Nachlese vom ERS-Kongress 2022

DPP-1-Blocker fällt bei COVID durch, Antibiotika sind bei schwerer RSV-Bronchiolitis schädlich und Bronchodilatatoren bei symptomatischen, tabakexponierten Personen mit erhaltener Lungenfunktion nicht effektiv.

Hier geht es zu Teil 1:

COVID: Deutlich mehr Todesfälle unter Brensocatib als unter Placebo

Brensocatib, ein experimenteller Dipeptidylpeptidase-1-Antagonist, wurde im Rahmen der doppelblinden 'STOP-COVID19'-Studie untersucht, die von Juni 2020 bis Januar 2021 in 14 Krankenhäusern in Großbritannien durchgeführt wurde. 406 mit COVID-19 hospitalisierte Erwachsene (Ø 62 Jahre) mit mindestens einem Risikofaktor für einen schweren Verlauf wurden innerhalb von 96 Stunden nach Krankenhauseinweisung zu einmal täglich 25 mg Brensocatib oder Placebo oral für 28 Tage randomisiert.

Der klinische Zustand der Behandelten in der Brensocatib-Gruppe war im Vergleich zur Placebogruppe an Tag 29 schlechter (OR 0,72). In der Brensocatib-Gruppe kam es signifikant häufiger zu Todesfällen (15 vs. 11%; HR 1,41) sowie zu neuer Beatmungspflichtigkeit (IRR 1,68). Die Analyse war um Faktoren wie Alter, Geschlecht und die Tatsache bereinigt worden, dass Vorerkrankungen nicht gleich verteilt waren (in der Studiengruppe war COPD etwas häufiger, in der Placebogruppe dafür Hypertonus und Diabetes und dessen Folgeerkrankungen).1,2

Antibiotika bei schwerer RSV-Bronchiolitis: mehr Schaden als Nutzen

Rezidivierendes Giemen und Asthma treten nach schwerer RSV-Bronchiolitis häufiger auf. Steroide und Montelukast blieben in früheren Studien zur Prophylaxe dieser Spätfolge weitgehend erfolglos. Als weiterer Kandidat wurde zuletzt das Antibiotikum Azithromycin untersucht, von dem sich eine Forschergruppe um Prof. Avraham Beigelman (Schneider Children’s Medical Center of Israel) einen Benefit erhofft hatte, aufgrund der Annahme, dass es die Inflammation in den Atemwegen abschwäche. Zweihundert bis dahin gesunde, 1–18 Monate alte Kinder, die aufgrund einer schweren akuten RSV-Bronchiolitis hospitalisiert waren, wurden prospektiv in eine doppelblinde, placebokontrollierte Studie eingeschlossen und zu oralem Azithromycin (10 mg/kg täglich für 7 Tage, gefolgt von 5 mg/kg täglich für 7 Tage) oder Placebo randomisiert. Die Randomisierung erfolgte stratifiziert nach kürzlich zurückliegenden Antibiotikaeinnahmen.

Die 14-tägige Azithromycin-Therapie führte nicht zu einer Verringerung des Auftretens von wiederkehrenden asthmatischen Beschwerden in den folgenden 2 bis 4 Jahren, die Placebogruppe schnitt sogar besser ab: in der Azithromycin-Gruppe entwickelten 47% solche Beschwerden, in der Placebogruppe 36%. Unter denjenigen, die bei Studieneinschluss bereits eine andere Antibiotikabehandlung erhalten hatten, bestand kein Unterschied zwischen Azithromycin und Placebo. Die Einnahme jedweden Antibiotikums erhöhte per se das Asthmarisiko im Vergleich zu Placebo (HR 1,65; 95% KI 1,00–2,72; p = 0,048). Des Weiteren gab es ein potenzielles Signal bei antibiotika-naiven Kindern, dass Azithromycin das Risiko erhöhte (HR 1,79; 95% KI 1,03–3,1).

Angesichts der Risiken für die Entwicklung von Asthma, die nicht nur von dieser, sondern auch von früheren Arbeiten mit der Einnahme von Antibiotika in Verbindung gebracht wurden, plädiert Beigelmann: "Lassen Sie die Kinder in Ruhe! [...] Diese Ergebnisse deuten darauf hin, dass Azithromycin und wahrscheinlich auch alle anderen Antibiotika bei schwerer RSV-Bronchiolitis in jungen Lebensjahren vermieden werden sollten. In unserem nächsten Projekt werden wir untersuchen, ob die schädliche Wirkung der Antibiotika mit deren Effekten auf das Darmmikrobiom zusammenhängen." Die Empfehlung steht zudem im Einklang mit den nationalen Bronchiolitis-Leitlinien, in denen von einem Antibiotika-Einsatz bei akuter Bronchiolitis wegen mangelnder Wirkung auf die akute Erkrankung abgeraten wird.3,4

COPD: Steroidtherapie auch bei Exazerbationen nach Eosinophilenzahl titrieren

Nachdem Vorarbeiten darauf hindeuten, dass die Eosinophilen-Zahl ein Prädiktor für das Ansprechen auf Steroide ist, verglich die multizentrische, doppelblinde, randomisierte placebokontrollierte Studie STARR2 den Therapieerfolg einer von der Eosinophilenzahl geleiteten Verordnung von oralem Prednisolon mit der Standardversorgung (n = 203). Diejenigen in der experimentellen Kohorte erhielten Placebo, wenn ihre per Point-of-Care-Test bestimmte Eosinophilenzahl unter 2% lag, und Prednisolon, wenn die Eosinophilenzahl ≥2% war. Diese Vorgehensweise zeigte sich in präspezifizierten Analysen als nicht unterlegen und es kam nicht signifikant häufiger zu einem Therapieversagen (34% vs. 27% unter Standardversorgung, p = 0,34). Auch bezüglich der FEV1-Werte, CAT- und VAS-Symptom-Scores bestanden keine signifikanten Unterschiede zwischen den Gruppen.

"Dieser neue Ansatz sollte in die Leitlinien aufgenommen werden, denn er erlaubt eine präzisere Behandlung und kann unerwünschte Ereignisse bei unseren Patienten reduzieren." resümierte Prof. Mona Bafadhel (King’s College London).5

Auch die Rolle der Antibiotika bei mittelschweren akuten Exazerbationen wurde beim Kongress debattiert. Dr. Gernot Rohde (Universitätsklinikum Frankfurt) rekapitulierte, dass die meisten Patienten bei Einlieferung in Notaufnahmen bereits hausärztlich mit einem Antibiotikum anbehandelt sind, obwohl oft Virusinfektionen ursächlich sind. Er zitierte die 'AERIS'-Studie, die bei nur 38% der Arztbesuche wegen COPD-Exazerbationen per PCR-Test eine bakterielle Infektion fand. Die von ihm präsentierten Resultate der 'ABACOPD'-Studie legen nahe, dass eine antibiotische Behandlung bei mittelschweren Exazerbationen in den GOLD-Stadien 1/2 unnötig ist, aber dass sie in den GOLD-Stadien 3/4 nicht unterlassen werden darf.6
 

Quellen:
  1. DPP-1 Blocker a Bust in Severe COVID. https://www.medpagetoday.com/meetingcoverage/ers/100599 (2022).
  2. Keir, H. R. et al. Dipeptidyl peptidase-1 inhibition in patients hospitalised with COVID-19: a multicentre, double-blind, randomised, parallel-group, placebo-controlled trial. The Lancet Respiratory Medicine 0, (2022).
  3. Beigelman, A. et al. Azithromycin to Prevent Recurrent Wheeze Following Severe Respiratory Syncytial Virus Bronchiolitis. NEJM Evidence 1, EVIDoa2100069 (2022).
  4. Beigelman, P. A. Antibiotics are harmful in severe RSV bronchiolitis. https://conferences.medicom-publishers.com/specialisation/respiratory/ers-international-congress-2022/antibiotics-are-harmful-in-severe-rsv-bronchiolitis/ (2022).
  5. Bafadhel, P. M. STARR2: A new approach for treating COPD exacerbations. https://conferences.medicom-publishers.com/specialisation/respiratory/ers-international-congress-2022/starr2-a-new-approach-for-treating-copd-exacerbations/ (2022).
  6. Are Antibiotics Needed for Moderate Acute Exacerbations of COPD? https://www.medpagetoday.com/meetingcoverage/ers/100562 (2022).

    letzter Zugriff auf Websites: 16.09.22

Emphysemtherapie: vergleichbare Verbesserungen nach bronchoskopischer versus chirurgischer Lungenvolumenreduktion 

In der Emphysemtherapie scheint eine bronchoskopische Lungenvolumenreduktion (BLVR) mit Platzierung von Endobronchialventilen dem invasiveren Eingriff, der chirurgischen Lungenvolumenreduktion (LVRS), nicht nachzustehen, so neue Ergebnisse der ersten kleinen Studie, welche die beiden Behandlungsmethoden direkt verglich.

28 COPD-Erkrankte (Ø 65 Jahre, FEV1% 31), die für beide Eingriffe in Frage kamen, wurden entweder zur LVRS (n=41) oder BLVR (n=47) randomisiert. Die anhand des BODE-Index eingeschätzte Verbesserung nach 12 Monaten unterschied sich nicht signifikant zwischen den Gruppen, weder im Hinblick auf den Gesamtscore (-1,10 mit LVRS and -0,82 mit BLVR; p = 0,54), noch in den BODE-Einzelkomponenten (BMI, Obstruktion, Dyspnoe und körperliche Belastbarkeit/ 6-Minuten-Gehtest).

Weiterhin war in beiden Gruppen eine klinisch bedeutsame Verbesserung des Airtrappings (gemessen am Residualvolumen) zu verzeichnen, wiederum ohne einen klaren Vorteil für eine der beiden Methoden (LVRS: RV% -36,1 vs. BLVR: RV% -30,1; p = 0,81).

Die Überlebensrate unterschied sich ebenfalls nicht signifikant zwischen den Behandlungsgruppen (BLVR 3 Monate vs. LVRS 6 Monate). In beiden Behandlungsarmen dieses schwer erkrankten Kollektivs kam es zu je einem Todesfall, der Todesfall in der BLVR-Gruppe wurde nach einem längeren Luftleck als behandlungsbedingt eingestuft. Der einzige signifikante Unterschied zwischen den Gruppen betraf die CAT-Punktzahlen (COPD Assessment Test), die zugunsten der LVRS ausfielen.1

Ebenfalls anlässlich des Kongresses vorgestellte Daten der randomisierten kontrollierten 'EMPROVE'-Studie unterstützen die bronchoskopische Platzierung von endobronchialen Einwegventilen bei COPD-Kranken mit schwerem heterogenem Emphysem. Die Intervention verbesserte, im Vergleich zu einem alleinigen medikamentösen Management, über 2 Jahre Nachbeobachtungszeit hinweg signifikant die Lungenfunktion, Überblähung, Dyspnoe sowie die Scores für die krankheitsbezogene Lebensqualität.2

Einsatz dualer Bronchodilatatoren bei erhaltener Spirometrie und Raucherhusten ist zu überdenken

Etwa 50% der Personen mit Raucheranamnese (zurückliegend oder aktuell) haben Atemwegsbeschwerden, aber eine unauffällige Spirometrie. Etwa ein Drittel von ihnen wird mit Bronchodilatatoren oder inhalativen Kortikosteroiden (ICS) behandelt.3 Dieses Kollektiv wird jedoch nicht von den aktuellen GOLD-Leitlinienempfehlungen abgedeckt und ein Nutzen dieser Medikamente ist nicht nachgewiesen. Die multizentrische, randomisierte Phase-3-Studie 'RETHINC' stellt diese Praxis in Frage. Sie verglich eine 12-wöchige Behandlung mit inhaliertem Indacaterol und Glycopyrrolat mit Placebo in einem solchen Kollektiv von 535 Erwachsenen. Die Bronchodilatator-Therapie führte nicht zu einer Verringerung der Atemwegssymptome – möglicherweise, weil diese Population nicht an der typischen Pathologie der kleinen Atemwege leidet, auf die die COPD-Medikamente ausgerichtet sind.

Bei Verdacht auf eine COPD ist die Durchführung einer Spirometrie wichtig, um Patienten zu selektieren, die von Bronchodilatatoren profitieren könnten, unterstreicht Erstautorin Prof. MeiLan Han (Universität Michigan). Außerdem müsse untersucht werden, was bei Menschen mit normalen Spirometrie-Werten die Symptome antreibt.4,5

Einnahme zweier Supplemente in der Schwangerschaft reduziert Krupp-Risiko bei Kleinkindern in dänischer Geburtenkohorte um 40%

Pseudokrupp ist eine im frühen Kindesalter prävalente Atemwegserkrankung, die meist durch Parainfluenzavirus-Infektionen verursacht wird. Bislang gibt es keine präventiven Strategien, weshalb eine randomisierte, placebokontrollierte Studie den Effekt einer pränatalen Mikronährstoff-Ergänzung bei 736 Schwangeren untersuchte, die der populationsbasierten Mutter-Kind-Kohorte COPSAC2010 (Copenhagen Prospective Studies on Asthma in Childhood) angehörten.

Die Einnahme von Fischöl (2,4 Gramm n-3 LCPUFA) von Schwangerschaftswoche 24 bis eine Woche nach der Geburt ging im Vergleich zu Placebo mit einem um 38% verringerten Pseudokrupp-Risiko bei Kindern unter 3 Jahren einher (HR 0,62, 95% KI 0,41-0,93; p = 0,02). Die Einnahme von Vitamin D (2.800 IE/ Tag) war unabhängig davon mit einer 40%igen Reduzierung des Pseudokrupp-Risikos im Vergleich zu einer geringen Dosis Vitamin D (400 IE/Tag) verknüpft (HR 0,60, 95% KI 0,38-0,93, p = 0,02).

"Es handelt sich um relativ günstige Supplemente, sodass dies ein sehr kosteneffektiver Ansatz zur Verbesserung der Gesundheit von Kleinkindern sein könnte", schließt Erstautor Dr. Nicklas Brustad, PhD (Universität Kopenhagen).
 

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Quellen:
  1. Less Invasive Emphysema Treatment Matches Lung Volume Reduction Surgery. https://www.medpagetoday.com/meetingcoverage/ers/100592 (2022).
  2. Criner, P. G. Durable effect of endobronchial valves in severe emphysema. https://conferences.medicom-publishers.com/specialisation/respiratory/ers-international-congress-2022/durable-effect-of-endobronchial-valves-in-severe-emphysema/ (2022).
  3. Sin, D. D. RETHINCking COPD — Bronchodilators for Symptomatic Tobacco-Exposed Persons with Preserved Lung Function? New England Journal of Medicine 0, null (2022).
  4. Han, M. K. et al. Bronchodilators in Tobacco-Exposed Persons with Symptoms and Preserved Lung Function. N Engl J Med (2022) doi:10.1056/NEJMoa2204752.
  5. Han, P. M. COPD medication not effective in symptomatic smokers with preserved spirometry. https://conferences.medicom-publishers.com/specialisation/respiratory/ers-international-congress-2022/copd-medication-not-effective-in-symptomatic-smokers-with-preserved-spirometry/ (2022).

    letzter Zugriff auf Websites: 16.09.22