Heute morgen hatte ich ein Erlebnis, das mir wieder einmal gezeigt hat: ich möchte gern die Organspender und ihre Angehörigen mehr würdigen. Sie sind versteckte Helden, die niemand sieht und über die niemand spricht. Das sehe ich besonders bei jenen Angehörigen, die eine Entscheidung treffen mussten, weil ihr Spenderheld vorher selbst keine Entscheidung getroffen und hinterlassen hat. Warum beschäftigt mich das gerade wieder so sehr?
Weil ich heute morgen ein bewegendes Video mit einem kleinen Helden und seiner Familie gesehen habe. Ein verstorbener kleiner Junge lag mit seinem Spiderman-Kostüm auf dem Bett, neben ihm seine Mutter. Sie wurden durch einen Klinikflur in den USA gefahren - und das gesamte Personal stand Spalier. Die Angehörigen begleiteten den kleinen Spender hinter dem Bett bis zum OP. Es waren nur 30 Sekunden auf Instagram, aber sie waren sehr bewegend. Das Kind war offenbar an einer Hirnschädigung verstorben und die Eltern haben sich für eine Organspende entschieden.
Das Video brachte mich wieder einmal auf den Gedanken, dass diese Menschen, die solche Entscheidungen treffen, viel zu wenig gewürdigt und hervorgehoben werden. Das sind Lebensretter! Und sie retten eben nicht nur einem anderen das Leben, sondern retten ganze Familien, die mit einem Spenderorgan ihren Vater, ihre Mutter, Bruder oder Schwester behalten können. Wir sehen immer nur den Empfänger, der das Organ bekommt. Aber es sind so viele weitere Geschichten drumherum. Hendrik Verst, ein lebertransplantierter Influencer, hat das in seinem Buch "Ich habe dir versprochen, ich werde nicht sterben" sehr schön beschrieben. Auch seinen vier Kindern wurde mit dem Spenderorgan ein Leben geschenkt, ein Leben mit ihrem Vater.
Das bewegt viele Menschen, aber nur wenige ziehen für sich den Schluss, selbst Organspender zu werden. Derzeit ist wieder die sogenannte Widerspruchslösung in der Diskussion, um das Thema Organspende und Transplantation voranzubringen. Alleine Widerspruchslösung wird nicht der Weg sein. Ich möchte auch mehr Aufklärung, mehr Aufmerksamkeit, mehr Erkenntnis und mehr freiwillige Entscheidungen, selbst im Fall der Fälle ein Spenderheld zu werden.
Parallel dazu bewegt mich aktuell das Thema Cross-Over-Lebendspende. Es liegt ein Referentenentwurf vor, der es ermöglichen soll, dass auch andere Personen als nahe Verwandte und Lebenspartner Spender sein können. Bisher ist die Lebendspende rechtlich sehr streng geregelt. Jeder darf nur einem Familienmitglied 1. oder 2. Grades spenden oder einem Menschen, dem er nachweislich emotional eng verbunden ist. Das kann also nicht die Freundin sein, die ich seit sechs Monaten kenne. Und das passt eben oft nicht. Nun soll es hier zu einer Erweiterung kommen. Die Idee ist, dass Lebendspender, deren Organ für ihre Angehörigen oder Partner nicht passend ist, in einem Pool gesammelt werden. So könnte deren Organ crossover an jemand passenden gegeben werden, während der eigene Angehörige dann ein Organ von wieder jemand anderem bekommt. Das würde die Zahl der Transplantationen erheblich steigern. Spenderpaaren, die inkompatibel, also immunologisch unpassend, sind, kann damit ein neuer Weg eröffnet werden. Das Thema steht jetzt kurz vor der Entscheidung für eine entsprechende Gesetzesänderung. Fortschritte in der Lebendspende beschäftigen mich natürlich sehr, denn wenn postmortale Spenderorgane weiterhin so knapp sind, kann das eine gewisse Entlastung sein.
Es gibt zum Glück großartige Fortschritte in der OP-Technik. Bei uns in der Uniklinik Essen werden die Organ-Entnahmen endoskopisch vorgenommen. Das erspart große Schnitte. Aber ich weiß auch, dass es noch viel schonendere Techniken gibt. In der Türkei zum Beispiel gibt es deutlich mehr Lebendspenden als bei uns - nämlich 53 Lebendspender pro eine Million Einwohner. In Deutschland haben wir insgesamt rund 600 im Jahr. Durch die höhere Spendenbereitschaft in der Türkei wurden im Laufe der Zeit in einem Zentrum, das 150 Nieren-Lebendspenden im Jahr operiert, bessere Techniken entwickelt und trainiert. Das heißt, sie haben dort jeden zweiten Tag eine OP. Jetzt brauchen sie dort bei Frauen gar keinen sichtbaren Schnitt mehr, um eine Niere zu entnehmen. Durch den Bauchnabel gibt es einen kleinen Schnitt für das Endoskop und andere Geräte. Und die Niere wird dann mit einem sterilen Endobag vaginal entnommen.
Und natürlich wollen wir hier ebenfalls derartige Fortschritte erreichen. Wir machen zum Beispiel bei uns im Transplantationszentrum ganz neu sogenannte Da-Vinci-Ops. Das wurde bisher nur in der Gynäkologie und der Urologie angewandt. Jetzt operieren auch wir bei einer Leberlebendspende mit Robotik. Der Operateur lenkt dabei die Geräte über Controller. Das bedeutet deutlich weniger, kleinere und präzisere Schnitte, heißt dann kleinere Wunden, weniger Schmerzen, schnellere Heilung.
Und hier schließt sich der Kreis: Für derartige Innovationen brauchen wir Übung. Also mehr Organe, mehr Transplantationen, mehr handwerkliche Übung. Insgesamt mehr Innovation in der Medizin. Am Ende können wir mehr Menschen helfen und ihr Leben verbessern.
Dr. med. Ebru Yildiz leitet seit 2019 das Westdeutsche Zentrum für Organtransplantation in Essen. Die Fachärztin für Innere Medizin und Nephrologie hat Zusatzweiterbildungen in der Transplantationmedizin und der internistischen Intensivmedizin.