum emotionalen Wohlbefinden der betroffenen Kinder. Die DRIFT-Methode selbst wurde zur Spülung der Hirnventrikel zur Behandlung der intraventrikulären Blutung entwickelt. Sie sollte die Auswirkungen dieser intraventrikulären Hämorrhagien beseitigen.3

Visuelle Funktionseinschränkungen bei Kindern nach intraventrikulärer Blutung

Eine Forschungsgruppe der Universität Bristol in Großbritannien hat im Juni eine Studie zur Sehbeeinträchtigung bei Kindern mit Z.n. intraventrikulärer Hämorrhagie und ventrikulären Dilatation (IVHVD) Grad 3 oder 4 veröffentlicht. Die Sehleistung der Kinder wurde 10 bis 11 Jahre nach dem Trauma erhoben. Die Forschungsgruppe hat u. a. mögliche Zusammenhänge zwischen den visuellen Ergebnissen, den kognitiven Ergebnissen und einer zusätzlichen Unterstützung in der Schule untersucht. Die jungen Studienteilnehmenden waren Teil der DRIFT10-Studie gewesen.2,3

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Tabelle 1: Die neue Klassifikation der IVH beinhaltet 3 statt 4 Schweregrade.4,5

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Abbildung 1:

Mittels koronaler Ultraschalluntersuchung sind hier im Bildabschnitt a und b intraventrikuläre Hämorrhagien (IVH) Grad 3 und 4 dargestellt. Die Seitenventrikel (schwarz) sind stark vergrößert und mit geronnenem Blut gefüllt (weiß und mit Pfeilen markiert).  Im Bildabschnitt a ist eine intraventrikuläre Hämorrhagie (IVH) Grad 3 erkennbar und im Bildabschnitt b eine intraventrikuläre Hämorrhagie (IVH) (ehemalig) Grad 4 (eigene Entität: Periventrikuläre venöse hämorrhagische Infarzierung (PVHI)). Im Bildabschnitt b ist zusätzlich zum intraventrikulären Blut ein weißer Bereich eines hämorrhagischen Infarkts zu sehen (weiß und mit Pfeil).2

Kinder benötigen nach Hirntrauma schulische Unterstützung aufgrund mehrerer Sehbeeinträchtigungen

Insgesamt wurden 32 Kinder in die Studie eingeschlossen. Der Großteil der Studienteilnehmenden war männlich gewesen (n=24). Das Durchschnittsalter betrug 10 Jahre und 5 Monate. Alle Kinder waren von mindestens einer Sehbehinderung betroffen. Die mediane Anzahl an Sehbeeinträchtigungen pro Kind lag bei Kindern, die eine IVHVD des Grades 4 erlitten hatten bei 6. Im Vergleich dazu konnte bei Kindern mit einer IVHVD des Grades 3 die mediane Anzahl an Sehbeeinträchtigungen von 3 erhoben werden. Die Sehbeeinträchtigungen waren mit einer erhöhten schulischen Unterstützung verbunden.2

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Abbildung 2:

Verteilung der Sehbehinderungen im Alter von 10 bis 11 Jahren bei 32 Kindern der DRIFT10-Studie. Die teilnehmenden Kinder hatten im Säuglingsalter eine Ventrikelerweiterung nach einer intraventrikulären Blutung Grad 3 (n = 17) oder Grad 4 (n = 15) erlitten. Ein Kind mit Grad 4 hat weder den Rechteck- noch den peripheren Wahrnehmungstest durchgeführt. VA: binokulare Sehschärfe.2

Schwere ophthalmologische Folgeschäden nach Schütteltrauma

Zwischen den Kindern mit Z.n. IVHVD Grad 3 und 4 zeigten sich deutliche Unterschiede bezüglich einer Sehminderung auf unter 0.3, dem Vorhandensein eines Nystagmus und Strabismus, Störung der Sakkaden und der Akkomodation, sowie der Beeinträchtigung Konturen zu erkennen. Kinder mit Z.n. IVHVD Grad 4 zeigten signifikant häufiger Sehbeeinträchtigungen.2

Shaken-Baby-Syndrom findet zu wenig Aufmerksamkeit in Deutschland

Einer Repräsentativbefragung des Nationalen Zentrums Frühe Hilfen (NZFH) zum Schütteltrauma zufolge besteht in Deutschland auch noch weiterhin großer Aufklärungsbedarf zum Shaken-Baby-Syndrom. Der Hauptauslöser für das Schütteln des Babys oder Kleinkindes ist ein anhaltendes Babyschreien. Durch das heftige und gewaltsame Schütteln des Babys kommt es zu Hirnverletzungen. Während des Schüttelns wird der Kopf unkontrolliert geschleudert. Aufgrund der schwachen Nackenmuskulatur hat der Säugling keine Chance, sein Gehirn vor dem Aufprall an den Schädelknochen zu schützen. Das Schleudern kann zu einem Reißen der Blutgefäße und sogar der Nervenbahnen führen.

Durch das Fehlen von äußeren Anzeichen eines Schütteltraumas ist es sehr schwer die Kindesmisshandlung nachzuweisen. Die Kinder sind meist apathisch, blass und leicht reizbar. Es kann zu Krampfanfällen, Emesis, Atemstillstand und auch zum Tod als Folge kommen. Eine Möglichkeit das Shaken-Baby-Syndrom nachzuweisen, ist die Funduskopie. In meiner Zeit im Notdienst habe ich relativ häufig Säuglinge und Kleinkinder mit retinalen Blutungen zu Augen bekommen. Die Eltern haben das Schütteln in den meisten Fällen nicht zugegeben und haben erst den ärztlichen Notdienst aufgrund der mit den intraventrikulären Blutungen verbundenen Apathie aufgesucht.

Referenzen:

1. Lintern T. O. et al. (2015). Head kinematics during shaking associated with abusive head trauma. J Biomech. 2015 Sep 18;48(12):3123-7. 

2. Williams C. et al. (2022). Vision function in children 10 years after grade 3 or 4 intraventricular haemorrhage with ventricular dilation: A masked prospective study. Development Medicine & Child Neurology.

3. https://www.bristol.ac.uk/translational-health-sciences/research/neurosciences/research/neurology/drift10/

4. https://www.kup.at/kup/pdf/14501.pdf

5. https://www.degum.de/fileadmin/dokumente/sektionen/paediatrie/publikationen/Klassifikation_Hirnblutungen.pdf