Die Angststörungen und Depressionen haben seit Corona deutlich zugenommen. Bei 5.5 Millionen Menschen wurde laut Deutsche Angestellten Krankenkasse 2023 eine Angststörung diagnostiziert – eine Steigerung gegenüber 2008 um 77 Prozent.
Mich beschäftigt als Psychotherapeutin: Wie gehen wir damit um?
Ich bin 2020, am Anfang der Pandemie, an die Charité gekommen. Mein Auftrag war, ein Versorgungsnetz zu bauen für Menschen, die an Corona erkrankt sind und Betreuung brauchen. Ich habe dann im Rahmen des Post Covid Netzwerkes eine psychosomatische Betreuung angeboten. Dadurch habe ich viele Menschen erlebt, die unter Post Covid litten, aber auch andere, die Ängste hatten, die sie in ihrem täglichen Leben einschränken.
Angst ist ja absolut menschlich und physiologisch klar wahrnehmbar. Ängste haben eine wichtige Funktion, sie können uns vor Gefahren schützen. Aber pathologische Angst, die uns dazu bringt, Dinge zu vermeiden, die unsere Freiheit einschränkt, das Denken beeinträchtigt, weil die Gedanken kreisen, die ist dann behandlungsbedürftig. Und diese Ängste habe ich in der Folge von Covid vermehrt gesehen. Da gab es die Fragen: Was macht mein Körper? Ich verstehe ihn nicht. Ich kann beruflich nicht mehr so weitermachen. Corona war der Einstieg in die Veränderung von Lebensumständen. Wir mussten staatlichen Vorgaben folgen, und nachdem das vorbei war, kam ein Krieg mitten in Europa vor unseren Türen. Da war wenig Zeit, um in die Normalität zurückzukehren. Hinzu kamen politische Tendenzen, die man oft nicht mehr richtig einschätzen konnte. Das alles hat ohnehin ängstlichen Menschen nicht gut getan. Dadurch wurden pathologische Angststörungen begünstigt. Die Menschen haben sich sozial zurückgezogen, das hatte auch berufliche Auswirkungen, es gab Probleme, die Familie, die Kinder zu versorgen.
Wir hatten eine Post-Covid-Gruppe, da konnten wir einigen helfen. Ich habe mir als Ärztin natürlich alle Befunde angesehen, mit den Patienten geschaut, ob es etwas gibt, das vielleicht übersehen wurde. Oder ob wir noch weitere Untersuchungen brauchen. Und wenn es keinen Anhalt gab, der auf körperlicher Ebene Hinweise liefert, hieß das nicht, dass die Ängste unbegründet sind. Die Angst ist da und wir müssen sehen, wie wir damit umgehen.
Inzwischen hat sich etwas verändert. Wer heute mit Ängsten kommt, bezieht sich nicht mehr auf Corona. Wir sehen deutlich mehr Patienten, die ängstlich bezüglich ihres Körpers sind. Sie sagen nicht: Ich fürchte mich vor einem Krieg. Sie sagen: Ich habe Angst, dass ein Herz stehen bleibt. Dann kümmern wir uns um das Herz, machen beispielsweise ein EKG etc. und sprechen darüber. Ein Wirkfaktor ist auch der verlässliche Rahmen, in dem wir damit umgehen. Es gibt wöchentliche Termine, es hilft der Gedanke: Wahrscheinlich ist nächste Woche noch kein Krieg ausgebrochen. Und wenn Ängste auftreten, weiß man: In ein paar Tagen bekomme ich Hilfe und Zuwendung. Diese Verlässlichkeit ist für manchen Patienten mehr, als er durch seine Eltern erfahren durfte. Er weiß: da klingelt nicht das Telefon, da kann ich mich drauf verlassen. Und ich kann auch eine Trennung aushalten, wenn die Therapeutin mal in den Urlaub geht. Auch das kann man für die Therapie nutzen, indem Verbindlichkeit erlebt werden kann. Auch das ist in unserer Gesellschaft nicht mehr selbstverständlich.
Ich habe den Eindruck, dass die Zunahme von Ängsten ein Ausdruck dafür ist, dass man nicht mehr so einfach aufeinander zugehen kann, dass das Netzwerken schwieriger geworden ist. Doch was uns Menschen reich macht, uns entwickeln lässt, uns besonders macht, das ist nun einmal die menschliche Beziehung. Unsere Erfolgsgeschichte als Menschen beruht auf der Fähigkeit, sich mit anderen zu arrangieren und in Systemen gemeinsam zu wirken. Diese Interaktion wird erschwert, wenn Menschen ängstlicher werden. Und ich habe den Eindruck, dass in den jüngeren Generationen die Fähigkeit zum Austausch nicht zunimmt. Sie haben scheinbar eine ganz neue Art des Miteinander entwickelt. Die Hand geben, in die Augen schauen – das scheint verloren zu gehen. Das ist nicht unerheblich. Sie lernen sich auch eher über Apps kennen, als über persönlichen Kontakt. Ich möchte nicht bewerten, was besser oder schlechter ist. Doch die Art und Weise der Kontaktaufnahme ist anders. Es ist leichter, Gefühle und Gedanken auf ein fiktives Bild zu projizieren, als den Aufwand zu betreiben, in eine echte Beziehung zu gehen. Es hat ein großer Wandel stattgefunden – angeregt durch den Virus, der vielen Angst gemacht hat. Dinge wie Trost spenden, Halt geben, fallen durch zunehmende Distanzierung eher schwerer. Da gibt es weniger Umarmungen, man hat weniger Körperkontakt, aber Menschen brauchen das eben auch. Das hat Auswirkungen. Die Gesellschaft ist dadurch weniger resilient, weil feste Bezugspunkte wegfallen.
Wer einmal die Idee hatte, Vater Staat kümmert sich um alles, ist möglicherweise enttäuscht worden. Es wurde beispielsweise als große Kränkung empfunden, dass in der Pandemie zunächst nicht ausreichend Material vorhanden war, mit dem sich das Krankenhauspersonal schützen konnte. Das war sicher nicht in Ordnung. Aber die Idee, dass mich der Staat vor allen Risiken und Eventualitäten schützt, ist auch illusorisch. Das ist nicht leistbar. Wir haben keinen Krieg im Land, wir haben ein soziales Netz, das ist gut – aber wir können uns nicht darauf verlassen, dass alles für uns geregelt ist. Das haben manche erst in der Corona-Zeit realisiert. Da sind manche Lebenskonzepte kaputt gegangen. Und wer die Vorstellung hatte, dass alles wasserfest gesichert ist, fällt dann eher in eine Depression, wenn das plötzlich nicht mehr so ist. Vielen wurde so die Sehnsucht nach Stabilität und Sicherheit zerstört. Und diese Enttäuschung macht sie nicht gesünder. Hier schließt sich der Kreis – das alles begünstigt Angststörungen und Depressionen.