Suizid auf Wunsch: Arzt überflüssig, Patient tot

Mit Hilfe künstlicher Intelligenz soll ein Onlineprogramm den Suizidwunsch von Patienten überprüfen und einen Aktivierungscode für eine Suizidkapsel liefern. Science-Fiction? Nicht ganz.

Wird Künstliche Intelligenz künftig Suizidwünsche beurteilen?

In der Schweiz ist Hilfe beim Suizid gesetzlich erlaubt. Bislang erfolgt sie durch Verschreibung eines tödlichen Medikaments. Dies erhält der Patient nur, wenn er eine Reihe von Kriterien erfüllt, die das Gesetz vorschreibt und der Arzt prüft: Die Dauerhaftigkeit des Sterbewunsches, die Urteilsfähigkeit des Patienten, seine freie Entscheidung und die Ausschöpfung aller Behandlungsmöglichkeiten sind einige der zu beurteilenden Faktoren, damit dem Wunsch des Patienten entsprochen werden kann. Darüber hinaus muss von ärztlicher Seite bestätigt sein, dass die Lebenserwartung des Patienten nicht mehr als sechs Monate beträgt.

Einsteigen und sterben - ein sanfter Tod

Das alles soll sich zukünftig ändern, zumindest wenn es nach Philipp Nitschke, Gründer der Suizidhilfe-Organisation "Exit International", geht, der mit seiner "Sarco"-Suizidkapsel neue Wege der Selbsttötung beschreiten will. Seine Erfindung ist eine futuristisch designte und mobil aufstellbare Liege-Kabine, optisch angesiedelt zwischen Raumkapsel und Rennbob. Sie wird im 3D-Druckverfahren hergestellt und hat in der Schweiz bereits die rechtliche Prüfung durchlaufen. Gegenüber swissinfo.ch sagte Nitschke, er sei mit dem Ergebnis der Prüfung sehr zufrieden, es gäbe keinerlei rechtliche Probleme. In diesem Jahr sollte der "Sarco" auf den Schweizer Markt kommen - bisher ist über die endgültige Zulassung oder die Zusammenarbeit mit Sterbehilfeorganisationen noch nichts bekannt. 

Der Clou an dieser Suizidmethode: Für die letzte Reise werden weder Medikamente noch ärztliche Hilfe benötigt. Die Debatte um aktive Sterbehilfe und passive Sterbehilfe könnte damit obsolet werden. Patienten, können das Mini-Raumschiff an jedem beliebigen Ort aufstellen, einsteigen und selbst aktivieren. Die Freisetzung von Flüssigstickstoff im Innenraum entzieht der Kapsel Sauerstoff und führt innerhalb von 30 Sekunden zum Koma. Der Sterbende empfindet dabei weder Atemnot noch Schmerzen. Innerhalb weniger Minuten tritt der Tod ein. Ärztliche Suizidhilfe wird bei dieser Art des Freitods nicht mehr benötigt. Schnell, schmerzfrei und selbstbestimmt sterben. Das klingt doch erst einmal sehr gut.


© Exit International

© Exit International

© Exit International

Per Online-Lizenz zum Suizid

Eine noch weitreichendere Veränderung in der Sterbehilfe impliziert allerdings die sich derzeit in Entwicklung befindende Künstliche Intelligenz, die laut Philipp Nitschke bald die ärztliche Beurteilung überflüssig machen und eine objektivere Einschätzung des Sterbewunsches ermöglichen soll. In der ersten Zeit, in der der "Sarco" zum Einsatz kommen wird, wird weiterhin das ärztliche Gutachten ausschlaggebend sein. Aber: Das Argument für Künstliche Intelligenz ist stark, denn es liegt in der Objektivität algorithmenbasierter Analysen.  

KI-Analyse spart Zeit und Geld

Eine solche Künstliche Intelligenz analysiert individuelle soziale, psychologische und biologische Faktoren und vergleicht diese mit ähnlichen demografischen Profilen. Mit sehr großer Genauigkeit kann auf diese Weise ermittelt werden, ob die betreffende Person tatsächlich bewusst und aus freien Stücken sterben will. Außerdem erfasst die KI anhand von Vergleichsdaten, wenn zu erwarten ist, dass sich ausschlaggebende Faktoren im Leben dieses Menschen verbessern werden. Die Datenanalyse sieht solche Veränderungen bereits zu einem Zeitpunkt vorher, an dem sie empirisch noch nicht erfassbar sind und ermöglicht so eine andere Art der Selbstbestimmung: sie kann den Todeswunsch relativieren.

Damit schlägt sie die ärztliche Urteilsfähigkeit um Längen. Der derzeit in den Niederlanden lebenden Nitschke bestätigt, dass seine KI gemäß eines Tests zur Eignung für assistierten Suizid programmiert wird, den Professor Cameron Stewart von der Universität Sydney 2011 im Journal of Medical Ethics veröffentlicht hat. Es soll dann einmal so funktionieren, dass ein interaktives Online-Programm der sterbewilligen Person eine Reihe von Fragen stellt, die Antworten analysiert und dann bei positiver Prüfung einen Aktivierungscode generiert, mit dem der "Sarco" gestartet werden kann. Ein schnelles, standardisiertes und unpersönliches Verfahren – individuell und personalisiert.

Sterben leicht gemacht

Doch das ist noch nicht alles. Wenn es nach Philipp Nitschke ginge, müsste ein Mensch sich nicht länger im Endstadium einer lebensbedrohlichen Krankheit oder eines unzumutbaren Leidens befinden, um seinen Sterbewunsch zu legitimieren. Das einzige Kriterium sollte demnach die notwendige Lebenserfahrung sein, um diesen Wunsch zu begründen. Seine zukünftige KI berücksichtigt auch die damit einhergehende Gefahr des Missbrauchs: So muss eine körperlich gesunde Person mindestens 50 Jahre alt sein, um sicherzustellen, dass genügend Lebenserfahrung und Reife vorhanden ist, um das eigene Leben aus freien Stücken zu beenden. 

In dieser Zukunftsvision eines selbstbestimmten Todes ist ärztlicher Rat nicht mehr vorgesehen. Sterben wird zur computergestützten, individuellen Entscheidung. Ärzte werden der schwerwiegenden Verantwortung eines assistierten Suizids enthoben und Sterbewillige nicht mehr mit der Einhaltung langwieriger Protokolle konfrontiert. Eine Abkürzung in den Tod. 

Alte, kranke, depressive Menschen würden so aber auch mit ihrer Entscheidung allein gelassen. Und wer weiß, was das künftig für diejenigen heißen könnte, die trotz Alter, Pflegebedürftigkeit und Leiden nicht freiwillig aus dem Leben scheiden wollen. Wenn sterben so leicht gemacht wird, muss man dann bald Gründe zum Leben finden?

Quellen: