Pornosucht und Libidoverlust: Ein wachsendes gesellschaftliches Problem

Pornosucht ruiniert Beziehungen und fördert jugendlichen Libidoverlust. Ein Tabuthema, das klare Gespräche erfordert.

Libidoverlust durch Pornosucht – längst keine Seltenheit mehr

Als Sexaltherapeutin werde ich immer öfter mit dem gestiegenen Pornokonsum in unserer Gesellschaft konfrontiert. Eine 17-Jährige, die wegen einer Zwangsstörung bei mir in Therapie ist, berichtet, dass sie herausgefunden hat, dass ihr Freund Pornos guckt. Das hat sie schockiert. Sie ist altersentsprechend naiv und romantisch veranlagt und sie schläft auch mit ihm. Sie sei doch glücklich mit ihm, sie haben doch Sex miteinander – und dennoch schaut er ziemlich häufig Pornos. 

Eine Mitte 50-Jährige kommt wegen Libidoverlust in meine Sprechstunde. Doch es geht nicht etwa um ihren eigenen Libidoverlust, eventuell verursacht durch die Wechseljahre, wie man vermuten könnte, sondern um den ihres Mannes. Und der männliche Libidoverlust in Beziehungen korrespondiert eben häufig mit einem Pornokonsum. Auf meine entsprechende Nachfrage bricht dann auch alles aus meiner Patientin heraus. Seit vielen Jahren ginge das so, und es werde immer schlimmer. Ich sehe, nicht nur hier, extreme Auswirkungen von Pornosucht auf Paarbeziehungen.

Problematisch wird Pornokonsum, wenn Männer allein gucken und sich zurückziehen

Sehr vieles in der menschlichen Existenz bewegt sich in einem Kontinuum zwischen normal bis pathologisch. Viele würden sicher sagen: gelegentlich mal mit dem Partner, der Partnerin einen Porno anschauen, ist durchaus sexuell stimulierend. Man kann sich gegenseitig heiß machen, etwas lernen, was man noch nicht kannte. Das sei doch schön. Andere würden sagen, das käme für sie nicht in Frage, das entspräche nicht ihrem Moralempfinden. Zwischen diesen beiden Polen bewegt sich das Kontinuum. Der problematische Pornokonsum beginnt dann, wenn Männer, und es sind fast immer Männer, beginnen, Pornos allein zu gucken, wenn sie sich immer mehr zurückziehen. Dann wird das zu einem Beziehungsproblem. Der Graben zwischen den Partnern wird größer, weil gewöhnliche sexuelle Reize wie Hautkontakt, Küsse, Stimulation nicht mehr für einen sexuellen Kick ausreichen. 

Pornografisches Bildmaterial auf Handys – für ein junges Gehirn extrem eindrücklich 

Sorgen macht mir die wachsende Verfügbarkeit von Pornografie für Kinder und Jugendliche. Pornografische Darstellungen gab es zwar schon seit Menschengedenken. Und so manches Kind hat in einer der unteren Schubladen bei den Eltern so etwas gefunden und war fasziniert bis schockiert. Aber es war Printmaterial, es war seltener verfügbar, es war schambehaftet, es war für Erwachsene. Das hat sich extrem verändert. Kinder haben oft schon in der Grundschule ein Smartphone, und lange nicht alle sind abgeriegelt, was die Verfügbarkeit von Online-Diensten betrifft. Verantwortungsvolle Eltern tun das, andere nicht. Sodass es ein Leichtes ist, an pornografisches Material heranzukommen. Ab spätestens elf, zwölf Jahren wird konsumiert – vor allem von den Jungs. Auf dem Pausenhof kommen alle zusammen, da schützt auch nicht, dass Eltern das Handy ihres Sohnes abgesperrt haben. Nun ist entscheidend, wie oft und wie intensiv das passiert. Guckt das Kind jemandem mal über die Schulter oder hat es die einschlägigen Seiten auf dem eigenen Handy? Das macht einen Riesenunterschied. Kinder, die den ganzen Tag allein mit ihrem Smartphone verbringen, sind ganz bestimmt gefährdeter. Während Kinder, die ein Programm im realen Leben haben, deren Eltern auch mal schauen, was das Kind mit dem Handy macht, tendenziell geschützter sind. 

Enormes Suchtpotenzial – Inhalte und Frequenz steigern sich 

Und auch was Pornos mit den Kindern machen, ist sehr heterogen. Kinder, die verbindliche zwischenmenschliche Beziehungen gewohnt sind, die Zärtlichkeit, Körperkontakt erfahren, im nicht übergriffigen Sinne, die erleben, wie Zuneigung körperlich ausgedrückt werden kann, fühlen sich von Pornos eher nicht so extrem angezogen. Die erleben nicht so verheerende Veränderungen im Gehirn wie Kinder, die völlig haltlos groß werden, keine sichere Bezugsperson haben, die sich emotional selbst überlassen sind. Ihnen fehlt oft ein Korrektiv, es fehlen die Gegenentwürfe, für sie wird Pornografisches zur Realität. Das gilt ja auch für Schönheitsideale, für Hochglanzbilder auf Instagram. Und das ist das Fatale. 

Pornos zeigen einen bestimmten Aspekt von Sexualität, der nicht der Realität entspricht, und da kommt es im besonders formbaren jugendlichen Hirn zu Realitätsverzerrungen. Was transportiert wird, ist, dass Frauen immer verfügbar sind, dass sie wild durchgebumst werden wollen, es geht vor allem um die Befriedigung von einem der beiden, es gibt keine Grenzen, und das wird im Gehirn zu Normalität und Realität. Und das entfaltet ein Suchtpotenzial. Bilder sind unglaublich wirksam fürs Gehirn, sie rufen Dopamin – also Belohnungseffekte hervor. Es findet zeitgleich häufig eine Masturbation statt und der Kick nimmt wieder ab – Inhalte und Frequenz müssen sich steigern. Es wird heftiger, brutaler, perverser. Die Häufigkeit steigt. Die Betroffenen masturbieren nicht einmal am Tag, sondern zehnmal – bis der Penis blutig ist. Das hat nichts mehr mit Lust zu tun.

Bis 20 Jahre soll das Gehirn ausgereift sein, bis dahin ist es besonders formbar. Und wenn dann quasi toxische Bilder darauf treffen und parallel dazu die lebensrealen Bilder fehlen, wird das extrem prägend. Natürlich wird es eine Diskrepanz geben, wenn so ein, sagen wir, 15-Jähriger Junge ein gleichaltriges Mädchen datet. Der kann mit seinen Bildern und seinen Erwartungen nicht landen. Mädchen konsumieren signifikant weniger Pornos, sie ekeln sich eher davor. Dann kommt es zu Frust und entweder zu Gewalt oder noch tieferem Vergraben in der Pornosucht. Hier sehe ich die Gefahr von irreparablen Schäden.

Zu mir kommen die Co-Abhängigen in Therapie

Nun kommen ja diese Suchtkranken nicht zu mir in die Therapie. Sie müssten zur Therapie eher durch externe Faktoren gezwungen werden. Es gibt ganz wenige Möglichkeiten im therapeutischen Bereich was die Pornosucht anbelangt. Es müsste eigentlich ein kalter Entzug sein – ein sofortiges Weglassen von jeglichem pornografischen Bildmaterial. Das ist extrem schwer zu bewerkstelligen. Und ich behandle auch keine Suchtkranken. Aber ich erlebe die Mitbetroffenen, die Co-Abhängigen. Und da muss klar das Suchtproblem benannt werden. Das mache ich auch. Meine Aufgabe ist es, Dinge klar zu benennen, denn die Menschen sehen das oft nicht. 

Ich möchte also, dass meine Patientin aus dem Eingangsbeispiel ins Nachdenken kommt. Ich möchte sie anregen, darüber nachzudenken, was das mit ihr macht, was macht das mit ihrem Freund? Ich frage also: Was schaut ihr da gemeinsam? Welche Inhalte? Und mache die Anamnese, ob es ein suchtartiges Verhalten ist oder nicht. Zieht er sich aus der Paarsexualität zurück? Inwieweit verletzt das ihre Grenzen? Wenn Grenzen verletzt werden, hört der Spaß halt auf. Dann kann ich schon den Rat geben, das mit ihm zu besprechen, und wenn er weiter über ihre Grenzen geht und sie verletzt, sich durchaus auch zu trennen.

Meine ältere Patientin aus dem zweiten Beispiel lebt in einer kaputten Ehe, sie ist faktisch co-abhängig, etwa wie die Partnerin eines Alkoholikers. Ich sage ihr, wie sie sich um sich selbst kümmern kann. Sie kann sagen: Wenn du keinen Entzug machst, gehe ich. Die Libido wird sich allerdings nie wieder einspielen, einmal, weil das Belohnungssystem bei einem Suchtkranken zerstört ist und zweitens, weil die Beziehungsebene kaputt gegangen ist. Das Therapie-Thema ist also: Befreie dich aus der Co-Abhängigkeit.

First Line: Reden wir darüber, schauen wir nicht weg!

Wir müssen wissen, dass mit der wachsenden Verfügbarkeit dieser Inhalte die Problematik insgesamt zunimmt. Diese Fälle werden häufiger, die Betroffenen werden jünger. Und das macht vor keiner gesellschaftlichen Schicht Halt. Menschen, die schnell Druck abbauen wollen, greifen zum Alkohol, zur Zigarette, zu Koks – oder eben zum Porno. 

Was tun? An meine Arztkollegen kann ich nur appellieren: Es geht vor allem um Kinder und Jugendliche. Und Ärzte sind auch oft selbst Eltern. First Line ist also: Guckt bei den eigenen Kindern hin! Geht ins Gespräch – das Thema Porno bloß nicht verdrängen!