Meine DNA: Woher kommen meine Vorfahren? (Teil I)

"Wo komme ich her?" Diese Frage dürfte sich jeder Mensch schon einmal gestellt haben. Prof. Dr. Reinhard Renneberg schickt im Selbstversuch die eigene DNA auf "Zeitreise".

Das Genographic Project

Weitere Beiträge aus der Reihe:


Das Genographic Project wurde im April 2005 von der US-amerikanischen National Geographic Society und IBM in Kooperation mit der University of Arizona und Family Tree DNA gestartet und war eine auf fünf Jahre angelegte anthropologische Studie. Ziel war, die historischen Wanderungsbewegungen der Menschheit zu kartieren. Dazu wurden DNA-Proben von über 100.000 Menschen auf allen fünf Kontinenten gesammelt.

Einzigartig an diesem Projekt war dass auch die Öffentlichkeit daran teilnehmen konnte. Für 100 US-Dollar (Preis 2009, zzgl. Zoll und Versandkosten) konnte man sich ein Selbsttest-Paket in die ganze Welt liefern lassen und einen selbst entnommenen Abstrich der Mundschleimhaut an National Geographic schicken. 

Nach der Analyse wurde das Ergebnis anonym in einer Internet-Datenbank veröffentlicht. Man nutzte genetische Marker auf der mitochondrialen DNA (mtDNA) um den Verwandtschaftsgrad in mütterlicher  Linie zu bestimmen und auf dem Y-Chromosom (12 Microsatelliten Marker und Haplogruppen-SNPs) um den Verwandtschaftsgrad in väterlicher  Linie zu bestimmen. 

Jeder Teilnehmende der Studie konnte somit seine eigene genetische Herkunft und die Verwandtschaft in maternaler und paternaler Linie erfahren. Bis April 2009 hatten bereits mehr als 300.000 interessierte Menschen teilgenommen. Am 30. August 2009 zeigte der National Geographic Channel unter dem Titel The Human Family Tree (Der Stammbaum des Menschen) eine Dokumentation, die unter Verwendung der bis jetzt vorliegenden Ergebnisse entstand.

 
Weltkarte der Wanderungen der Menschheit  © Genographic Project

Wanderung der DNA: meine persönlichen Ergebnisse

Einen Monat später bekam ich eine Email (hier frei übersetzt):

"Sehr geehrter Herr Professor Reinhard Renneberg, 
hier sind Ihre Ergebnisse! 
Ihr Y-Chromosom gehört zur Haplogruppe E3b (M35)."


Halt, was sind überhaupt Haplogruppen? Roman Scholz, mein freundlicher Kollege, CEO der Firma Igenea in der Schweiz und Deutschland erklärt es dem Neuling:

Was sind Haplogruppen?

Haplogruppen kann man sich als große Äste des Homo sapiens Stammbaumes vorstellen. Jede Haplogruppe faßt Menschen zusammen, deren genetisches Profil ähnlich ist und die einen gemeinsamen Vorfahren teilen. Einer Haplogruppe des Y-Chromosoms gehören Männer an, die über einen gemeinsamen Vorfahren in rein väterlichen Linie verfügen. Das Y-Chromosom wird immer vom Vater an den Sohn weitergegeben.

Einer Haplogruppe der Mitochondrien-DNA (mtDNA) gehören Männer und Frauen an, die über eine gemeinsame Vorfahrin in rein mütterlichen Linie verfügen. Die mtDNA wird immer von der Mutter an deren Kinder weitergegeben. Diese Haplogruppen-Äste zeigen, wie sich Bevölkerungsgruppen auf der Erde bewegt haben. Haplogruppen definieren also auch ein geographisches Gebiet. Ältere Haplogruppen sind größer und weiter verbreitet. Von ihnen stammen zahlreiche jüngere Untergruppen ab.

Was sind SNPs?

Um eine Haplogruppe zu bestimmen, analysiert man die sogenannten SNPs (Single Nucleotide Polymorphism, sprich snips, wie Englisch für Schnipsel). Mit dem Begriff auf Deutsch Einzelnukleotid-Polymorphismus wird eine Variation eines einzelnen Basenpaares in einem komplementären DNA-Doppelstrang bezeichnet.

SNPs sind geerbte und vererbbare genetische Varianten. Eine Mutation dagegen  ist in der Regel eine neu aufgetretene Veränderung. Etwa 90% aller genetischen Varianten basieren auf SNPs. Sie sind sehr schnell und einfach zu bestimmen. SNP-Tests gibt es für mtDNA und Y-Chromosomen. Anhand dieser Tests läßt sich die Zugehörigkeit einer Person zu einer Haplogruppe bestätigen. Haplogruppen spielen zwar aus genealogischer Sicht (nähere Vergangenheit bis 1.000 Jahre) derzeit noch keine wichtige Rolle, sind aber aus anthropologischer und historischer Sicht (Antike und frühzeitliche Vergangenheit) von Bedeutung. 

Bei dieser Art der Analyse lassen sich die Verzweigungen von Haplogruppen und Untergruppen seit unserem afrikanischen Ursprung verfolgen und es lässt sich Interessantes über Wanderungsbewegungen unserer frühzeitlichen Vorfahren feststellen. SNPs des Y-Chromosoms tragen immer einen Buchstaben und eine Nummer als Kennzeichnung. Die Buchstaben definiert das Labor, das dieses SNP entdeckt hat, die Nummer die Reihenfolge.

Es gibt eine zweite Methode, die Haplogruppe des Y-Chromosoms zu bestimmen: Die Haupt-Haplogruppe kann auch durch DYS-Marker untersucht werden, indem man die Allele vergleicht. Diese Methode ist zwar in 99% der Fälle richtig, für eine 100%ige Bestimmung ist jedoch die SNP-Analyse erforderlich. 

Wer war unser Urvater, der "Adam" des Y-Chromosoms?

Dieser Mann ist zwar nicht der Urvater aller Menschen, aber er ist der historisch letzte Mann, der mit allen zu einem bestimmten Zeitpunkt lebenden Männern über eine ununterbrochene Linie ausschließlich männlicher Nachkommen verwandt ist. Nach heutigen Schätzungen lebte dieser Mann vor 60.000 bis 90.000 Jahren in Afrika. Er vererbte sein Y-Chromosom weiter, aber im Laufe der Generationen kamen immer mehr Mutationen hinzu, so daß sich das Profil immer weiter veränderte.

So entstanden die Haplogruppen, an deren Anfang immer ein einziger Urvater steht, also der erste Mann, der diese Mutation trug. Mit der Zeit wurde der genetische Stammbaum immer größer und komplexer. Es kamen immer neue SNPs dazu, die neue Untergruppen bestimmen.

Wer war unsere Urmutter, die "Mitochondriale Eva"?

Die Mitochondriale Eva ist die Frau, aus derer mitochondrialen DNA (mtDNA) die mtDNA aller heute lebenden Menschen hervorgegangen ist. Analog zum Adam des Y-Chromosoms ist sie sozusagen die Urmutter aller Menschen in der rein mütterlichen Linie. Sie lebte vor ca. 175.000 Jahren ebenfalls in Afrika. Von dieser mitochondrialen Eva stammen zahlreiche Urmütter ab, die am Anfang einer Haplogruppe stehen und somit die erste Frau repräsentieren, die diese eine Mutation trug.

Die weitere E-Mail an mich:

“Ihre STRs. Unten sehen Sie die Ergebnisse der Laboranalyse Ihres Y-Chromosoms. Ihre DNA wurde auf short tandem repeats (STRs) untersucht. 


Das sind sich wiederholende Segmente Ihres Genoms mit einer hohen Mutationsrate. Die Lage von jedem einzelnen dieser Marker auf dem Y-Chromosom ist auf der Abbildung eingezeichnet – zusammen mit der Anzahl der Wiederholungen der einzelnen STRs, die rechts davon stehen. DYS19 ist beispielsweise eine Wiederholung von TAGA. Wenn Ihre DNA diese Sequenz zwölfmal an dieser Stelle wiederholte, würde dies als DYS19 12 vermerkt. Durch Analyse der Kombination dieser STR-Längen in Ihrem Y-Chromosom können Genetiker Sie einer bestimmten Haplogruppe zuordnen und dadurch die komplexen Wanderungen Ihrer Ahnen aufzeigen. 

Y-SNPs des Y-Chromosoms

Falls die Analyse Ihrer STRs zu keinem Ergebnis geführt haben sollte, wird das Y-Chromosom zusätzlich auf das Vorhandensein eines informativen Single-Nucleotid-Polymorphismus (SNP) hin untersucht. Das sind durch Mutationen entstandene Variationen einzelner Nucleotidbasen, die es dem Untersuchenden ermöglichen, Sie definitiv einer genetischen Haplogruppe zuzuordnen. 

Die Ergebnisse der Analyse Ihres Y-Chromosoms identifizieren Sie als Mitglied der Haplogruppe E3b. Die genetischen Marker, die Ihre Abstammung definieren, reichen rund 60 000 Jahre zurück bis zum ersten gemeinsamen Marker aller nicht-afrikanischen Männer, M168, und folgen Ihrer Abstammungslinie bis zum heutigen Tag. Sie enden mit M35, dem definierenden Marker der Haplogruppe E3b."

Fortsetzung folgt unter Meine DNA: Woher kommen meine Vorfahren? (Teil II).
 

Referenzen
  1. Renneberg, Reinhard et al. (2022, in Vorbereitung): Biotechnologie für Einsteiger (6. Auflage), Springer Spektrum, Heidelberg.