Einsparpotenziale im Gesundheitssystem: Jenseits der Krankenhausbetten

Dr. Steffen Grüner identifiziert massive Einsparpotenziale: Überteuerte Digitalisierung, 100 Krankenkassen und Doppelstrukturen belasten das System unnötig. Wo Milliarden verschwendet werden.

Bürokratie, Digitalisierung, Doppelstrukturen – es gibt jede Menge Einsparpotenzial

Ich vertrete die Auffassung, dass es im deutschen Gesundheitswesen keineswegs an finanziellen Ressourcen mangelt. Mit rund 500 Milliarden Euro jährlich – das entspricht etwa 13 Prozent des Bruttoinlandsprodukts – verfügt das System über eine der höchsten Finanzierungsquoten weltweit. Es ist ohne Zweifel außerordentlich leistungsfähig, zugleich aber auch außerordentlich kostenintensiv. Gerade angesichts dieser Dimensionen ist eine kritische Analyse geboten, ob die eingesetzten Mittel tatsächlich effizient und zielgerichtet verwendet werden, oder ob strukturelle Fehlanreize und Bürokratie Teile der Ressourcen binden, die besser in Versorgung und Prävention investiert wären.

Betten sparen? Nicht unbedingt!

In der Zeitung steht oft, wir hätten viel zu viele Krankenhausbetten. Aber das ist eben auch ein Leistungsmerkmal unseres Gesundheitssystems. Wir haben es bei Corona erlebt. In Heinsberg gab es ein Super-Krankenhaus, das ganz viele kleine geschluckt hatte, und als das dann mit Corona "verseucht" war, musste man sehr viele Umwege fahren, um die Patienten weiter versorgen zu können. Es kann also in Krisen ein Vorzug sein, wenn es Redundanzen gibt. Sparsamkeit ist hier also nicht unbedingt zu befürworten. 

Die Erfahrung zeigt leider auch: Wenn Krankenhäuser geschlossen werden, geht die Hoffnung, das freiwerdende Personal dann in einer größeren Einheit zusammenzufassen, nicht unbedingt auf. Maximal 30 Prozent gehen tatsächlich an das neue Superkrankenhaus, die anderen hören entweder ganz auf oder machen beruflich etwas anderes. So gehen wertvolles Personal und Kompetenzen verloren.

Zu teure Digitalisierungs-Tools

Ein wichtiger Punkt ist im Zusammenhang mit Einsparungen dagegen die Digitalisierung, die Telematik-Infrastruktur. Pro Jahr geht rund eine Milliarde für diesen Bereich raus, dennoch ist die ePA fehlerhaft und der Stau auf der Daten-Autobahn für elektronische Rezepte ist erheblich. Server fallen aus, die Gematik produziert jede Menge Fehlermeldungen. Ich denke auch an die Konnektoren, also vom BSI zertifizierte Fritz-Boxen, die man als Niedergelassener braucht, um am Datentransfer teilzunehmen. Grob geschätzt ist deren Materialwert 100 Euro. Doch sie werden für 2500 Euro aufwärts verteilt und müssen alle fünf Jahre erneuert werden. Selbst die Gematik sagt, dass diese überteuerten Fritzboxen nicht der Weisheit letzter Schluss sind. Auch der Heilberufsausweis kostet alle fünf Jahre 500 Euro, obwohl er vermutlich für ein paar Euro hergestellt wird. Diese verauslagten Gelder holen sich die Praxen teilweise natürlich von den Kassenärztlichen Vereinigungen zurück. Da wäre also jede Menge Einsparpotential. 

Eigenverantwortlichkeit der Patienten fördern

Was mir als Hausarzt sehr am Herzen liegt, ist die Eigenverantwortlichkeit der Patienten. Es gibt Grundkompetenzen, die nach und nach verloren gehen: Was ist gesund, was krank? Was tun, wenn das Kind Fieber hat? Wie verhalte ich mich bei Magen-Darm? Kurz gesagt: Es kommen viele in die Sprechstunden, bei denen es nicht unbedingt nötig wäre. Die Unsicherheit nimmt zu. Auf Hausmittel wird zu wenig zurückgegriffen. Man könnte als Hausarzt beispielsweise den Schulen anbieten, mal über diese Themen zu referieren. Ich persönlich wäre bereit, das zu tun. Und sicher auch andere Kollegen. Man könnte aber auch über das Schweizer Modell nachdenken. Da wird derjenige Patient am Ende des Jahres belohnt, der bestimmte Pfade einhält, dafür erhält er beispielsweise eine Rückerstattung seiner Beiträge von 10 Prozent. Auch präventive Programme könnten so gefördert und belohnt werden. Also verantwortungsvolles Verhalten sollte mit Anreizen systematisch gefördert werden. 

Minenfeld: Versicherungsfremde Leistungen 

Experten sagen, man könnte die Kassen um rund 20 Milliarden entlasten, wenn die versicherungsfremden Leistungen aus dem System ausgelagert würden. Das ist teilweise sozialpolitischer Sprengstoff, aber man muss zumindest einmal darüber nachdenken. Dazu gehören die Familienversicherung, sowie auch die Versorgung von Menschen, die noch nie eingezahlt haben, weil sie neu dazu kommen. Muss das der gesetzlichen Krankenversicherung aufgebürdet werden? Muss es da nicht fairerweise Zuschüsse und Kompensationen aus dem Haushalt geben? 

Verwaltung und Bürokratie

Wir haben rund 100 Krankenkassen, mit Vorständen, die teilweise mehr als der Bundeskanzler verdienen. Muss das sein? Wie wäre es, wenn wir uns auf fünf Krankenkassen einigen würden? Manche sagen sogar: eine reicht. Aber ein Wechsel der Kasse sollte doch weiter möglich sein. Das wäre angemessen. Sozialpolitiker sagen, dass da fünf bis 10 Milliarden einzusparen wären. In unserer Landarztpraxis leisten wir uns einen Praxismanager, der Versicherungsanfragen, Beihilfe-Gesuche, etc. bearbeitet. Der muss natürlich bezahlt werden, aber das machen wir, denn ich möchte lieber Patienten behandeln. Ich sehe jedenfalls bei der Bürokratie auch auf Praxisebene viel Einsparpotenzial.

Doppelstruktur: Berufsgenossenschaften

Und zuletzt: Wir leisten uns ja zwei Schienen. Ich meine, zusätzlich zu den Kassen die Berufsgenossenschaften, samt Immobilien und Bürokratie. Warum diese teure Doppelstruktur? Warum können Berufsunfälle nicht auch von den Krankenkassen gemanagt werden? Es wäre ein großer Wurf, das Gesundheitswesen zu sanieren, wenn man das ändern würde. Es ist natürlich leider so, dass man mit einem Arbeitsunfall oder Wegeunfall bei der Berufsgenossenschaft deutlich besser versichert ist. Aber man könnte doch überlegen, die beiden Schienen zusammenzulegen, ohne den Versicherten etwas wegzunehmen.