Ambulante spezialärztliche Versorgung: Mangelverwaltung oder Nullsummenspiel?

Die in Berlin niedergelassene Neurologin Dr. Heike Israel-Willner kritisiert die aktuelle Gesundheitspolitik, weil sie ihr mit Regeln und Bürokratie die Arbeit nicht erleichtert, sondern erschwert.

Neurologische Patienten sind häufig ältere Patienten

Ein ganz großes Thema für uns Neurologen ist gerade, dass unser Regelleistungsvolumen, also das Budget, das wir pro Quartal erhalten, gekürzt wurde. Das heißt, alles, was wir darüber hinaus arbeiten, bekommen wir nicht bezahlt. Eigentlich sind wir daran gewöhnt, aber dass das jetzt mitten in einem Reformprozess verstetigt wird, ist schon ein starkes Stück.

Das ist schon auch deswegen unerhört, weil wir als Neurologen einen Großteil älterer Patienten betreuen. Anders gesagt: Die alternde Gesellschaft ist das Hauptthema in der Neurologie. Das bedeutet natürlich, dass unser Fachgebiet künftig immer mehr gefragt sein wird. Ein Beispiel: Es stehen gerade völlig neue Möglichkeiten in der Alzheimer-Demenz vor der Tür. Wenn diese neuen Medikamente tatsächlich auf den Markt kommen, ist das sehr schön - nur wird es kaum möglich sein, für diese Behandlung beim Facharzt Termine zu bekommen. Das können wir gegenwärtig diagnostisch und in der Versorgung gar nicht leisten. Das ist noch sehr vage, aber ich sehe eine Lawine zusätzlicher Patienten, die bisher wenig Heilungsaussichten hatten, auf uns zukommen - bei gleichzeitiger Mittelkürzung. Das passt nicht zusammen.

Budgetkürzung kann verspätete Alzheimer-Therapie bedeuten

Hinzu kommt, dass die neuen Therapien laut Studien nur dann wirklich aussichtsreich sind, wenn sehr frühzeitig mit der Behandlung begonnen wird. Das betrifft mithin Patienten, die bisher bei uns gar nicht aufgetaucht wären. Wir werden viel Diagnostik machen müssen, um eine leichte Vergesslichkeit, Gedächtnis- und Konzentrationsstörungen von einem erhöhten Risiko für die Erkrankung an Alzheimer-Demenz zu differenzieren.

Bisher sehen wir dazu nur die Menschen, die in ihrer Familie eine besondere Belastung haben. Und das wird sich drastisch ändern, wenn wir für bestimmte neurodegenerative Erkrankungen demnächst neue Mittel haben.

Das steht vor der Tür. Und im Moment fragen wir uns, wie wir alle Patienten versorgen können, die zu uns kommen - bei gekürzten Budgets. Und das auch langfristig, wir haben ja viele chronische Patienten. 

Das steht im Zusammenhang mit der Einführung der Terminservice-Stellen, mit der Direktvermittlung als Notfall vom Hausarzt oder über offene Sprechstunden in Facharztpraxen. Diese Notfälle werden extrabudgetär bezahlt. Aber das Ganze ist natürlich gedeckelt. In meinem Fall dürfen das nur 17,5 Prozent meiner Fälle sein. Alles, was darüber hinaus geht, wird abgestaffelt. Das heißt: Rechte Tasche, linke Tasche, der Topf bleibt gleich, wird nur anders verteilt. 

Wie nun am Besten darauf reagieren?

Das ist die große Frage. Entweder man arbeitet so viel, wie es diese 17,5 Prozent extrabudgetär und das Regelleistungsvolumen hergeben - und das wars dann. Manche Kollegen machen das so. Oder man versucht, über andere Möglichkeiten extrabudgetäre Vergütungen zu bekommen. 

Das ist zum Beispiel mit der sogenannten ambulanten spezialärztlichen Versorgung (ASV) vorgesehen, einer Initiative des Gesundheitsministeriums. Es sollen Netzwerkstrukturen gebildet werden. Für bestimmte Erkrankungen sollen sich also Fachärzte verschiedener Fachrichtungen vertraglich zusammenschließen und ein Netzwerk gründen. Bei der Multiplen Sklerose gehören außer den Neurologen unter anderem Kardiologen, Radiologen, Urologen, Psychiater und eine Vielzahl anderer. Und die Patienten, die im Rahmen dieses Netzwerks versorgt werden, werden aus einem anderen Topf bezahlt, haben also mit dem eigenen Budget nichts zu tun. Natürlich bestehen diese Netzwerke bereits, wir arbeiten selbstverständlich schon lange fächerübergreifend zusammen. Und jetzt müssen wir diese eingespielte Zusammenarbeit auf vertragliche Füße stellen, um die gewünschten ASV-Netze zu gründen. Ein unglaublicher bürokratischer Aufwand für uns. Wir haben eigentlich nur ein Interesse, die eigenen Patienten effektiv zu versorgen. Allerdings werden diese ASV nur für bestimmte Krankheitsbilder geschaffen. Außer der Multiplen Sklerose betrifft das in meinem Bereich noch bestimmte seltene neuromuskuläre Erkrankungen.

Mehr Patienten, weniger Zeit für den einzelnen

Mein Fazit: Im ambulanten Bereich sind wir daran gewöhnt, dass uns immer neue Balken in den Weg gelegt werden. In diesem Fall muss das Geld, das durch das Terminservice-Gesetz ausgegeben wird, an anderer Stelle eingespart werden. Die Politik kann sich auf die Fahne schreiben: der Zugang zu Fachärzten ist einfacher geworden. Das stimmt, weil die Patienten, die über das Terminservicegesetz kommen, voll bezahlt werden. Weil aber das verfügbare Geld nicht mehr geworden ist, wird nun das Budget gekürzt. Alle sind damit gefordert, mehr Patienten zu sehen, um diese Kürzung wieder auszugleichen. Leider fühlt sich das an wie ein Nullsummenspiel in der Mangelverwaltung.