Schwangerschaftsabbruch zeitgemäß regeln: Wir müssen mal wieder von vorn anfangen!

Prof. Mandy Mangler findet die Debatte um Schwangerschaftsabbruch in Deutschland veraltet. Die Entkriminalisierung ist längst überfällig.

Bestimmung über den eigenen Körper

Eigentlich meint man, dass das Thema Selbstbestimmung über den eigenen Körper heute keine Rolle mehr spielen sollte. Menschen treffen vielfältige Gesundheitsentscheidungen bezüglich des eigenen Körpers, als Ärzte und Ärztinnen haben wir uns von hierarchisch-direktiver Behandlung zu partizipativer und ermächtigender Kommunikation entwickelt. Und dennoch bleibt in Deutschland hartnäckig eine patriarchale Bevormundung bestehen, die in anderen Ländern längst der Vergangenheit angehört. Es geht darum, ob Frauen über ihren eigenen Körper entscheiden dürfen und Schwangerschaftsabbrüche stigmafrei als Gesundheitsleistung erhalten dürfen. 

In Deutschland haben wir vor wenigen Wochen erneut zementiert, dass wir eine konservative Gesellschaft sind und Frauen dies nicht zugestehen. Damit haben wir uns in den letzten Jahren anscheinend im Kreis gedreht und nichts erreicht, außer eine erstaunliche Rückwärtsgewandtheit zu beweisen.

Was ist in letzter Zeit passiert ist – eine gynäkologische Rekapitulation:

Der ehemalige Gesundheitsminister Jens Spahn hatte in seiner Amtszeit eine Studie in Auftrag gegeben, die sich mit psychischen Folgen von Schwangerschaftsabbrüchen beschäftigen sollte. Kluge Aktivistinnen konnten ihn überzeugen, dass dies zu monodimensional gedacht ist und doch besser die gesamte Versorgungslage in Deutschland umfassend untersucht werden solle. Daraufhin hat Jens Spahn die ELSA-Studie unterstützt. Diese wurde erfolgreich umgesetzt und ist in Deutschland die beste wissenschaftliche Studie zum Thema Schwangerschaftssabbrüche. Die Forschungsgruppe hat verschiedene Facetten des Themas ungewollte Schwangerschaft und Schwangerschaftsabbrüche untersucht, beispeilsweise die Erreichbarkeit von Schwangerschaftsabbrüchen, ob der Zugang zu Abbrüchen unkompliziert ist, ob die ungeplant Schwangeren stigmatisiert werden, warum Abbrüche erfolgen und welche Hürden Gynäkologen und Gynäkologinnen damit haben. Als die Ergebnisse der klugen ELSA-Studie publiziert wurden, war Jens Spahn schon längst nicht mehr Minister. Der nächste Gesundheitsminister, Karl Lauterbach, stand nun vor der Herausforderung sich des Themas anzunehmen. So richtig wusste er auch nicht, was er tun sollte, also setzte er eine Regierungskommission ein. Diese sollte verschiedene wichtige Themen bearbeiten, hauptsächlich Schwangerschaftsabbruch, Leihmutterschaft und Eizellspende. Die Regierungskommission bestand ausschließlich aus Frauen und zwar aus Ethikerinnen, Juristinnen und immerhin einer Gynäkologin. Es wurde ein Statement von 600 Seiten verfasst – davon circa 300 Seiten zum Schwangerschaftsabbruch. Dabei handelt es sich um eine sehr detaillierte juristisch, ethisch und gynäkologisch hergeleitete Erörterung, die unsere Gesetzeslage, ethische Fragestellungen und medizinisch-gynäkologische Fragen beantwortet. Im März 2024 wurde das Statement der Regierungskommission veröffentlicht und ist jetzt also ein Jahr alt. Die Regierungskommission kam ganz klar zu dem Schluss, es sei juristisch, ethisch und gynäkologisch nicht haltbar, Abbrüche von Schwangerschaften im Strafgesetzbuch zu verankern. Sie sollten außerhalb des Strafgesetzbuchs geregelt sein. Und statt einer Beratungspflicht sollte es eine Beratungsmöglichkeit geben.

Entkriminalisierung von Schwangerschaftsabbrüchen

Das brachte Karl Lauterbach natürlich in Zugzwang. Ab Oktober 2024 gab es dann zusätzlich eine gemeinsame Initiative von zahlreichen Organisationen wie „Doctors for choice“ und „Abtreibung legalisieren“, die sich mit zahlreichen bekannten Unterstützerinnen zusammengetan haben. Die Initiative verlangte, die Ergebnisse der Regierungskommission noch in der laufenden Legislaturperiode umzusetzen – mit dem Ziel der Entkriminalisierung von Schwangerschaftsabbrüchen. Für die Menschen, die Schwangerschaftsabbrüche benötigen und für die Menschen, die als medizinisches Personal Schwangerschaftsabbrüche begleiten, ist es enorm wichtig, dass sich die Regelung dazu nicht im Strafgesetzbuch wiederfindet. Die Kriminalisierung einer medizinischen Leistung und unserer ärztlichen Tätigkeit ist weder zeitgemäß noch demokratisch. Wer möchte schon einen Teil seiner Arbeit im Strafgesetzbuch geregelt finden…

Laut Befragung 80% Befürworter

Die Initiative hatte viele Unterstützerinnen in der Bevölkerung und auch in der Politik. Übrigens, bei jeder Befragung findet man 80% Befürworter der Legalisierung von Schwangerschaftsabbrüchen – auch unter Gynäkologen und Gynäkologinnen, wie die ELSA- Studie zeigte. Aber dann kam es zum Bruch der Ampelregierung. Damit endete die Legislaturperiode frühzeitig und als Kollateralschaden gab es nun nur noch wenig Zeit, eine Änderung umzusetzen. Schließlich wurde am 10. Februar 2025 ein noch geschriebener Antrag im Bundestag verhandelt. Dazu durfte jede Partei Spezialistinnen benennen, die in einer Anhörung den Standpunkt ihrer Partei vortragen. Vor der Anhörung hat eine radikalisierte Minderheit aus der Gynäkologie, die in religiösen Lebensschützer-Foren aktiv ist, unabgesprochen Politiker und Politikerinnen angeschrieben, und sich in einer Art offenem Brief unter dem nicht abgestimmten Deckmantel der Fachgesellschaft gegen eine Entkriminalisierung ausgesprochen. Während der Anhörung wurde evidenzbasierten Studienergebnissen von konservativen Stimmen mit Anekdoten und Emotionen begegnet. Dr. Alicia Baier, die kluge Vorstandsvorsitzende von Doctors für Choice, Rona Torenz, die die ELSA-Studie im Studienteam durchgeführt hat und Prof. Dr. Frauke Brosius-Gersdorf, LL.M., Dr. Beate von Miquel und Prof. Dr. Liane Wörner, LL.M.  mussten sich gegen AFD-Sprech und rückwärtsgewandte – leider muss man auch sagen – männlich dominierte Rhetorik äußern. Im Anhang finden Interessierte den Link zur Sitzung, die Aufzeichnung und Stellungnahmen. 

So möchte die AFD zum Beispiel viel strengere Bestimmungen zum Thema Schwangerschaftsabbrüche, als die, die wir jetzt haben. 

Gesprochen haben auch Vertreterinnen der Regierungskommission, die das messerscharfe Statement mit der Empfehlung zur Entkriminalisierung verfasst haben, sowie ein Gynäkologe, der gegen Schwangerschaftsabbrüche ist. So wurde leider der Eindruck erweckt, dass sich die Gynäkologie nicht einig ist – dabei wollen tatsächlich die allermeisten Gynäkologen eine Entkriminalisierung.

Die Anhörung im Bundestag wurde dann ergebnislos beendet. Es wurde beschlossen, dass das Thema nicht weiter verfolgt werden soll. Damit sind die Kampagnen, die ELSA-Studie, die Regierungskommission alle mehr oder weniger ins Leere gelaufen und vorerst verpufft. Während Frankreich das Recht auf Schwangerschaftsabbruch gesetzlich festlegt, haben wir wieder einmal eindrücklich gezeigt, dass wir ein konservatives Land sind, das sich mit diesem Thema nicht zeitgemäß auseinandersetzen möchte. Ich werde nie verstehen können, warum man im Uterus von anderen Menschen mitbestimmen möchte und diesen ihre Selbstbestimmung nimmt. 

Fazit: Wir machen so weiter wie bisher – so, als hätten nicht unzählige kluge Menschen sich Gedanken gemacht, Statements verfasst, Interessen klar vertreten.

Politik und Frauenheilkunde

Was können wir jetzt tun? Wir können von der nächsten Regierung einfordern, dass sie sich um das Thema kümmert und keine rückwärtsgewandte, frauenfeindliche Politik macht, sondern die Selbstbestimmung der Frauen abbildet und vor allem, dass wir Ärztinnen und Ärzte nicht mehr kriminalisiert werden und dass Teile unserer Tätigkeit nicht mehr zwischen Körperverletzung und Mord im Strafgesetzbuch festgeschrieben sind. 

Frauenheilkunde ist politisch. Der Frauenkörper wird von der Politik fremdbestimmt. Es ist für Frauen besonders wichtig, sich eine politische Meinung zu bilden. SPD, Grüne und Linke sind für eine Entkriminalisierung, die CDU möchte, dass alles so bleibt wie es jetzt ist, die AFD möchte eine Verschärfung der Regeln zum Schwangerschaftsabbruch und die FDP hat sich in der Abstimmung gegen eine Liberalisierung entschieden, die sie eigentlich vorher vertreten hatte. 

Meine klare Meinung ist: wir brauchen eine Entkriminalisierung, die Beratungspflicht muss zu einer Beratungsmöglichkeit werden, und die Wartezeit von drei Tagen nach der Beratung muss weg. Es genügen 24 Stunden wie auch bei anderen OPs. 

Das entspricht ungefähr der Regelung, die einst die DDR hatte: Straffreie Fristenlösung in den ersten 12 Wochen. Es gab keine Stigmatisierung, es war die freie Entscheidung der Frau. Das war liberal, frauenfreundlich und selbstbestimmt, insgesamt einfach deutlich besser als heute. Demokratische Werte entscheiden sich direkt an Paragraph 218. 

Hoffnung liegt jetzt auf der Arbeitsgruppe SPD-Frauen, die ihre Zustimmung zum Koalitionsvertrag von der Debatte um Paragraph 218 machen. You go Girls!

Quelle
  1. https://www.bundestag.de/dokumente/textarchiv/2025/kw07-pa-recht-schwangerschaftsabrueche-1038836