Gewalt gegen Kinder - wann können Ärzte einschreiten?

Wann und wie müssen Ärzte reagieren, um rechtzeitig bei einer Kindesmisshandlung eingreifen zu können? Die Bundesärztekammer empfiehlt einige Maßnahmen zu beachten.

Früherkennung und Prävention als ärztliche Aufgabe

Niedergelassene Ärzte sind Schlüsselpersonen der Früherkennung und Prävention von Kindesmisshandlungen. Es gilt, die Anzeichen bereits in der hausärztlichen Versorgung zu erkennen und zu diagnostizieren. Dadurch haben Ärzte die Möglichkeit, schwer traumatisierten Opfern geeignete Schutz- beziehungsweise frühzeitige Interventionsmaßnahmen zukommen zu lassen und notwendige Therapien zu vermitteln.

Das im Jahr 2012 in Kraft getretene Bundeskinderschutzgesetz (BKiSchG) hat für Fachkräfte mit ärztlicher Schweigepflicht eine bundeseinheitliche Befugnisnorm zur Einschaltung des Jugendamtes bei Verdacht auf Vernachlässigung oder Misshandlung eines Kindes geschaffen (§ 4 KKG).

Dennoch ist aufgrund des Transparenzgebotes bei Verdacht auf Misshandlung die Problematik vorab mit den Sorgeberechtigten zu erörtern, und auf die Inanspruchnahme von Hilfe muss hingewiesen werden. Das kann problematisch sein, wenn der Verdacht gegenüber einem Sorgeberechtigten besteht. Die Ärztin oder der Arzt ist verpflichtet, selbstständig zu überprüfen, ob durch das Gespräch der wirksame Schutz des Kindes nachhaltig gefährdet ist. Bei einer konkreten Gefahr für das Kindeswohl entfällt die Erörterungspflicht und die die behandelnde Ärztin oder Arzt kann sich an ärztliche Kinderschutzambulanzen wenden oder das Jugendamt direkt konsultieren. Im Zweifelsfall steht Ärzten auf der Grundlage von § 4 KKG eine in diesem Themenfeld erfahrene jugendamtliche Fachkraft zur Verfügung - auf Wunsch auch im Rahmen pseudonymisierten Datenübermittlung.

Diagnose: Kindesmisshandlung

Etwa 5 % aller in Deutschland aufwachsenden Kinder leben in Familien, die nach den Kriterien der Mannheimer Risikokinder-Studie als "Hochrisikofamilien" für Kindeswohlgefährdung eingestuft werden.1 Im Jahr 2020 wurden laut Angaben des Statistischen Bundesamtes 45.444 Kinder und Jugendliche aufgrund des dringenden Verdachts auf Vernachlässigung oder Misshandlung vorübergehend in Obhut der Jugendämter genommen. 67 % der Inobhutnahmen gründeten auf dringender Kindeswohlgefährdung, 17 % auf Bitte des betroffenen Kindes selbst. 33 % aller in Obhut genommenen Mädchen und Jungen war jünger als 12 Jahre, jedes zehnte Kind (11 %) jünger als 3 Jahre.2

Formen der Misshandlung

Man unterscheidet in vier Formen der Misshandlung von Kindern, die alle aufgelistet im ICD 10 im Diagnoseschlüssel T74 zu finden sind:

Folgende anamnestische Informationen können auf einen Missbrauch hinweisen:

Maßnahmen bei Verdacht auf Kindesmisshandlung

Die Diagnose Kindesmissbrauch ist schwerwiegend und sollte daher mit Vorsicht und anamnestischer Sorgfalt getroffen werden. Bei Verdacht auf Kindesmissbrauch ist es entscheidend, sich vorab zu erkundigen, welche Rechtssicherheit besteht und welche Informationen an wen weitergegeben werden dürfen. Denn bei Nichtbeachtung der ärztlichen Schweigepflicht nach § 203 StGB drohen zumindest Schadensersatzansprüche bis hin zu strafrechtlichen Konsequenzen.

Die Bundesärztekammer empfiehlt folgende Maßnahmen, die Sie als behandelnde Ärztin oder Arzt beachten sollten:

Leitfaden "Gewalt gegen Kinder"

Zur Abklärung eines konkreten Falls der Kindesmisshandlung empfiehlt die Bundesärztekammer die medizinischen Leitfäden "Gewalt gegen Kinder", die für die Mehrheit der Bundesländer online verfügbar sind. Die Leitfäden für Ärzte und Institutionen enthalten:

Baden-Würtemberg

Bremen

Niedersachsen

Saarland

Schleswig-Holstein

Bayern

Hamburg

Nordrhein

Sachsen

Thüringen

Brandenburg

Mecklenburg-Vorpommern

Rheinland Pfalz

Sachsen-Anhalt

Westfalen-Lippe

Weitere Informationen zum Thema Kinderschutz

Referenzen
  1. Bundesärztekammer: Vernachlässigung und Misshandlung von Kindern: Früherkennung und Prävention als ärztliche Aufgabe (Zugriff: 12/05/2022)
  2. Destatis.de - Statistisches Bundesamt: Kinderschutz: Jugendämter nahmen 2020 rund 45 400 Kinder in Obhut (Pressemitteilung, Nr. 295 vom 24. Juni 2021) (Zugriff: 12/05/2022)