Ausländische Fachkräfte bringen interkulturelle Vorteile

Dr. Ebru Yildiz diskutiert die Integration ausländischer Fachkräfte im Gesundheitswesen und die Bedeutung interkultureller Kompetenz zur Lösung des Fachkräftemangels.

Fachkräftemangel in der Medizin

Das ganz große Thema dieser Tage und Wochen wird auch in der Medizin immer größer: Fachkräftemangel. Die Frage ist: Werden wir es schaffen, das Problem mit der notwendigen interkulturellen Kompetenz zu lösen? Diese besondere Kompetenz wird in unserem Land immer wichtiger. Wir sind ja längst ein multikulturelles Land, und jetzt holen wir weitere Menschen aus verschiedensten Ländern, die uns helfen sollen, unsere Probleme zu lösen, die aber weder die deutsche noch die gemischte Kultur hier kennen. 

Kulturelle Vielfalt und Integration

Wenn ich an meine Mutter denke - sie ist ganz anders geprägt als ich. Und meine Tochter ist wieder anders aufgewachsen. Sie fühlt sich selbstverständlich deutsch und lebt so, meine Eltern fühlen sich türkisch und ich bin dazwischen irgendwo. Dasselbe sehen wir in der deutschen Gesellschaft, die inzwischen von vielen Einflüssen geprägt ist. Und jetzt holen wir Menschen aus verschiedenen anderen Ländern, die hier auch ihren eigenen Kulturschock erleben. Wie können wir diese Menschen so integrieren, dass sie Patienten gut versorgen können und dass sie sich selbst bei uns auch wohlfühlen? Darüber denke ich seit einiger Zeit verstärkt nach. Und ich habe noch keine Lösung gesehen.

Ausbildung und kulturelle Herausforderungen

Diese Fachkräfte werden ja zum Teil von Consulting-Firmen in ihrem Land nach deutschem Standard ausgebildet - so heißt es zumindest. Auch die Sprache sollen sie lernen, bevor sie zu uns kommen. Das ist sicher alles gut. Aber die Kultur - wie kann man die vermitteln? Das Problem haben wir selbst unter uns ja noch nicht mal gelöst. Diese besagten Fachkräfte leben dann hier und sie haben die Aufgabe, ihre Patienten zu verstehen und zu erreichen. Es heißt ja immer so schön: die Patienten mitnehmen. Das heißt eben: Pflege und Betreuung. Patienten,die gepflegt werden, wollen auch einfach mal mit jemandem sprechen. Da bin ich auf Lösungen gespannt. Die Frage ist, ob wir das schaffen werden oder ob wir warten, bis uns das Problem auf die Füße fällt. Wenn die neuen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter hier nicht heimisch werden, verlieren wir sie an Fatigue, an Burnout. Ohne kulturelle Integration werden sie ausbrennen. Dann haben wir gar nichts gewonnen, sondern ein paar Probleme mehr.

Perspektiven und Engagement für Lösungen

Ich halte die Aufgabe nicht für unlösbar. Doch wir müssen rechtzeitig darüber nachdenken und reden: Wie schaffen wir das? Das, was wir ihnen an Zuwendung und Einbeziehung mitgeben können, und zwar unter erheblichem Zeitdruck, das können sie dann auch wieder an die Patienten weitergeben. 

Ich bin gespannt: Wer wird da ansetzen? Wird das die Politik sein? Oder eher Personen im Gesundheitswesen wie ich, die das Problem aus eigener Anschauung kennen? Ich selbst bin bikulturell aufgewachsen. Ich kenne das Gesundheitssystem aus verschiedenen Perspektiven. Ich komme aus der Pflege, ich bin Ärztin und Führungskraft. Aktuell beschäftigt mich daher: Kann ich hier aktiv etwas tun? Könnte ich eventuell Konzepte entwickeln, um das Problem anzugehen, um eine positive Bewegung in die richtige Richtung anzustoßen? Es einfach laufen zu lassen, einfach weiter Fachkräfte anzuwerben, ohne ein Konzept für sie, und zu hoffen, dass sich das von selbst regelt, das wäre ein Fehler. Das könnte am Ende weitaus größere Probleme erzeugen als wir ohnehin schon haben. Wir haben eben auch eine Fürsorgepflicht für die Menschen, die hierherkommen und für uns arbeiten.

Ich weiß, wie es ist, mit zwei Kulturen zu leben und wie man das auch als Vorteil nutzen kann. Es wäre gut, den neuen Fachkräften nicht etwa zu zeigen: Du bist fremd hier. Sondern ihnen zu erklären, du kommst mit deiner, mit einer neuen Kultur und das ist ein Vorteil für dich und für uns, denn du kannst eine interkulturelle Kompetenz entwickeln, die hier gebraucht wird. Das Ganze ist also keine Einbahnstraße, dass die neuen Fachkräfte die hiesige Kultur kennenlernen. Nein, sie bringen auch etwas neues, wertvolles mit. 

Vielfalt als Chance: Kulturelle Aspekte im Gesundheitswesen

Ich habe die Bikulturalität im Gesundheitswesen als Vorteil erlebt. Machen wir uns klar, was alles zu den kulturellen Aspekten zählt: insbesondere die Sprache, die Muttersprache, die Fachsprache, auch der Dialekt. Auch Identität, Selbstbewusstsein, Veränderungsbereitschaft, Erfahrungen mit Riten, Sitten und Gebräuchen sind zentrale Aspekte. Hinzu kommen Handlungen, Technik, Wissenschaft, die man erlernt hat. Es sind ebenso die Einstellungen, die wir haben - Werte, Ansichten, Bedeutungen, die wir für uns definieren. Das Wort Liebe beispielsweise hat für verschiedene Menschen aus unterschiedlichen Kulturen verschiedene Bedeutungen. Und die mitgebrachte Geschichte spielt eine große Rolle: Wir haben Menschen, die aus Kriegsgebieten kommen. Das alles fließt ein, wenn ich von interkultureller Medizin rede. Ein vielleicht sperriger Begriff, aber auch Chat GPT findet keinen anderen. Außer Diversität. Doch davon rede ich ungern. Denn das Wort betont vor allem den Unterschied. Das bedeutet: Es gibt eine Norm und daran misst sich alles andere. Ich möchte nicht von Unterschieden reden, sondern von der Vielfalt, die Kulturen mitbringen. Das müssen wir angehen. Und zwar jetzt!
 

Kurzbiographie Ebru Yildiz

Dr. med. Ebru Yildiz leitet seit 2019 das Westdeutsche Zentrum für Organtransplantation in Essen. Die Fachärztin für Innere Medizin und Nephrologie hat Zusatzweiterbildungen in der Transplantationmedizin und der internistischen Intensivmedizin.