Kasuistik: Eine Hautbehandlung mit Folgen

Ein 83-jährige Patient wird wegen krustiger und heftig juckender und brennender Hautveränderungen an Kopf und Brust vorstellig. Können Sie den Fall gemeinsam mit Dr. med. Viktor A. Czaika lösen?

Anamnese

Der Patient war außerdem wegen eines akuten Harnverhaltes kurz zuvor beim Urologen vorstellig geworden. Dort sei ihm ein Dauerkatheter angelegt worden. Die diesbezüglichen Beschwerden seien damit deutlich gebessert worden, nur das linke Gesäß schmerze noch. Es sei ihm auch dringend geraten worden, die Hautveränderungen so schnell wie möglich dermatologisch abklären zu lassen. Noch während des aktuellen Termins wird die Ehefrau des Patienten gebeten, die fragliche Salbe in die Praxis zu bringen. Die allgemeine körperlich Untersuchung bringt ein weitere stark entzündliche Hautläsion zum Vorschein.

Hautbefund 

Erythem und teils deutlich entzündliches Infiltrat im Bereich der gesamten Stirn und des proximalen Kapillitiums mit teils hämorrhagisch tingierten, teils impetiginisierten, sich mittel- bis groblammelär ablösenden Krusten und Schuppen. Eine ähnliche, noch stärker hämorrhagisch imbibierte entzündliche Plaquebildung findet sich großflächig (15x15 cm) und relativ scharf umschrieben im Dekolleté (Abb. 1). 

Der transurethrale Blasenkatheter liegt reizfrei an, der Urin bietet einen unauffälligem makroskopischem Aspekt (Abb. 2). 

Gluteal streng linksseitig in den Dermatomen S1 bis S4 ein düsterrotes eleviertes Erythem mit teils hämorrhagischen Vesiculae. Dieses findet sich genau in Projektion auf die vom Patienten angedeutete Schmerzregion (Abb. 3).

Abb. 1  Irritativ-toxisches Kontaktekzem in Stirn und Dekolleté
Abb. 1  Irritativ-toxisches Kontaktekzem in Stirn und Dekolleté
Abb. 1 Impetiginisierte Krusten
Abb. 1 Hämorrhagische Krusten
Abb. 2 Regelrecht anliegender, insgesamt unauffälliger Blasenkatheter mit Urinbeutel
Abb. 3 Mehrsegmentaler (S1-S4) und partiell hämorrhagischer Zoster links
Abb. 3 Mehrsegmentaler (S1-S4) und partiell hämorrhagischer Zoster links

Einschätzung und Therapie:

Im vorliegenden Fall sind drei an sich ganz unterschiedliche Diagnosen zu stellen, die aber dennoch einen ganz klaren kausalpathogenetischen Zusammenhang haben. Im Beginn der Ereignisse steht das zweifellos irritativ-toxische Kontaktekzem in Stirn und Dekolleté.

  1. Schon der anamnestische Hinweis des Patienten lässt eine flächig angewendete medikamentöse Tumortherapie gegen aktinische Keratosen vermuten. Die schließlich von der Ehefrau herbeigeschaffte "Salbe" bestätigt dies. Es handelt sich um eine 5-Fluoruracil-haltige Salbenformulierung, die obligat zu einer heftigen krustös-entzündlichen Hautreaktion führt und eigentlich nur umschrieben oder punktuell angewendet werden sollte (Abb. 4).
  2. Getriggert durch die heftige immunologische Lokalreaktion kam es zu der ausgeprägten mehrsegmentalen und partiell hämorrhagischen Zostereruption aus den Sakralganglien heraus. 
  3. Über die nervale Verschaltung mit dem Urogenitaltrakt und wahrscheinlich auch schmerzreflektorisch entstand der akute Harnverhalt, der zwar urologisch versorgt aber bis zu dem Zeitpunkt nicht kausal nachgefragt worden war. 

Das impetiginisierte irritativ-toxische Kontaktekzem erforderte zum einen eine sofortige Karenz vom ursächlichen Agenz, also von der 5-Fluorurazil-haltigen Salbe. Zum anderen war eine antiekzematös-antiinfektive Lokalbehandlung indiziert. Dementsprechend wurde eine topische Therapie mit Decoderm®Tri-Creme eingeleitet, einer Fixkombination aus dem Klasse II Steroid Flupredniden und dem Breitspektrumantimykotikum Miconazol. Das potente Steroid drängt die ekzematöse Inflammation und auch die subjektiven Symptome aus Brennen und Juckreiz rasch zurück. Miconazol wirkt nicht nur gegen Dermatophyten, Hefen und Schimmelpilze, sondern ist gleichzeitig in hoher therapeutischer Breite effektiv gegen grampositive Bakterien, die in dieser Lokalisation zu erwarten waren. Unter der Therapie kam es zu einer raschen Rückbildung des pathologischen Befundes. 

Bezüglich des schweren Zosterbefundes war im Grunde klar eine stationäre Therapie mit Aciclovir i.v. in höherer Dosierung indiziert. Der Patient allerdings lehnte eine Hospitalisierung ab. Daher wurde eine virustatische Behandlung mit Aciclovir 5x 800mg/d p.o. über 10 Tage durchgeführt. Unter einer analgetischen Therapie mit Ibuprofen 3x 800 mg/d in Kombination mit Pregabalin 3x 75mg/d p.o. konnte nahezu Schmerzfreiheit erzielt werden, eine der wichtigsten Voraussetzungen für eine Prävention bezüglich einer postzosterischen Neuralgie. Lokal kam aufgrund seiner austrocknenden und antiseptischen Wirkung Franzbranntwein zur Anwendung.

Eine aufgrund der Schwere des Zosterbefundes paraklinische und Röntgen-Thorax und Abdomensonografie enthaltende bildgebende Diagnostik konnte eine maligne oder anderweitige Ursache  für den Zoster ausschließen.

Nach Abheilung des Hautbefundes in Gesicht und Stirn konnten bei einer späteren erneuten Vorstellung leichtere aktinische Keratosen in Form kleiner graugelber Krusten im Bereich des mittleren Kapillitiums und im Dekolleté verifiziert werden. Es wurde jetzt Klysiri®10mg/g Salbe über 5 Tage flächig über den suspekten Arealen angewendet. Da die Fläche pro Behandlungszylus auf 25 cm2 begrenzt ist, wurden Stirn und Dekolleté in zwei Behandlungsansätzen behandelt. Wichtig war der Hinweis die Creme immer zum gleichen Zeitpunkt aufzutragen und Augen und Mundkontakte zu meiden. Hier war die Unterstützung durch eine Hauskrankenpflege hilfreich.

Der Wirkstoff Tirbanibulin ist seit Juli 2021 in Deutschland zugelassen. Die Substanz wirkt als Mikrotubuli-Inhibitor, indem sie selektiv an α- und β-Tubulin bindet. Dadurch hemmt Tirbanibulin die Tubulin-Polymerisation, wodurch der Zellzyklus unterbrochen und der Zelltod eingeleitet wird. Die  entarteten Epithelzellen werden über Apoptose entfernt. Durch zusätzliche Inhibition des Src-Tyrosinkinase-Signalweges wirkt es antiproliferativ. Im Gegensatz zu 5-Fluorourazil oder Imiquimod mit obligat heftiger Hautreizung und teils systemischen Nebeneffekten zeigt die Behandlung mit Tirbanibulin bei hoher Effektivität eine sehr gute Verträglichkeit mit allenfalls leichten oder moderaten Hautreizungen.

Bei der Wahl der antiviralen Behandlung des Zoster schied das Virustatikum Brivudin wegen direkter Kontraindikation aus. Brivudin hemmt den Abbau von 5-Fluorourazil und kann zu dessen systemischer und potenziell letaler Kumulation führen. Es darf daher grundsätzlich nicht angewandt werden wenn in zeitlicher Nähe eine systemische oder eben auch lokale Behandlung mit 5-Fluorourazil erfolgt ist. Grundsätzlich aber ist Brivuidin ein hervorragendes Zostertherapeutikum, das im Vergleich zu Aciclovir effektiver, nebenwirkungsärmer und präventiver bezüglich postzosterischer Neuralgie wirkt.

Fazit

Gerade ältere Patienten machen oft unklare und unvollständige anamnestische Angaben. Gerade hier ist eine vollständige körperliche Untersuchung wichtig, da sonst möglicherweise wichtige und in Zusammenhang stehende und schließlich diagnoseklärende Befunde übersehen werden. Ganz wesentlich ist auch die kurzfristige interdisziplinäre Zusammenarbeit. Im geschilderten Fall konnte die Pathokausalkette aus irritativ-toxischem Kontaktekzem, dadurch getriggertem Zoster und konsekutivem Harnverhalt aufgeklärt, adäquat therapiert und zur Abheilung gebracht werden. 

Mehr Wissenswertes zur Diagnose dermatologischer Erkrankungen

Dr. med. Viktor A. Czaika ist auch Referent auf dem Hausarzt-Tag. Die Hybrid-Fortbildungsreihe der esanum academie bietet Hausärztinnen und Hausärzten einen umfassenden und aktuellen Überblick über alle wichtigen Fachbereiche, die für ihre tägliche Praxis von Bedeutung sind.

Mehr Fallbeispiele aus der Praxis zum Miträtseln finden Sie in unserer Rubrik "Kasuistik".