Europäischer Gerichtshof: Durchbruch für CRISPR-Nutzpflanzen?

Aufgrund der Klimakrise soll auch die Landwirtschaft nachhaltiger und widerstandsfähiger werden. Die EU-Kommission überarbeitet Teile des europäischen Gentechnik-Rechts zu neuen molekularbiologischen Züchtungstechniken.

Genom-Editierung: Zukunft der Nutzpflanzen

Die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) und die Nationale Akademie der Wissenschaften Leopoldina appellieren nun vor diesem Hintergrund an die Politik gemeinsam, bei der Gesetzesreform wissensbasierte Entscheidungen zu treffen.

Professor Dr. Gerald Haug, Präsident der Leopoldina, sagt dazu: 

"Eine nachhaltige Landwirtschaft bedarf insbesondere in Zeiten des Klimawandels der Anwendung eines breiten Methodenspektrums. Die Züchtungsforschung hat mit der Genom-Editierung ein sehr präzises Instrument zur Verfügung, welches nicht pauschal bewertet werden sollte. Potenziale und Risiken neuer Pflanzensorten sollten produktbasiert eingeschätzt werden."

Die DFG-Präsidentin Professorin Dr. Katja Becker stimmt in einer gemeinsamen Erklärung mit der Leopoldina zu: 

"Neue molekulare Züchtungstechniken erlauben eine bisher nie dagewesene Präzision und Effizienz in der Verbesserung von Nutzpflanzen. Dieses Potenzial sollte zur Erreichung der Nachhaltigkeitsziele ausgeschöpft werden. Forschung und Anwendung in Europa können daher nur durch eine neue evidenzbasierte europäische Regelungspraxis gelingen, die den Erfahrungen der letzten Jahrzehnte auch in Bezug auf Chancen und Risiken Rechnung trägt."

Bereits 2019 Stellungnahme zu genomeditierten Pflanzen in EU

Bereits 2019 hatten die Leopoldina, die DFG sowie die Union der Akademien der Wissenschaften eine Stellungnahme veröffentlicht: "Wege zu einer wissenschaftlich begründeten, differenzierten Regulierung genomeditierter Pflanzen in der EU". 

Ein Anlass dafür war das Urteil des Europäischen Gerichtshofs vom Juli 2018, nach dem alle Organismen, die durch Verfahren der Genom-Editierung verändert wurden, unter die rechtlichen Regelungen für "genetisch veränderte Organismen" fallen sollen.

In der Stellungnahme verwiesen die Wissenschaftler darauf: Produkte der neuen Züchtungstechniken – soweit sie ohne das dauerhafte Einbringen fremden Genmaterials auskommen und sich auf das Hervorrufen von Mutationen beschränken – sind nicht unterscheidbar von Produkten der herkömmlichen Züchtung. Die Genom-Editierung von Pflanzen bedeutet somit kein höheres Risiko als seit Jahrzehnten etablierte (und nicht regulierte) Techniken.

Restriktive Regulierung des Gentechnikrechts hat weitreichende Folgen

Eine Neufassung  des europäischen Gentechnikrechts soll sicherstellen, dass eine Sicherheitsbewertung neuer Pflanzen grundsätzlich nicht von der zugrunde liegenden Technologie abhängt, sondern von den Eigenschaften des erzeugten Produkts (product-based, case-by-case).

Die bisherige restriktive Regulierung der Produkte der Genomeditierungstechniken führt zu massiven Behinderungen für den Forschungsstandort Europa und insbesondere Deutschland. Sie verzögert überdies die Entwicklung dringend benötigter neuer Technologien zur Sicherung der Welternährung. Freilandexperimente würden daher ins außereuropäische Ausland verlagert und die Nutzung der Techniken durch Züchtungsunternehmen fast unmöglich gemacht. Dies schreckt Unternehmen stark ab. Wissenschaftler in frühen Karrierephasen wandern teils ins außereuropäische Ausland ab. Viele entscheiden sich für Karrieren außerhalb der Wissenschaft. 

Die Kommission will deshalb unter bestimmten Bedingungen einige Einschränkungen lockern.

Harte Zeiten für Nutzpflanzen durch Klimawandel

Auf unsere Nutzpflanzen kommen durch den Klimawandel zweifellos harte Zeiten zu: Dürren und Hitzeextreme werden in vielen Regionen der Welt viel heftiger werden als bisher. Häufigere Überschwemmungen kommen hinzu, der Salzgehalt im Boden steigt. Das hemmt das Wachstum von Pflanzen. Insekten und Pilze breiten sich dagegen in einem wärmeren Klima leichter aus. Unsere heutigen Pflanzen sind dem Klima von morgen kaum mehr gewachsen. Oft dauert es Jahrzehnte, bis neue, widerstandsfähigere Sorten mit Hilfe der klassischen Züchtung entstehen. 

Gegen gentechnische Methoden gibt es jedoch seit langem Widerstand von Umweltorganisationen wie Greenpeace und vielen politischen Parteien. Seit 2001 gelten in der EU strenge Regeln für "Grüne Gentechnik". Dazu gehören langwierige Zulassungsverfahren. Man muss eine lückenlose Nachverfolgbarkeit zwischen Acker und Teller garantieren. Entsprechende Lebensmittel müssen mit dem Label "Gentechnik" gekennzeichnet werden.

In Europa haben deshalb vor allem kleine und mittelgroße Pflanzenzüchter die Forschung und Entwicklung in diesem Bereich entnervt aufgegeben. Anders als in den USA, China und Brasilien ist in der EU der Anbau von genmanipulierten Pflanzensorten nie wirklich vorangekommen.

Neue Regeln für CRISPR-Nutzpflanzen

Das soll sich nun ändern. EU-Vizepräsident Frans Timmermans schlug in Brüssel den 27 Mitgliedsstaaten und dem Europäischen Parlament folgendes vor: Entwicklung, Anbau und Vermarktung von Nutzpflanzen sollen deutlich erleichtert werden, wenn sie mit neuesten gentechnischen Methoden besser an künftige Klimabedingungen angepasst wurden oder aber den Einsatz von Pestiziden reduzieren.

Pflanzensorten, die mit CRISPR verändert wurden, sollen künftig nicht mehr den strengen Regeln für Grüne Gentechnik unterliegen. Sie werden weitgehend wie konventionelle Pflanzen behandelt. Eine Kennzeichnungspflicht soll es für sie zwar noch auf dem Saatgut geben, aber nicht mehr auf Produkten im Supermarkt mit dem Label "Gentechnik". Diese Pflanzen könnten auch durch natürliche Fortpflanzung oder traditionelle Kreuzung entstanden sein. Landwirte bekommen durch die neuen Züchtungstechniken Zugang zu resilienteren Nutzpflanzen, für die weniger Pestizide eingesetzt werden müssen und die besser an den Klimawandel angepasst sind.

Lockerungen will die Kommission allerdings nur dann gewähren, wenn sie drei anspruchsvolle Kriterien erfüllen: Sie müssen die EU-Ziele in  Nachhaltigkeit, Klima und Biodiversität unterstützen. Wenn also zum Beispiel Weizen und Mais resistenter gegen Hitzestress gemacht werden oder wenn höhere Erträge möglich sind, die damit Flächen für den Naturschutz frei machen. 

Ein zweites Kriterium für molekulargenetische Eingriffe, für die es lockerere Regeln geben soll: nur eigene Gene der jeweiligen Nutzpflanzen dürfen zum Einsatz kommen, keine artfremden Gene etwa von Bakterien, Tieren oder nicht verwandten Pflanzen. Die Pflanzen könnten auch durch natürliche Fortpflanzung oder traditionelle Kreuzung entstanden sein.  Der molekulargenetische Eingriff ist mit heutigen Methoden gar nicht detektierbar. Konventionelle sind von molekulargenetisch gezüchteten Pflanzen nicht zu unterscheiden. Da macht man in Brüssel relativ klug  aus der Not eine Tugend: 

CRISPR-Eingriffe sind ohne "chemische Narben" und somit nicht detektierbar! 

CRISPR kann nämlich das Erbgut präzise und an gewünschten Stellen verändern. Sie vollzieht "Genom-Editierung". Die Grüne Gentechnik der ersten Generation schleuste Gene für Antibiotika-als Resistenz-Marker in Pflanzen ein, um sie von gentechnisch unveränderten Pflanzen unterscheiden zu können. Das hat den Widerstand der Gentechnik-Gegner noch zusätzlich befeuert. Mit CRISPR sind quasi chirurgische Eingriffe möglich, die außer den neuen Genen und den Merkmalen keine Spuren hinterlassen. 

Lockerungen für zwei Züchtungsverfahren: 

Bedeutende Lockerungen soll es für zwei Züchtungsverfahren geben: 

Bei der gezielten Mutagenese wird kein neues Erbgut eingefügt, sondern ein Gen gezielt gelöscht. Das Verfahren wurde bei der 2022 in Japan zugelassenen "Gaba-Tomate" ja angewandt. Mit CRISPR haben Wissenschaftler dabei Gene gelöscht, sodass die Tomaten im Fruchtfleisch einen Stoff anreichern, der blutdrucksenkend wirken soll.

Beim zweiten Verfahren, der Cisgenese, kommt nur genetisches Material von "sexuell kompatiblen Organismen" zum Einsatz, also von Pflanzen, die sich auch auf natürliche Weise fortpflanzen könnten. Dabei sollen pro neuer Sorte maximal 20 Veränderungen im Erbgut erlaubt sein. Das ist auch für traditionelle Züchtungsverfahren typisch.

In cisgene Pflanzen wurden mit Hilfe gentechnischer Verfahren neue Gene eingeführt. Anders als bei transgenen Pflanzen stammen diese Gene und weitere Elemente des eingeführten Genkonstrukts – etwa Promotoren oder Terminatoren – ausschließlich aus dem Genpool der jeweiligen Pflanzenart. 

Die entstehenden Pflanzen werden als cisgen bezeichnet (cis= diesseits der Artgrenze) im Gegensatz zu transgenen Pflanzen (trans= jenseits), denen Gene von anderen Arten übertragen wurden.

Das heißt: Es müssen nicht unbedingt Gene fremder Organismen eingeschleust werden. Fisch-Gene wurden in Tomaten eingeschleust, um sie vor Frostschäden zu schützen. Für die Übertragung von Genen zwischen Organismen, die sich nicht natürlicherweise fortpflanzen könnten, sollen denn auch weiter die strengen Regeln für Gentechnik gelten. "92 % der heute beschriebenen Anwendungen beziehen sich auf Toleranz gegenüber extremen Umwelteinflüssen, Krankheitsresistenz und Schädlingstoleranz, Produktqualität sowie Wachstums- und Ertragseigenschaften", sagt Bruno Studer, Leiter der Gruppe Molekulare Pflanzenzüchtung an der ETH Zürich.

Vom Weizen gibt es wilde Verwandte. Sie haben zwar kaum Körnerertrag, aber kommen sehr gut mit Trockenheit klar. Würde man solche wilden Verwandten auf traditionelle Weise mit den Hochertragssorten kreuzen, gingen die Ernteerträge stark zurück. CRISPR ermöglicht es hingegen, die für den Hitzeschutz verantwortlichen Gene – und nur sie – aus dem Erbgut der wilden Verwandten auszuschneiden und sie gezielt  in die Hochertragssorte einzufügen. Die neu entwickelte Pflanze enthielte dann nur Erbgut des Weizens – aber eben in einer neuen Kombination. Die Pflanzen hätten auch in der Natur oder durch traditionelle Kreuzungen entstehen können. 

Herbizid-Resistenz bleibt außen vor!

Ausnahme: Die bisher umstrittenste Anwendung von Grüner Gentechnik, die Herbizidresistenz, soll bei den Lockerungen aber außen vor bleiben. Dabei werden Pflanzen gegen Wirkstoffe wie Glyphosat resistent gemacht. Entgegen früheren Versprechungen hat das den Einsatz von Herbiziden nämlich  nicht gesenkt, sondern eher gesteigert!

Werden die Brüsseler Vorschläge nach den Beratungen vom Europa-Parlament verabschiedet, könnten neue Pflanzensorten um viele Jahre schneller entwickelt werden als bisher. Besonders kleine und mittelgroße Firmen für Pflanzenzüchtung würden davon profitieren. 

Gentechnik: Viel Lob und auch Kritik 

Der Bundesverband Deutscher Pflanzenzüchter begrüßte die Vorschläge der Kommission. Wissenschaftsorganisationen haben schon seit längerem einen neuen Kurs im Umgang mit der Grünen Gentechnik gefordert. Prof. Matin Qaim von der Leopoldina sprach von einem wichtigen Baustein, um das Ziel der Halbierung des Pestizideinsatzes bis 2030 zu erreichen. In naher Zukunft könnten dann viele schädlingsresistente Pflanzen auf den Markt kommen, die hohe Erträge mit viel geringeren Pestizidmengen möglich machten.

Umweltorganisationen und Vertreter des Biolandbaus bleiben allerdings bei ihrer ablehnenden Haltung. So kritisierten der Bioland-Verband und die europäische Vereinigung organisch wirtschaftender Landwirte einen gefährlichen Abschied vom lange gelebten Vorsorgeprinzip und sprachen von einer Zäsur. Die Verbraucherorganisation "foodwatch" bemängelt, dass Verbraucherinnen und Verbraucher wegen fehlender Kennzeichnung nicht erkennen könnten, welche Lebensmittel oder Zutaten aus "Genome Editing", erzeugt wurden. 

Alles in allem ist es aber ein mutiger Schritt: Man darf auf die weiteren Entwicklungen gespannt sein!

Quelle:
  1. https://www.transgen.de/aktuell/2880.ngt-regulierung-eu-kommission-crispr-gentechnik.html
  2. https://www.spektrum.de/news/gruene-gentechnik-neue-regeln-fuer-crispr-pflanzen/2157021