esanum: Es gibt nicht viele Menschen, die mit einer so schwierigen, angeborenen Erkrankung einen solchen Karriereweg schaffen. Woran liegt das? Können Sie Ihren Weg zum Traumberuf beschreiben?
Dr. Leopold Rupp: Zunächst gibt es verhältnismäßig deutlich weniger Menschen mit Behinderung in Deutschland. Und generell studiert nicht jeder junge Mensch Medizin. Entsprechend ist die Anzahl der Menschen mit Behinderung, die den passenden Abiturschnitt haben oder sich für ein entscheiden, geringer. Zweitens gibt es natürlich Hürden. Junge Erwachsene mit einer Behinderung müssen ermutigt werden, Medizin zu studieren. Eine Rollstuhlnutzung ist kein Grund, nicht Medizin zu studieren.
esanum: Wann hat sich Ihr Ziel, Mediziner zu werden, konkret herauskristallisiert?
Dr. Leopold Rupp: Es war immer schon ein bisschen in meinem Hinterkopf. Meine Eltern, mein Großvater, mein Urgroßvater sind und waren Ärzte – ich komme aus einer Medizinerfamilie. Es war also ein wenig vorgezeichnet, aber nicht in Stein gemeißelt. In der 12. oder 13. Klasse, während der Abiturzeit, wollten auch sehr gute Freunde von mir Medizin studieren. Ich habe mich dafür interessiert, war mit zwei Freunden in Berlin, habe mir die Charité angeschaut und war so überzeugt, dass ich gesagt habe: Ich will auch Medizin studieren.
esanum: Haben Sie zu dem Zeitpunkt Ermutigung erfahren, oder gab es eher Stimmen, die sagten: „Wie willst du das im Rollstuhl schaffen?“
Dr. Leopold Rupp: Das gab es zum Glück nicht. Ich bin immer so aufgewachsen, auch in meiner Familie und meinem Freundeskreis, dass man Dinge einfach erstmal ausprobiert. Wenn es nicht klappt, ist das völlig in Ordnung. Nicht jeder Mensch kann ins Weltall fliegen, und nicht jeder läuft Marathon – und das ist auch völlig in Ordnung. Genauso kann ich manche Dinge aufgrund meiner Behinderung nicht. Aber mein Ansatz war immer, und mein Umfeld hat das geteilt: Man probiert es einfach erstmal aus.
esanum: Sie treten ja auch als eine Art Inklusions-Influencer auf. Was ist Ihr Anliegen dabei?
Dr. Leopold Rupp: Mir ist bewusst, dass ich mit meinem Weg und meiner Position eine gewisse Vorbildfunktion habe. Ich engagiere mich zudem stark ehrenamtlich, primär im deutschen Sport. Ich war selbst und bei den Spielen 2012 in London dabei.
esanum: Welchen Sport haben Sie gemacht?
Dr. Leopold Rupp: Luftgewehrschießen, also Sportschießen. Durch diese Reichweite ist es mir wichtig, mich dafür einzusetzen, dass es im Jahr 2025 selbstverständlich ist, dass ein Mensch im Rollstuhl mit Kindern spielen oder Arzt werden kann, wenn er oder sie das möchte. Ich möchte zeigen, dass es geht. Wenige Role Models reichen da schon aus. Jeder, der an der Charité mit mir zusammenarbeitet oder studiert hat, hat verstanden, dass man auch im Rollstuhl Arzt sein kann. Einige wenige Personen als Multiplikatoren reichen völlig aus, um diese Botschaft in die Welt zu tragen.
esanum: Das heißt, Sie müssen gar nicht viel reden. Allein Ihr Dasein als Arzt hat schon eine Wirkung?
Dr. Leopold Rupp: Genau. Jeder Patient, jede Patientin, die hereinkommt, sieht mich, merkt, dass ich ein ganz okayer Arzt bin, und nimmt das mit in die Welt da draußen. Das verändert das Bewusstsein der Menschen. Selbst durch eine kurze Begegnung in der , glaube ich, kann man schon sehr viel bewirken, allein durch die Tatsache, dass ich hier an der Charité arbeite.
esanum: Obwohl Ihr bloßes Dasein schon Wirkung zeigt, welchen konkreten Tipp würden Sie jungen Menschen in Ihrer oder ähnlichen Situationen geben, wenn sie sich hohe Ziele setzen?
Dr. Leopold Rupp: Man sollte es einfach ausprobieren. Man ist gut beraten, seine Grenzen zu kennen und diese auch zu respektieren. Man sollte nicht unvorbereitet einen Marathon laufen. Genauso werde ich wahrscheinlich nie Notarzt im Hubschrauber werden – das geht mit dem Rollstuhl einfach nicht, und das ist für mich in Ordnung. Man sollte seine Grenzen kennen und respektieren, aber diese auch ausreizen. Dann einfach Dinge ausprobieren. Und auch akzeptieren, wenn es nicht klappt, aber nicht aufgeben. Dann findet man seinen Weg eben auf eine andere Art und Weise.
esanum: Gibt es noch andere Einschränkungen, die Sie in Kauf nehmen müssen, abgesehen von Hubschraubereinsätzen?
Dr. Leopold Rupp: Ich nutze einen Rollstuhl, in der Klinik einen speziellen, hochfahrbaren Rollstuhl mit Joystick, der mir vieles ermöglicht. Aber natürlich kann ich vielleicht nicht den 130-Kilo-Patienten umlagern. Das ist aber auch völlig in Ordnung.
esanum: Das erwartet sicher auch niemand von Ihnen.
Dr. Leopold Rupp: Das erwartet niemand, genauso wenig wie man es von einer 58-jährigen Oberärztin erwarten würde. Man muss das immer in die Verhältnismäßigkeit setzen.
esanum: Das bringt mich noch zu einer anderen Frage. Bestimmte Dinge wird man automatisch von Ihnen nicht erwarten, aber so wie auch von anderen Menschen nicht alles erwartet werden kann. Haben Sie im Umkehrschluss diese Idee in sich identifiziert, deswegen ganz besonders gut sein zu müssen, also das irgendwie zu kompensieren durch ganz hohe fachliche Kompetenz?
Dr. Leopold Rupp: Ein Stück weit hatte ich das mal. Mittlerweile habe ich zum Glück eine gewisse Altersweisheit erlangt, sodass ich es mir nicht mehr beweisen muss. Ich habe initial Anästhesie gemacht, und da haben sich natürlich auch Leute gefragt, ob ich zum Beispiel intubieren oder einen ZVK legen kann. Das habe ich alles geschafft und mir damit bewiesen. Ich möchte mir selbst immer beweisen, dass ich Sachen kann, habe aber mittlerweile eine gewisse Ruhe gefunden. Als fast fertiger Facharzt muss ich es mir selbst und meinem Umfeld nicht mehr beweisen.
Der Disability Pride Month wird jedes Jahr im Juli gefeiert. In Form von Paraden, Demonstrationen und Aktionen wird auf gesellschaftliche Missstände aufmerksam gemacht und das Bewusstsein für Barrierefreieheit, Inklusion und Selbstbestimmung gestärkt.
esanum: Was wünschen Sie sich für eine noch bessere Inklusion in der Medizin?
Dr. Leopold Rupp: Es ist wichtig zu akzeptieren, dass auch Ärzte und Ärztinnen krank sein oder eine Behinderung haben dürfen. Wir sollten von dem hohen Ross herunterkommen, dass Ärzte unfehlbar sind. Ärzte dürfen Burnout haben, sie dürfen eine Behinderung haben. Diese Diversität im ist extrem relevant, auch für die Patienten. Sie sehen dann, dass der Arzt nicht der "Gott in Weiß" ist, sondern vielleicht im Rollstuhl sitzt. Akzeptanz ist hier das Schlüsselwort. Wir sind schon weit gekommen, zum Beispiel studieren viel mehr Frauen Medizin als Männer. Das ist ein Wandel, der akzeptiert werden muss, auch dass mehr Frauen in Führungspositionen sind. Die gleiche Akzeptanz braucht es dann auch für Ärzte mit Behinderungen, mit Migrationshintergrund und so weiter.
esanum: Sind Ihnen schon mal wirklich unangenehme Reaktionen von Patienten auf Ihr Erscheinungsbild begegnet?
Dr. Leopold Rupp: Das ist mir schon passiert, aber zum Glück extrem selten. Ich trete dem relativ selbstbewusst entgegen, und dann ist da auch kein Platz für solche Sprüche. Da bin ich sehr streng und knallhart.
esanum: Was machen Sie dann konkret?
Dr. Leopold Rupp: Ich sage dem Patienten, meistens sind es Männer, dass er die Wahl hat, sich von mir behandeln zu lassen oder nicht. Er kann sich auch ein anderes Krankenhaus suchen, aber ich bin jetzt hier sein behandelnder Arzt und werde ihn nach bestem Wissen und Gewissen behandeln. Wenn er ausfällig wird oder sich über meine Behinderung lustig macht, sage ich klar, dass das nicht geht und ich das nicht toleriere. Ich behandle ihn aus ärztlicher Sicht, aber nur, wenn er sich mir gegenüber vernünftig benimmt.
esanum: Ähnliches hört man auch von Frauen mit migrantischem Aussehen, die als Kaffeekocherinnen betrachtet werden, obwohl sie längst Oberärztin sind. Das sind wohl die Geburtswehen einer wirklich aufgeklärten Gesellschaft.
Dr. Leopold Rupp: So ist es. Aber der stete Tropfen höhlt den Stein. Wenn die Leute immer mehr Oberärztinnen sehen, immer mehr Ärzte mit Behinderung, dann kommt das irgendwann auch im Kopf an, und dann ist es keine Diskussion mehr. Ich helfe als Arzt Menschen, aber bringe auch gesellschaftlich das Bild ein bisschen voran. Als gutes Beispiel dazu fällt mir eine Medizinstudentin mit Behinderung von der Uni Essen ein. Hannah Hübecker hat zwar nicht wegen mir angefangen Medizin zu studieren, sie hat ihre Behinderung erst im Studium bekommen. Aber sie sieht mich "als Vorbild", wenn ich das so sagen kann.
Dr. Leopold Rupp ist Arzt in Weiterbildung an der Charité - Universitätsmedizin Berlin,
wo er in der Notaufnahme arbeitet. Dr. Rupp sitzt aufgrund einer angeborenen Diastrophischen Dysplasie im Rollstuhl. Neben seinem Arztberuf ist er stellvertretender Vorstandsvorsitzender der Deutschen Behindertensportjugend. über Leopold Rupp?