Mehr Arbeit für das gleiche Budget? Das kann nicht funktionieren!

Die niedergelassene Neurologin Dr. Heike Israel-Willner sieht erhebliche ungelöste Fragen in der fachärztlichen Versorgung. In ihrer Kolumne berichtet sie über aktuelle Hürden.

Telematik-Infrastruktur und E-Rezept: Ein Dauerbrenner

In unserer neurologischen Gemeinschaftspraxis decken wir vier ärztlichen Kollegen einen ziemlich großen Patientenkreis ab. Im Vergleich zu den Allgemeinmedizinern haben wir eine andere Grundbesoldung und ein größeres Budget als die Allgemeinmediziner. Nichtsdestotrotz gibt es auch bei uns zum Jahresanfang zwei große Themen, die sich für uns ähnlich anfühlen wie für die Hausarztpraxen. Ein Dauerbrenner ist die Telematik-Infrastruktur. Genauer: die Einführung des E-Rezeptes. Das ist ja jetzt verpflichtend, und um die Voraussetzungen dafür zu schaffen, wurde der Ärzteschaft erheblich viel zugemutet. Von der Software-Umstellung bis zur Anschaffung der Hardware war der Prozess, den wir seit drei Jahren in unserer Praxis vorantreiben, sehr aufwändig. Das wird zwar refinanziert - aber man hat nicht den Eindruck, dass das alles unkompliziert läuft. Anders gesagt: Das Ganze ist wahnsinnig umständlich. Das System ist sehr instabil. Und es läuft weder zuverlässig noch durchgängig.

E-Rezept und Praxisalltag: Herausforderungen und Hindernisse

Außerdem gilt das Ganze nur für einen Teilbereich unserer Verordnungen. Als Neurologen verschreiben wir ja nicht nur Medikamente, sondern auch Hilfsmittel wie zum Beispiel Rollstühle und Orthesen. Diese Dinge werden konventionell auf alten Rezeptvordrucken verschrieben, auch Privatrezepte werden weiterhin auf den alten Vordrucken ausgestellt. Das macht das Prozedere aktuell umständlich. Im Praxisalltag stört das die Abläufe. Hinzu kommt, dass wir gerade in der Neurologie auch Patienten haben, die mit den neuen Rezepten überfordert sind, sie können oft nicht so einfach wie andere mit ihrer Karte in die Apotheke laufen. Es wurde auch bisher der Öffentlichkeit nicht ordentlich vermittelt, was das E-Rezept ist und wie man damit umgeht. Die Aufklärung darüber, wie der Patient jetzt zu seinen Medikamenten kommt, hängt also komplett an uns. Das kostet zusätzlich Zeit und ist oft kein Selbstläufer.

Elektronische Signatur: Zeitfresser im Praxisalltag

Auch das Unterzeichnen des Rezeptes, die elektronische Signatur, dauert länger als eine Unterschrift von Hand. Wenn es gut läuft, dauert die Signatur rund 15 Sekunden, im ungünstigeren Fall, wenn die Komfortsignatur nicht funktioniert, geht rund eine Minute dafür drauf. Das summiert sich bei 50 bis 100 Rezepten, die allein ich pro Tag ausstelle, spürbar. Das erschwert uns die Arbeit zusätzlich.

Verlagerung von Behandlungen: Kapazitäten und Vergütung

Das andere große Thema, das auch den Allgemeinärzten unter den Nägeln brennt, ist das Bestreben der Kassen und der Politik, mehr Behandlungen in den ambulanten Sektor zu verlegen, um bei den Krankenhäusern zu sparen. Aber kaum jemand denkt darüber nach, ob unsere Strukturen das überhaupt auffangen können. Es funktioniert nicht, wenn ich einerseits budgetiert bin und andererseits auf einmal doppelt so viele Patienten betreuen soll - weder zeitlich, noch wirtschaftlich. In dem geplanten Maß ist es derzeit nur möglich, die Leistungen der Krankenhäuser auf unsere ambulanten Einrichtungen zu verschieben, wenn die entsprechenden zeitlichen und wirtschaftlichen Kapazitäten dafür geschaffen werden.

In der Neurologie kann vieles ambulant erfolgen und wird von uns bereits geleistet, zum Beispiel Lumbalpunktionen. Prozeduren wie Einstellungen auf Medikamentenpumpen sind sehr zeitaufwändige Prozeduren, die weg von der Klinik in den ambulanten Bereich geschoben werden. Doch dafür muss es selbstverständlich eine entsprechende Vergütung geben! Im Moment existiert noch die Idee, all diese Mehrleistungen quasi zum Nulltarif zu verlangen. Das funktioniert natürlich nicht! 

Demografische Herausforderungen und Personalmangel

Wir alle sehen ja das Problem auf uns zukommen, dass sehr viele ältere Kollegen, auch unter uns Fachärzten, demnächst in den Ruhestand gehen werden. Die fehlen dann. Hinzu kommt bekanntlich der massive Personalmangel bei Fachangestellten. Und wenn nun die Arbeit tendenziell immer unattraktiver wird, ist das in jeder Hinsicht kontraproduktiv. Die Kassenärztliche Vereinigung hat bisher keine Klärung erreichen können. Deshalb gab es bereits zum Jahresende die Streiks von Kollegen, die ihre Praxen geschlossen hatten. Ich hoffe, dass jetzt realistische Schritte der Verantwortlichen folgen. Und ich denke, die niedergelassene Ärzteschaft muss sich zusammentun, um der Politik ein klares Stoppschild zu zeigen. 
 

Kurzbiographie Heike Israel-Willner

Dr. med. Heike Israel-Willner ist Fachärztin für Neurologie und arbeitet zusammen mit ihren drei Kollegen in einer Praxisgemeinschaft, dem Neurologischen Facharztzentrum Berlin am Sankt Gertrauden-Krankenhaus.