Zu meiner ersten Kolumne auf dieser Seite kamen viele Kommentare und Fragen von Kolleginnen und Kollegen. Vielen Dank dafür! Das zeigt mir, dass meine These, Sexualmedizin sei nicht nur für Gynäkologen relevant, vollkommen richtig ist und von vielen geteilt wird.
So fragt ein Kollege, ein Allgemeinmediziner: “Welche Felder werden von Patientinnen bespielt, wobei es eigentlich um den Bereich Sexualität geht? Wie baue ich empathische Fragen zum Sexualleben ein?” Grundsätzlich möchte ich sagen, dass man die Kommunikationstools über offene Fragen der Sexualmedizin erlernen und trainieren kann. Aber ehe man sich der Mühe unterzieht, kann jeder diese einfache Frage stellen: “Wie zufrieden sind Sie mit Ihrem Sexualleben?" Es geht ja immer darum: Was sind geschickte, wenig indiskrete Fragen. Und dies ist eine davon. Was sind also einfache , um überhaupt mit Patienten ins Gespräch zu kommen. Stellen wir uns einen Patienten vor, der von ständigen geplagt ist oder der beim Allgemeinarzt einfach nur zum Checkup kommt – da wäre diese einfache Frage durchaus angebracht. So kann man die Frage der Sexualität wie selbstverständlich einbauen. Das ermöglicht dem Patienten zu sagen: Alles gut. Oder auch: Ja, wo Sie es ansprechen, bei mir klappt das nicht und bei meinem Mann ist jenes schwierig – weil Frauen oft für ihre Männer sprechen. Auch wenn man ganz offen fragt: Gibt es Schwierigkeiten in ihrem Sexualleben, haben Menschen dagegen die Möglichkeit zu sagen: Ja, Nein, Vielleicht. Selbst wenn ein Patient sich nicht ad hoc dazu äußern kann oder möchte, schafft diese Frage eine Brücke. Das Signal ist nämlich: Grundsätzlich kann ich mit meinem Hausarzt auch über Sexualität reden. Möglicherweise dann beim nächsten Mal oder zwei Jahre später. Auch uns Fachärzten begegnet es durchaus, dass Patienten sagen: “Sie haben mich das vor vier, fünf Jahren mal gefragt. Und jetzt wird das aktuell für mich.”
Wichtig ist dieses symbolische Signal: Sie können mich auch auf dieses Thema ansprechen! Ein anderes Beispiel: Der Hausarzt hat einen Infarktpatienten in der Nachsorge. Dem wird gesagt, er müsse sich schonen, es solle auf seine kardiale Belastung achten. Da stellt sich die Frage: Darf ich jetzt noch Sex haben? Auch die Partnerin möchte das vielleicht wissen. Da würde man die Brücke wie folgt bauen: "Viele meiner Patienten nach Herzinfarkt sorgen sich um ihre Belastungsgrenze, zum Beispiel auch bei der Sexualität. Beschäftigt Sie das auch?” Das ist eine Gesprächsbrücke, auf die der Patient gehen kann oder auch nicht.
Die Empathie dabei hat natürlich auch mit einem selbst zu tun. Wie empathisch bin ich tatsächlich, wie sehr kann ich mich in einen Menschen einfühlen. Das ist auch unter Ärzten unterschiedlich. Und dann ist da noch die Frage: Wie stehe ich selbst zur Sexualität? Alle diese Gespräche haben auch viel mit einem selbst zu tun.
Ein Kollege, auch Allgemeinmediziner, schreibt in die Kommentare, er spreche bei bestimmten , bei möglichen Nebenwirkungen von Medikamenten, bei vorübergehend bestehenden Gesundheitsproblemen und altersbedingten Sexualproblemen grundsätzlich die Sexualität an. Diesen Kollegen kann ich nur loben. Das ist wirklich toll. Und er kann sein Engagement durchaus ausweiten. Auch bei vielen Antihypertensiva, bei Metformin, bei Fettstoffwechselsenkern, die sehr viele Menschen nehmen, kann man einen wunderbaren Einstieg in das Thema Sexualität finden.
Zum Kommentar eines gynäkologischen Kollegen bezüglich der Weiterbildung in Sexualmedizin: “Es ist nicht sinnvoll, noch eine zusätzliche Zertifizierung einzuführen. Entweder man interessiert sich für das Thema oder nicht” möchte ich sagen: Ich gebe ihm grundsätzlich recht. Es ist auch okay, kein Interesse an dem Thema zu haben – obwohl ich das persönlich bedaure. Und es geht auch nicht um eine Zertifizierung, sondern eventuell um eine auf hausärztliche Bedarfe zugeschnittene Weiterbildung als Angebot.
Ein weiterer Allgemeinmediziner stellt im Kommentar fest: “Niederschwellige Gesprächsangebote führen überraschend häufig zu entlastenden Gesprächen und Problemlösungen… Einfach neben den Fragen zu Symptomen oder dem allgemeinen Wohlbefinden auch nach der zu fragen, verändert die Gesprächsqualität. Die Aufklärung, dass manche Erkrankungen und viele Medikamente die Potenz und das Sexualerleben beeinflussen können, halte ich für obligat. Das größte Problem für uns Ärzte ist: “Es gibt kaum Sexualmediziner, an die wir verweisen können.” Auch hier ein großes Lob! Die Basisarbeit ist das Entlasten, das Aufklären, das Normalisieren von Themen rund um die Sexualität. Das verändert das Vertrauensverhältnis zwischen Arzt und Patient nachhaltig. Und ja, leider ist es schwierig, Sexualmediziner zu finden. Das ist ein strukturelles und auch ein finanzielles Problem, weil das eine Selbstzahlerleistung ist. Allerdings müssen die meisten auch gar nicht zu einem Spezialisten. Vieles können Allgemeinmediziner mit bestimmten Basiskompetenzen selbst machen. Dass oft die Zeit dafür fehlt, ist unser aller Problem.
Ein weiterer Kommentar bezieht sich auf die Sorge, dass “Sexualerziehung im Kindergarten” das komplexe Thema sicher nicht besser macht. Das ist tatsächlich eine sehr wichtige Frage. Ich denke, eine gute Aufklärung der Kinder über den menschlichen Körper, insbesondere die Fortpflanzungsorgane, wäre sehr wünschenswert. Es wird jedoch oft schlecht umgesetzt. Immer noch läuft Sexualerziehung verhuscht beim Biolehrer, schnell anhand von Penis in der Scheide, dann Orgmasus und dann kommt das Baby. Fertig. So wird grundlegendes Wissen in diesem Bereich überhaupt nicht vermittelt. Ich wünsche mir eine bessere Wissensvermittlung über Sexualität.
Dass sich inzwischen auch politische Dinge da hineinmischen, ist zusätzlich verwirrend. Ich bin total genderoffen. Aber ich gehe da immer vom Häufigen zum Seltenen. Wir können es drehen und wenden, meist geht es doch um Männlein und Weiblein, die Kinder bekommen. Natürlich kann man altersangemessen auch über alles andere reden, über die etwa. Aber besser erst, wenn das Grundlegende geklärt ist.
Eine Kollegin schreibt dazu: “Meine Kinder profitieren davon, dass offen über diese Themen gesprochen wird, und zwar nicht nur zuhause. Es geht hier darum, neutrale Wörter für Körperteile zu ermöglichen und ohne Scham darüber sprechen zu können. Und es geht sehr viel um Prävention von Missbrauch, der noch immer viel zu weit verbreitet ist”. Ja, auch ich finde es sehr wichtig, Kinder zu ermutigen, ihre Körpergrenzen zu verteidigen. Es muss klar sein: Ich werde nur von denen körperlich berührt, von denen ich das möchte. Doch in vielen Elternhäusern findet diese Prävention so nicht statt.
Erschwerend und verwirrend kommt die stete Präsenz von Pornos im Internet hinzu. Es gibt gute Studien dazu, bei welchen Kindern die Anziehung von Pornografie besonders stark wirkt und welche stabiler damit umgehen können. Und ich sehe auch in meiner Praxis durchaus junge Mädchen, die sehr verunsichert sind, wie sie mit dem Pornokonsum ihres Freundes umgehen sollen. Auch erlebe ich, dass sich hinter Libidoverlust und Erektionsstörungen häufig genug Pornokonsum oder sogar eine Pornosucht versteckt. Aber das ist ein gutes Thema für die nächste Kolumne.
Entdecken Sie im ersten Teil unserer Serie , warum Sexualmedizin weit über den gynäkologischen Bereich hinausgeht und welche Rolle sie in der täglichen Hausarztpraxis einnehmen sollte.