Polygenetische Risikobewertung bei Prostatakrebs

Neue Daten aus den Jahren 2024–2025 zeigen, wie polygenetische Risikobewertungen die Vorsorgeuntersuchungen und Risikostratifizierung bei Prostatakrebs verfeinern und die Früherkennung verbessern können, gleichzeitig aber auch wichtige klinische und ethische Herausforderungen mit sich bringen.

Ein Wandel in der Risikobewertung von Prostatakrebs

Prostatakrebs ist die am häufigsten diagnostizierte bei Männern, und die Früherkennung bleibt eine zentrale Herausforderung. PSA-Tests haben zwar die Diagnose verbessert, tragen aber auch zur Überdiagnose von indolenten Tumoren bei und setzen viele Patienten unnötigen Eingriffen aus. Dieses Spannungsfeld zwischen Nutzen und Schaden treibt die Suche nach präziseren Instrumenten voran, mit denen Männer identifiziert werden können, die tatsächlich ein höheres Risiko für eine klinisch signifikante Erkrankung haben.

Zu den vielversprechendsten dieser Instrumente gehören polygene Risikoscores (PRS), die die geringen Beiträge von Hunderten häufiger genetischer Varianten kombinieren, um die vererbte Anfälligkeit einer Person für Prostatakrebs abzuschätzen. In den letzten zwei Jahren haben neue Erkenntnisse unser Verständnis darüber erweitert, wie PRS in Screening-Strategien integriert, die aktive Überwachung verfeinern und personalisiertere klinische Behandlungspfade unterstützen können.

Die genetischen Grundlagen verstehen: Was PRS tatsächlich messen

PRS quantifizieren die lebenslange genetische Veranlagung, indem sie die Auswirkungen zahlreicher Varianten mit geringer Penetranz aggregieren, die durch genomweite Assoziationsstudien identifiziert wurden. Für Prostatakrebs umfassen die aktuellen PRS weit über hundert validierte Varianten, die einen wesentlichen Teil des vererbten Risikos erfassen.

Diese Werte können Männer mit deutlich unterschiedlichen Basisrisiken unterscheiden: Personen in den höchsten PRS-Perzentilen haben möglicherweise eine zwei- bis dreimal höhere Lebenszeitwahrscheinlichkeit, an Prostatakrebs zu erkranken als die allgemeine Bevölkerung. Wichtig ist, dass PRS die vererbte Basisempfindlichkeit widerspiegeln, nicht das Tumorverhalten. Ihre Stärke liegt darin, diejenigen zu identifizieren, die am ehesten an Prostatakrebs erkranken (nicht unbedingt diejenigen, die eine aggressive Erkrankung entwickeln werden).

Ein weiterer wichtiger Aspekt ist die Abstammung: Die meisten PRS wurden bei Männern europäischer Herkunft entwickelt, und ihre Aussagekraft in anderen Bevölkerungsgruppen ist weniger zuverlässig. Dies wirft Fragen der Gerechtigkeit auf und unterstreicht die Notwendigkeit von abstammungsangepassten oder bevölkerungsspezifischen PRS-Modellen.

PRS und Früherkennung

Aktuelle prospektive Daten zeigen, dass PRS in Verbindung mit etablierten Instrumenten wie PSA und MRT die Strategien zur Früherkennung sinnvoll verfeinern kann. Männer mit einem sehr hohen genetischen Risiko scheinen eher an Prostatakrebs zu erkranken, selbst wenn ihre PSA-Werte nicht deutlich erhöht sind. Die Einbeziehung von PRS in Screening-Algorithmen könnte daher dabei helfen, jüngere Männer oder Männer mit grenzwertigen PSA-Werten auszuwählen, die von einer früheren MRT oder Biopsie profitieren könnten.

Ebenso wichtig ist, dass PRS die Überuntersuchung von Personen mit geringem Risiko reduzieren und unnötige Bildgebungsverfahren oder Biopsien bei Männern vermeiden könnte, deren lebenslanges genetisches Risiko minimal ist. Dieses doppelte Potenzial – die Verbesserung der Erkennung klinisch relevanter Erkrankungen bei gleichzeitiger Verringerung der Belastung für Gruppen mit geringem Risiko – ist eines der überzeugendsten Argumente für die Integration von PRS in risikobasierte Screening-Konzepte.

Es gibt jedoch auch Hinweise darauf, dass PRS zwar die Erkennung von Krebs verbessern, aber nur teilweise in der Lage sind, klinisch bedeutsame Tumore bevorzugt zu erkennen. Sie erhöhen die Wahrscheinlichkeit, aggressive Erkrankungen zu erkennen, beseitigen jedoch die Überdiagnose noch nicht – was die Notwendigkeit unterstreicht, PRS mit PSA‑Kinetik, MRT‑Befunden und klinischem Urteilsvermögen zu kombinieren.

PRS im Rahmen der aktiven Überwachung: Verfeinerung der Risikostratifizierung

Neben der Früherkennung kann PRS auch bei der Behandlung von Männern von Nutzen sein, bei denen bereits ein Prostatakrebs mit geringem Risiko diagnostiziert wurde. Daten aus Kohorten mit aktiver Überwachung deuten darauf hin, dass höhere PRS-Werte mit einer höheren Wahrscheinlichkeit einer histologischen Hochstufung während der Nachsorge verbunden sind, was in der Regel eine Überprüfung der definitiven Behandlung erforderlich macht.

Diese Beobachtungen lassen vermuten, dass PRS zur Einstufung der Intensität der Nachsorge beitragen könnte:

PRS allein sollte keine klinischen Entscheidungen bei der aktiven Überwachung bestimmen, sondern kann Teil einer multiparametrischen Beurteilung sein, die MRT-Merkmale, PSA-Dichte und Tumorvolumen umfasst. PRS hat eine ergänzende Funktion und erweitert das bestehende Rahmenwerk um die Ebene der vererbten Risikobiologie.

Was PRS derzeit bieten kann und was nicht

Die neuen Erkenntnisse zeigen mehrere klare Stärken von PRS auf:

  1. Sie liefern stabile, lebenslange Schätzungen des erblichen Risikos, die im Laufe der Zeit nicht schwanken.
  2. Sie helfen dabei, Männer zu identifizieren, die von einer früheren oder intensiveren Vorsorgeuntersuchung profitieren könnten.
  3. Sie können dazu beitragen, Überwachungsmaßnahmen zu personalisieren, indem sie klinische und bildgebende Daten um genetische Informationen ergänzen.

Es gibt jedoch ebenso wichtige Einschränkungen:

  1. PRS unterscheiden nicht zuverlässig zwischen aggressivem und indolentem Krebs und können daher nicht unabhängig als Grundlage für Biopsieentscheidungen dienen.
  2. Derzeit zeigen sie je nach Abstammung unterschiedliche Ergebnisse, was Bedenken hinsichtlich der Gleichbehandlung bei der Umsetzung aufwirft.
  3. Ihre langfristigen Auswirkungen auf die krebsbedingte Sterblichkeit, Überdiagnosen und Überbehandlungen sind noch unbekannt.
  4. Die Integration von PRS in klinische Arbeitsabläufe erfordert eine sorgfältige , um Fehlinterpretationen oder unnötige Ängste zu vermeiden.

In der Praxis sollten PRS als ergänzende Instrumente betrachtet werden, die zur Verfeinerung des Risikos nützlich sind, aber etablierte Screening-Methoden oder klinische Kriterien nicht ersetzen.

Wie sollten Ärzte PRS im Jahr 2025 einsetzen?

Für Ärzte ist die entscheidende Frage nicht, ob PRS funktioniert, sondern wie es sinnvoll in die Patientenversorgung integriert werden kann. Aktuelle Erkenntnisse sprechen für den Einsatz bei:

Dennoch sollten Entscheidungen immer auf der Grundlage einer Kombination aus PRS, PSA-Verhalten, MRT-Befunden, Pathologie und Patientenpräferenzen getroffen werden. PRS liefern Kontext, keine Schlussfolgerungen.

Quellen:
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