Akute Unterleibsschmerzen bei einem jungen Erwachsenen

Junger Mann, Bauchschmerzen und Anämie: Welche Diagnose liegt diesem Zustand zugrunde?

Schreckliche Bauchschmerzen in der Urlaubszeit

Am 25. Juli 2021 um 14:00 Uhr kam Lucas, ein 39-jähriger Mann, mit akuten Bauchschmerzen in die Notaufnahme. Die Schmerzen traten mit Unterbrechungen seit etwa zwei Tagen auf. Seit letzter Nacht litt er unter wiederholtem Durchfall. Lucas gab an, keine bekannten Krankheiten zu haben und keine Medikamente zu nehmen.

Körperliche Untersuchung

Bei der Palpation war der Bauch weich und unempfindlich. Das Murphy-Zeichen war negativ, und es gab keine Anzeichen für eine akute oder chronische Entzündung des Wurmfortsatzes. Es wurden keine tastbaren Massen festgestellt, und die Untersuchung der Nabel- und Leistengegend ergab keine Hernien.

Anamnese

Lucas führte einen gesunden Lebensstil: Er war Vegetarier, rauchte nicht, konsumierte gelegentlich Alkohol (einmal pro Woche ein Bier in der Kneipe), lehnte Drogenkonsum ab und trieb mäßig Sport.

In seiner Kindheit wurden ihm die Mandeln entfernt und im Alter von 21 Jahren wurde eine Trabekulektomie wegen eines Glaukoms durchgeführt. Er gab keine weiteren Krankenhausaufenthalte oder chronischen Krankheiten an.

Der Patient gab an, dass seine Familienmitglieder keine schweren Krankheiten hatten.

Bildgebung

Röntgenaufnahme des Brustkorbs: Es wurden keine pleuroparenchymalen Läsionen festgestellt. Die Herzsilhouette war innerhalb der normalen Grenzen.

Röntgenaufnahme des Abdomens: Unter dem Zwerchfell war keine freie Luft zu erkennen. Der Dickdarm wies einen geringen Gasgehalt auf. Einige Dünndarmschlingen in den mittleren Abdominalquadranten waren leicht gasförmig aufgebläht und wiesen einige Luft-Flüssigkeitsspiegel auf. Die Befunde waren mit einem anfänglichen subokklusiven Zustand vereinbar.

Laborergebnisse 

Parameter Wert
HGB 9.2 g/dl
Erythrozyten 4.65 x 10⁶/ul
HCT 30.6%
MCV 65.8 fl
MCH 19.8 pg
MCHC 30.2 g/dl
RDWCV 19.5%
WBC 7.53 x10³/ul
Neutrophile 5.5 x10³/ul (73.6%)
Lymphozyten 1.3 x10³/ul (16.8%)
Monozyten 0.6 x10³/ul (7.8%)
Eosinophile 0.1 x10³/ul (1.2%)
Basophil 0.0 x10³/ul (0.6%)
PLT 374 x10³/ul
PDW 18 fl
MPV 8.7 fl
Amylase 44 mU/ml
Alkalische Phosphatase 57 mU/ml
Gesamtbilirubin 0.48 mg/dl
GGT 29 mU/ml
Acetylcholinesterase 8519 mU/ml
GPT 11 mU/ml
LDH 188 mU/ml
CK 140 mU/ml
Glukose 113 mg/dl
Natrium 138 mEq/l
Kalium 3.78 mEq/l
Kalzium 9.2 mg/dl
Harnstoff 27 mg/dl
Kreatinin 1.04 mg/dl
GFR 90 ml/min/1.73m

Elektrokardiogramm

Das in der Notaufnahme durchgeführte Elektrokardiogramm war normal.

Klinischer und diagnostischer Ansatz

Der Arzt der Notaufnahme rief den diensthabenden Abdominalchirurgen zu einer Konsultation. Der Chirurg beschloss, Lucas für weitere diagnostische Untersuchungen und eine genauere Beobachtung einzuweisen.

Verlegung in die Chirurgie

Am 25. Juli um 19:00 Uhr wurde eine nasogastrale Sonde gelegt, um den Magen zu dekomprimieren und überschüssigen Mageninhalt abzuleiten. Der Patient wurde nil per os (NPO) gehalten.

Die unterstützende Therapie bestand aus intravenösem Flüssigkeitsersatz und gastroprotektiven Medikamenten.

Am 26. Juli zeigte eine weitere Röntgenaufnahme des Abdomens das Vorhandensein der nasogastrischen Sonde mit einem Apex auf Höhe des Magenfundus. Subdiaphragmatisch war keine freie Luft zu erkennen. Die Anzahl der Luft-Flüssigkeitsspiegel schien im Vergleich zur Kontrolle am Vortag reduziert. Der übrige Befund war unverändert.

Der Patient berichtete über eine deutliche Besserung der Bauchschmerzsymptome.

Die Blutuntersuchung am 26. Juli bestätigte eine mikrozytäre Anämie. Leber-, Pankreas- und Nierenfunktionen waren normal.

Am 27. Juli berichtete der Patient über keine Bauchschmerzen. Der Patient aß frei, war fieberfrei, die Bauchuntersuchung ergab keine Auffälligkeiten. Die Darmtätigkeit war normal, mit normal geformten und gefärbten Stühlen.

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A) Messung von Anti-Gewebe-Transglutaminase-IgA und Gesamt-IgA im Serum

Dies ist ein sinnvoller und nicht-invasiver erster Schritt bei einem Patienten mit persistierender mikrozytärer Anämie und intermittierenden gastrointestinalen Symptomen. Eine Zöliakie geht häufig mit einer Eisenmangelanämie einher und kann subklinisch sein. Allerdings verursacht sie nur selten akute Bauchschmerzen oder subokklusive Muster in der Bildgebung. In diesem Fall bleibt die Zöliakie zwar eine Differenzialdiagnose, würde aber die radiologischen Befunde nicht vollständig erklären.

B) Fäkales Calprotectin und gezielter Darm-Ultraschall

Morbus Crohn kann mit intermittierenden Bauchschmerzen, subokklusiven Episoden und Anämie aufgrund einer chronischen Entzündung oder Malabsorption einhergehen. Fäkales Calprotectin ist ein nützlicher nicht-invasiver Marker für Darmentzündungen, und Ultraschalluntersuchungen des Darms werden zunehmend zur Beurteilung entzündlicher Darmerkrankungen eingesetzt. Diese Tests sind zwar in bestimmten Fällen geeignet, können aber einen neoplastischen Prozess oder eine mechanische Obstruktion nicht aufdecken.

C) Stuhlkulturen und Eizellen-/Parasitentests

Da der Durchfall erst vor kurzem aufgetreten ist, sollte eine infektiöse Ätiologie in Betracht gezogen werden, insbesondere bei jüngeren Patienten. Das Fehlen von Fieber, systemischen Entzündungen oder Leukozytose sowie das Vorhandensein einer Anämie und radiologischer Anzeichen einer Subokklusion machen diese Option in diesem Fall jedoch weniger geeignet, um ein vollständiges Diagnosebild zu liefern.

D) Entlassung mit Diätberatung und ambulanter Nachsorge

Bei einem Patienten mit abklingenden Symptomen und stabilen Vitalzeichen mag diese Option sicher erscheinen. Das Fortbestehen der ungeklärten Anämie und die kürzlich aufgetretenen subokklusiven Symptome erfordern jedoch weitere Untersuchungen vor der Entlassung. Eine verfrühte Beruhigung könnte die Diagnose von schwerwiegenden Grunderkrankungen verzögern.

E) Abdominaler Ultraschall und CT-Scan mit und ohne Kontrastmittel

Eine erweiterte Bildgebung ist in diesem klinischen Szenario voll gerechtfertigt. Die Kombination aus anhaltender mikrozytärer Anämie, intermittierenden Bauchschmerzen und radiologischen Anzeichen einer Subokklusion gibt Anlass zur Besorgnis hinsichtlich einer möglichen strukturellen Läsion, einschließlich Neoplasmen wie Dünndarmadenokarzinom, Lymphom oder GIST. Ultraschall ist ein risikoarmes Mittel der ersten Wahl, und CT mit Kontrastmittel bietet detaillierte anatomische Informationen. Selbst wenn keine klassischen Krebsrisikofaktoren vorliegen, ist dieser diagnostische Schritt angemessen und oft entscheidend.

Ergebnis

Die Ehefrau des Patienten, die Ärztin ist, wandte sich an das Operationsteam, weil keine Untersuchungen durchgeführt wurden, um die Ursache der Bauchschmerzen und der mikrozytären Anämie ihres Mannes zu ermitteln. Sie äußerte ihre Besorgnis darüber, dass sich die Behandlung auf eine einfache Beobachtung ohne jegliche diagnostische Maßnahmen beschränkte. Sie fragte auch, warum noch keine Ultraschalluntersuchung des Abdomens durchgeführt worden sei. Das Operationsteam war weiterhin davon überzeugt, dass die Symptome auf eine unspezifische Bauchkolik zurückzuführen waren.

Auf Anraten seiner Frau beschloss Lucas, das Krankenhaus zu verlassen. Er wurde gegen ärztlichen Rat entlassen. Die Entlassungsdiagnose lautete unspezifische abdominale Koliken, und man riet ihm, sich auszuruhen, ausreichend zu trinken, eine leichte Diät zu halten und sich einer ambulanten hämatologischen Untersuchung zu unterziehen, um die mikrozytäre Anämie zu untersuchen.

Am 30. Juli unterzog sich Lucas in einer anderen Einrichtung einer abdominalen Ultraschalluntersuchung, bei der eine heterogene hypoechoische Läsion in der rechten Flanke auf Höhe der hepatischen Flexur des Dickdarms mit einem Durchmesser von etwa 5 cm und einer ausgeprägten Vaskularisierung festgestellt wurde.

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