Stabile Angina: Medikamente genauso gut wie Herzkatheter oder Bypass-OP

In der Kardiologie bahnt sich eine kleine Revolution an: Die ISCHEMIA-Studie zeigt, dass sich die meisten Engstellen am Herzen mit Medikamenten genauso gut behandeln lassen wie mit Herzkatheter oder Bypass-OP.

Neue Studie beweist: Invasive Eingriffe bei stabiler KHK sind oft unnötig

In der Kardiologie bahnt sich eine kleine Revolution an: Die ISCHEMIA-Studie zeigt, dass sich die meisten Engstellen am Herzen mit Medikamenten genauso gut behandeln lassen wie mit Herzkatheter oder Bypass-OP.

Unter Kardiologen gibt es eine einfache Regel: Wer pectanginöse Beschwerden hat, der bekommt einen Herzkatheter. Nicht nur der wirtschaftliche Anreiz motiviert zu invasiven Eingriffen, es ist auch der (eigentlich) gesunde Menschenverstand: Wenn ein Herzkranzgefäß verengt ist, muss es aufgeweitet werden, um den Blutfluss wiederherzustellen. Einige Kardiologen zweifeln jedoch an der vorherrschenden Lehrmeinung und berufen sich nicht selten auf die Ergebnisse der 2007 veröffentlichten COURAGE-Studie. Sie zeigte erstmals an rund 2.300 kardial stabilen Patienten mit Ischämienachweis, dass eine Koronarangiographie mit Gefäßaufweitung ohne Vorteil im Vergleich zu einer medikamentösen Therapie ist. Die kardiologische Gemeinschaft blieb jedoch skeptisch und forderte neue und größere Studien. Dieser Wunsch wurde nun mit der ISCHEMIA-Studie (International Study Of Comparative Health Effectiveness With Medical And Invasive Approaches) erfüllt, die an weltweit 320 Zentren in 37 Ländern, darunter auch Deutschland, durchgeführt wurde.

Über 5.000 Patienten eingeschlossen

Die vor kurzem auf dem Kongress der US-amerikanischen Gesellschaft für Kardiologie (AHA) veröffentlichte randomisierte Kontrollstudie hatte ein ähnliches Design wie die COURAGE-Studie, war jedoch mehr als doppelt so groß: In ISCHEMIA wurden insgesamt 5.179 Patienten mit stabiler ischämischer Herzerkrankung eingeschlossen. Rund zwei Drittel der Teilnehmer litten an belastungsabhängigen pectanginösen Beschwerden, die täglich, wöchentlich oder monatlich auftraten. Ein Drittel hatte gar keine Beschwerden. Wichtigstes Einschlusskriterium war der Nachweis einer kardialen Ischämie mittels gängiger Verfahren wie Stress-Echokardiographie, Myokard-Szintigraphie, oder Belastungs-EKG. Das Durchschnittsalter der Patienten lag bei 64 Jahren und die Mehrzahl (77%) war männlich. 41% der Teilnehmer litten zusätzlich an Diabetes. Wichtige Ausschlusskriterien für die Studie waren instabile pectanginöse Beschwerden, das Vorliegen einer größeren linken Hauptstammstenose (im CT diagnostiziert), eine fortgeschrittene Nierenschwäche, oder eine Herzschwäche mit einer Ejektionsfraktion von unter 35%.

Herzkatheter/Bypass versus Medikamente

Nach Studieneinschluss wurde die eine Hälfte der Patienten traditionell behandelt, d.h. invasiv mit einem Herzkatheter (74%) oder einer Bypass-Operation (26%), während die andere Hälfte eine rein konservative Therapie mit Medikamenten erhielt und nur bei Verschlechterung der Symptome eine invasive Therapie durchgeführt wurde. Letzteres war bei rund einem Viertel der Patienten der Fall. Die Beobachtungsdauer der Studie lag bei durchschnittlich 3,3 Jahren. Der primäre Endpunkt der Studie war eine Kombination aus kardiovaskulärem Tod, Herzinfarkt, Reanimation nach Herzstillstand, oder Hospitalisierung wegen instabiler Angina-Symptomatik oder Herzschwäche.

Konservative Therapie nicht schlechter als invasive Behandlung

In den ersten 6 Monaten der Studie wurde der primäre Endpunkt in der Invasiv-Gruppe rund 2% häufiger erreicht als in der konservativen Gruppe (p < 0,05), was laut Studienautoren durch Komplikationen im Rahmen der Koronarangiographien und Bypass-OPs verursacht wurde. Am Ende des Beobachtungszeitraums kehrte sich die Situation dann um: nun war die Ereignisrate der Invasiv-Gruppe um rund 2% niedriger als die der konservativen Gruppe (15,5% versus 13,3%, p = 0,05). Wichtig: Nach statistischer Adjustierung fand sich jedoch kein Unterschied mehr zwischen den Behandlungsarmen (Adjustierte Hazard Ratio: 0,93, 95% Konfidenzintervall: 0,80–1,08, p = 0,34). Auch in Bezug auf die Gesamtmortalität gab es keine signifikanten Unterschiede (p = 0,67).

In ihrer Studie betrachteten die Autoren auch einzelne Subgruppen wie Diabetiker, Patienten mit Ein- oder Mehrgefäßerkrankung, Patienten mit Stenose in der proximalen linken Koronararterie, sowie Patienten, die an einer schweren Ischämie litten. Auch hier wirkte die konservative Therapie genauso gut wie die invasive Behandlung. In einem Punkt war die invasive Therapie jedoch im Vorteil: Herzkatheter und Bypass-OP konnten die pectanginösen Beschwerden der Patienten besser lindern als eine alleinige Therapie mit Medikamenten.

Invasive Therapie bei stabiler Angina nur noch in Einzelfällen?

Die ISCHEMIA-Studie hat das Zeug, die Kardiologie grundlegend zu verändern. So hätten 75% der Patienten mit stabiler koronarer Herzerkrankung, die sich in der Vergangenheit einer koronaren Intervention unterzogen haben, eigentlich gar keine benötigt. Sie hätten sich damit auch unnötigerweise dem erhöhten Risiko eines invasiven Eingriffs ausgesetzt. Zukünftig sollte die Entscheidung für eine invasive Therapie daher nicht überstürzt gefällt werden. Als Faustregel könnte gelten: Patienten, die gut mit ihren Brustschmerzen leben können, sollten eher eine konservative Therapie erhalten, während Patienten mit intensiven pectanginösen Beschwerden eher von einer Koronarintervention profitieren. In jedem Fall steht das ausführliche Gespräch mit dem Patienten unter Einbeziehung aller Vor- und Nachteile – inklusive der neuen Erkenntnisse – immer noch an erster Stelle.

Quellen: