Unser aktuelles Problem ist die neue modifizierte Vorhaltepauschale, sie ist im Moment in aller Munde. Sie soll die essenziellen Ressourcen einer Praxis beschreiben: Personal, Struktur, Leistungen. Für die genaue Bewertung der neuen Vorhaltepauschale soll es bis zu neun Kriterien geben. Je nachdem, wie viele dieser Kriterien eine Praxis erfüllt, bekommt sie gestaffelt für drei, sechs oder neun Kriterien die Vorhaltepauschale zu einem bestimmten Preis vergütet. Das Problem: diese Kriterien sind auf eine klassische Hausarztpraxis ausgerichtet – und passen für diabetologische Schwerpunktpraxen nicht!
Wie oft haben wir das schon heruntergebetet: wir haben ganz eigene organisatorische und spezielle Personalstrukturen, die für 9 bis 11 Millionen Menschen mit Diabetes (über-)lebenswichtig sind und die man nicht so einfach mit einer klassischen Hausarztpraxis in einen Topf werfen kann. Dazu gehören unter anderem Schulungen der Patientinnen und Patienten, die spezielle Betreuung bei Schwangerschaftsdiabetes, und Diabetes, Wundambulanz, Fußambulanz und Ernährungsfragen. All das bieten wir on top an und das unterscheidet uns grundlegend von einer hausärztlichen Praxis.
Doch das hat auch in diesem prozess niemand richtig auf dem Schirm. Deshalb ist es unsere große Sorge, dass im Bewertungsausschuss eine Vorhaltepauschale festgezurrt wird, bei der die diabetologischen Schwerpunktpraxen wieder einmal – hinten runterfallen. Statt unsere zusätzlichen Kapazitäten zu berücksichtigen und zu stärken, werden wir mit erheblichen Einschnitten in der Vergütungsstruktur für unsere besonderen Leistungen quasi bestraft. Wird die Vorhaltepauschale so wie geplant beschlossen, entfällt für die diabetologischen Schwerpunktpraxen eine angemessene Vergütungsmöglichkeit und damit vielerorts die finanzielle Existenzgrundlage.
Zudem sind die besagten Kriterien, die angelegt werden sollen, derzeit noch völlig intransparent, was unsere Sorge noch erhöht. Schlagworte, die die Runde machen, sind: Die Ärztin, der Arzt, das Impfen in der Praxis, Hausbesuche… All das bildet unsere Besonderheit nicht ab und bedeutet vermutlich erhebliche finanzielle Einschnitte für uns. Und nein, das ist keine Hysterie!
Das ganze Prozedere ist nicht neu. Jedes Mal, wenn wir darauf hinweisen, dass wir mit unseren Strukturen eine Besonderheit darstellen und dass man mit uns nicht so pauschal verfahren kann, sind die Verantwortlichen ganz aufgeregt. Und jedes Mal müssen wir feststellen, dass unsere tägliche Arbeit wieder nicht adäquat abgebildet werden soll. Wir haben unzählige Gespräche mit der KBV, mit den KV-Vorständen, mit der Politik.
Das alles kostet viel Zeit und ist zudem sehr kurzfristig, denn bereits diesen Monat findet der entscheidende Bewertungsausschuss statt. Anschließend hat das Bundesgesundheitsministerium nur noch zwei Monate Zeit, das Ergebnis eventuell zu korrigieren, und Korrekturen sind im Nachhinein grundsätzlich schwierig.
Also ist mal wieder richtig Alarm in unserem Kreis der niedergelassenen Diabetologinnen und Diabetologen. Wir verlangen endlich eine rechtssichere Anerkennung der diabetologischen Schwerpunktpraxen mit ihrer besonderen Struktur, damit diese Situation nicht immer wieder aufs Neue entsteht. Es muss ein für allemal klar sein: diabetologische Schwerpunktpraxen sind keine ganz normalen Hausarztpraxen, weil sie sehr komplex erkrankte Menschen betreuen. Etwa 1.000 Praxen haben diese besondere Aufgabe und Verantwortung.
Das sind nicht allzu viele und sie stehen unter enormem Druck. Wenn man allein die Altersstruktur der Kolleginnen und Kollegen betrachtet, stellt man fest: auch wir werden älter und wir sind bereits überaltert. Entsprechend groß sind unsere Nachwuchssorgen.
Wenn nun noch Fehlentscheidungen im Vergütungssystem unsere älteren Kolleginnen und Kollegen aus den Praxen drängen, weil sie die Motivation oder die finanzielle Grundlage verlieren, weiterzuarbeiten und gleichzeitig auch die Jungen verschrecken, weil diese in unserem Fach als Niedergelassene keine Perspektive sehen – dann fliegt uns der ganze Laden um die Ohren, und zwar sehr bald. Dann verlieren Millionen Menschen ihre kompetente diabetologische Versorgung.
Ich weiß aus allererster Hand, wie sich das anfühlt: meine Tochter studiert Medizin und wir haben selbstverständlich schon über eine eventuelle Praxisübernahme in ein paar Jahren gesprochen. Wenn sie jedoch sieht, wie ich aktuell zu kämpfen habe, fragt sie sich natürlich: Warum soll ich so ein finanzielles Risiko eingehen?
Und dann frage ich mich ganz ehrlich: Kann ich ihr das überhaupt wirklich noch empfehlen?