Neue Hoffnung für Querschnittsgelähmte

Drei Patienten, die vor mehr als vier Jahren zervikale Querschnittsverletzungen erlitten hatten und trotz einiger verbleibender Nervenverbindungen an der Verletzungsstelle und umfangreicher Rehabilitation vollständig paretisch geblieben waren, können nun an Gehstützen oder einem Rollator wieder laufen.

Gezielte Neurotechnologie bei Patienten mit hoher Rückenmarksverletzung vielversprechend

Drei weitere Patienten mit chronischer Paraparese erlangen mittels elektrischer Stimulation des Rückenmarks über ein kabelloses Implantat ihre Gehfähigkeit zurück.

Drei Patienten, die vor mehr als vier Jahren zervikale Querschnittsverletzungen erlitten hatten und trotz einiger verbleibender Nervenverbindungen an der Verletzungsstelle und umfangreicher Rehabilitation vollständig paretisch geblieben waren, können nun an Gehstützen oder einem Rollator wieder laufen.
Zu verdanken ist dies einem neuen Rehabilitationsprotokoll, welches präzise elektrische Stimulation des lumbalen Rückenmarks mit gewichtsunterstützter Therapie kombiniert.

Nach einigen Monaten konnten die Patienten die zuvor gelähmten Extremitätenmuskeln wieder willkürlich steuern, und zwar selbst in Abwesenheit elektrischer Stimulation, wie Schweizer Forscher am 31. Oktober in der Nature berichteten.1–3

Noch nie dagewesenes Level an Präzision in der Stimulation des Rückenmarks

Jahrelange Forschung an Tiermodellen hat zu einem detaillierten Verständnis der zugrundeliegenden Mechanismen beigetragen. "Hierdurch sind wir in der Lage, in Echtzeit zu imitieren, wie das Gehirn normalerweise das Rückenmark aktiviert.", sagt Neurowissenschaftler Grégoire Courtine. "Präzises Timing und Lokalisation der elektrischen Stimulation sind entscheidend für die Fähigkeit des Patienten, eine geplante Bewegung auszuführen. Es ist auch diese raumzeitliche Gleichzeitigkeit, die das Wachstum neuer Nervenverbindungen auslöst."

Ausgewählte Konfigurationen des implantierten Impulsgebers und die Anordnung der Elektroden erlauben die gezielte Aktivierung spezifischer Regionen des Rückenmarks, sodass sich einzelne Muskeln in den Beinen ansteuern lassen.

Erste Schritte

Die Patienten benötigten nicht viel Zeit, um die Koordination zwischen der Intention zu laufen und der gezielten elektrischen Stimulation zu erlernen. Alle drei konnten nach einer Woche Kalibrierung unter Gewichtsunterstützung wieder gehen und die willkürliche Muskelkontrolle verbesserte sich über die folgenden fünf Monate des Trainings beachtlich.

Der neue Ansatz erlaubt ein aktives Lauftraining über dem Boden, anstelle von Laufband-Training oder passiven Übungen wie Exoskelett-assistierten Schritten. In den Reha-Sitzungen waren die Teilnehmer mithilfe eines intelligenten Gewichtsunterstützungssystems in der Lage, freihändig über einen Kilometer zu gehen. 
Die wiedererlangte neurologische Funktion blieb im Unterschied zu anderen Studien über das Training hinaus erhalten – selbst dann, wenn die Stimulation ausgeschaltet wurde. Darüber hinaus kam es nicht zu einer Ermüdung der Beinmuskeln. So sind Trainingseinheiten mit hoher Intensität möglich, die wesentlich für die Auslösung aktivitätsabhängiger Plastizität zu sein scheinen. Damit ist die Fähigkeit des Nervensystems gemeint, Nervenfasern neu zu organisieren. Dies führt zu einer Verbesserung der motorischen Funktion selbst bei abgeschalteter Stimulation.

Frühere Arbeiten mit eher empirischen Ansätzen, wie kontinuierlichen elektrischen Stimulationsprotokollen, befähigten nur wenige ausgewählte Patienten zum Laufen mit Gehhilfen – und dies auch nur über kurze Strecken und wenn die Stimulation eingeschaltet war. Bei Aussetzen der Stimulation waren die Betroffenen sofort wieder plegisch und konnten keine Extremitätenbewegungen mehr aktivieren. Dauerstimulation kann außerdem die Wahrnehmung der räumlichen Position der Extremitäten stören.

Entwicklung zu breit verfügbarer Therapie angestrebt

Der neue Ansatz soll auch früh posttraumatisch getestet werden, wenn das Rehabilitationspotential hoch ist und das neuromuskuläre System noch nicht die Atrophie durchgemacht hat, die aus einer chronischen Lähmung resultiert.

Das "MIT Technology Review" wählte die Forschungsarbeiten von Prof. Grégoire Courtine zum Durchbruch des Jahres 2017. Auf der Webseite des eigens gegründeten Startups GTX medical sind weitere detaillierte Informationen und Animationen für Ärzte und Patienten verfügbar.

Referenzen:
1. Hamers, L. Stimulating the spinal cord helps 3 more paralyzed people walk. Science News (2018). Available at: https://www.sciencenews.org/article/stimulating-spinal-cord-helps-more-paralyzed-people-walk. (Accessed: 9th November 2018)
2. Wagner, F. B. et al. Targeted neurotechnology restores walking in humans with spinal cord injury. Nature 563, 65 (2018).
3. Breakthrough in treating paralysis: Targeted neurotechnology restores walking in humans with spinal cord injury. ScienceDaily Available at: https://www.sciencedaily.com/releases/2018/10/181031141523.htm. (Accessed: 9th November 2018)