Wir erleben aktuell einen sehr überraschenden Schnellschuss der scheidenden Regierung in der Gesundheitspolitik. Sie wollen nun doch noch in dieser Legislatur das Gesundheitsversorgungsstärkungsgesetz (GVSG) verabschieden. Das bedeutet, die Hausärztinnen und Hausärzte werden entbudgetiert und es gilt fortan die Regel: Ein Hausarzt, ein Patient, eine Pauschale. Man sieht: wir Schwerpunktpraxen werden hier leider vergessen.
Wir hatten zunächst vermutet, dass es sich im ersten Gesetzesentwurf um eine Art Webfehler gehandelt hatte, der entsprechend behoben würde. Es ging ja auch um andere Schwerpunktpraxen wie Rheumatologie, Schmerzambulanzen, HIV-Praxen. Für alle diese funktioniert das Prinzip „Ein Hausarzt, ein Patient, eine Pauschale“ einfach nicht. Wenn in der hausärztlichen Praxis die Pauschale abgerufen wird, können wir bei uns dieselbe Pauschale nicht mehr auslösen, wenn der Patient danach zu uns kommt. Wir müssten dann also teilweise umsonst arbeiten. Wir hätten nur noch die Schwerpunktziffern, damit können wir keine Praxis wirtschaftlich führen. Das gefährdet unsere Existenz, unsere Arbeit und unsere Patientinnen und Patienten. Wir können dann unsere Praxen dicht machen, um es einmal klipp und klar zu sagen.
Wenn man bedenkt, dass künftig jedes dritte Krankenhaus geschlossen werden soll, stellt sich die Frage: wer soll denn die an Diabetes Erkrankten überhaupt künftig versorgen? Und dennoch soll der Zusatz, dass es ein Alternativkriterium für Diabetesschwerpunktpraxen gibt, nun außen vor bleiben. Es soll sich an der Vergütung nichts verändern.
Das ist vor Allem sehr enttäuschend, weil wir seit einem halben Jahr in engen Absprachen mit der Politik waren. Wir hatten den Eindruck, unsere Petition und unsere fundierten Einwände wurden verstanden und man würde sich im Bundesministerium für Gesundheit um Verbesserungen des Gesetzesentwurfes kümmern. Wir waren uns sicher, dass wir gehört wurden und dass die Sorgen um den Erhalt der diabetologischen Schwerpunktpraxen verstanden worden sind. Es gab viel Solidarität der Selbsthilfegruppen, von DiabetesDE – Deutsche Diabetes-Hilfe von der Fachgesellschaft DDG. Und jetzt dieses Ergebnis! Wenn das wirklich so durchgeht, war alles für die Katz! Dann verschwinden die diabetologischen Schwerpunktpraxen, dann sind die tot, dann ist diese Expertise weg!
Wir dachten, die Politik hätte das verstanden. Immerhin handelt es sich um neun bis elf Millionen Menschen, die an Diabetes leiden - alle auch Wählerinnen und Wähler. Entsprechend haben wir vertraut, dass unser Anliegen umgesetzt würde. Denn in vielen guten Gesprächen wurde uns klar gesagt: „Wir wollen euch nicht gefährden. Wir brauchen euch.“ Und das ist richtig!
Nun gibt es stattdessen Beschwichtigungen: „Ihr habt ja vor allem die chronisch schwer Erkrankten. Die sind ja gar nicht von der Pauschale erfasst.“ Aber wer definiert genau, wer als chronisch schwer erkrankt gilt? Das kann ich nirgends nachlesen. Das ist eine völlig unsichere Gemengelage, in der wir Diabetologinnen und Diabetologen uns seit Monaten befinden.
Viele halten das nicht mehr aus. In meinem Umfeld hat sich bereits eine Kollegin von mir und unserem Landessprecher der Niedergelassenen Diabetologen verabschiedet. Sie sagt: „Ich kann nicht mehr. Ich gebe den Schwerpunkt Diabetologie ab und lasse mich in einem MVZ als Hausärztin anstellen.“ Eine andere Kollegin ist zu einer Behörde gewechselt. Ich kann die Fluchtgründe dieser Kolleginnen und Kollegen verstehen.
Aber das kann man politisch doch nicht ernsthaft wollen! Man kann doch nicht wollen, dass die erfahrenen Kolleginnen vorzeitig aufgeben und junge Ärztinnen gar nicht erst motiviert sind, die Verantwortung eines Diabetesschwerpunktes zu übernehmen. Wer wählt denn noch Diabetologie als Fach, wenn er sieht, wie unsicher die Voraussetzungen sind? Immer weniger Ärzte haben den Mut, sich niederzulassen und einen Diabetesschwerpunkt aufzubauen.
Und dazu gehört sehr viel: gutes Personal, Fußambulanz, Schulungsräume, die Zertifizierung. Das alles kostet verdammt viel Geld. Das macht niemand mehr, der - salopp gesagt - noch alle Tassen im Schrank hat.
Ein extra Aufreger kommt noch hinzu: Ab 1.1. 2025 haben die Krankenkassen, mit einer einzigen Ausnahme, die Verträge für Gestationsdiabetes gekündigt. Wir bekommen also die Betreuung von Schwangeren nicht mehr vergütet. Es werden neue Verhandlungen dazu geführt. Dennoch stellt sich die Frage: Wer soll diese Schwangeren mit Diabetes jetzt versorgen? Allein in unserer Praxis haben wir 30 bis 40 Frauen pro Quartal mit Schwangerschaftsdiabetes. Die sehen wir alle zwei Wochen und das ist auch notwendig. Aber das wird nun nicht mehr bezahlt, weder die Schulungen, noch die Einstellung auf Insulin, auch nicht die notwendigen Gespräche mit den Frauenärztinnen.
Man muss schon eine gnadenlose Optimistin sein, um nicht demotiviert einfach alles hinzuschmeißen, was man über Jahrzehnte aufgebaut hat! Es ist so ermüdend. Und es frisst so viel Energie. Aber ich hoffe auf den vernünftigen Menschenverstand und dass niemand möchte, dass Menschen mit Diabetes künftig in diesem Land nicht mehr versorgt werden, weil sehr gut funktionierende Schwerpunktpraxen ruiniert werden. Wir haben nun noch einmal alle Abgeordneten angeschrieben. Es kann also nachher niemand von ihnen sagen: „Wir haben es nicht gewusst!“