Zum Auftakt des 129. Deutschen Ärztetages hat Bundesgesundheitsministerin Nina Warken am Dienstag in Leipzig ihre Bereitschaft zum Dialog und zur intensiven Zusammenarbeit mit der Selbstverwaltung, den Praktikern und der Wissenschaft im Gesundheitswesen bekräftigt. Das werde insbesondere für die geplante Steuerung der Versorgung durch ein verbindliches Primärarztsystem und für die Umsetzung der Krankenhausreform und deren Akzeptanz bei den Betroffenen gelten. Es war Warkens erster öffentlicher Auftritt vor einer bedeutenden Organisation im Gesundheitswesen.
Eine zentrale Rolle bei der Sicherstellung der medizinischen Versorgung wird laut Warken die Befreiung der Ärzte und Gesundheitsberufe von unnötiger bürokratischer Belastung spielen. Dem sei ein eigener Abschnitt im Koalitionsvertrag gewidmet: „Es ist uns ernst damit!“ Dazu werde man auf die von der Ärzteschaft erarbeiteten Vorschläge, auf die zuvor Bundesärztekammerpräsident Dr. Klaus Reinhardt in seiner Eröffnungsrede ausdrücklich hingewiesen hatte, zurückgreifen. Allein in der ambulanten Versorgung, so Reinhardt, summiere sich der Bürokratieaufwand pro Praxis auf jährlich 61 Tage.
Dies griff Warken auf und nannte mehr Zeit für die Patientenversorgungen als wichtigstes Ziel der Bürokratieentlastung. Das sei auch vor dem Hintergrund eines zunehmenden Fachkräftemangels bedeutsam. Angesichts der Alterung auch in der Ärzteschaft „müssen wir besonders achtsam mit der ärztlichen Arbeitskraft umgehen“. Denn man könne sich nicht darauf verlassen, dass der Zuzug von Ärzten aus dem Ausland, die inzwischen zu einer wichtigen Säule der Versorgung geworden seien, den wachsenden Fachkräftemangel kompensieren könne.
Mit der Einführung eines verbindlichen Primärarztsystems stehe die Sicherstellung der ambulanten Versorgung im Vordergrund. Das dazu vom vorjährigen Ärztetag beschlossene Konzept der Bundesärztekammer sei eine gute Ausgangsposition. Die Umsetzung eines Primärarztsystems erfordere unbedingt einen Grundkonsens aller Beteiligten und Betroffenen und werde von Beginn an in einer Kooperation von Politik und Selbstverwaltung erarbeitet. Dabei müsse auch Akzeptanz bei den Patienten erreicht werden.
Ausdrücklich begrüßte Warken die nun abgeschlossenen Vorarbeiten zu einem gemeinsamen Reformvorschlag der Bundesärztekammer und der privaten Krankenversicherung für eine neue GOÄ. Eine wichtige Rolle spielt dabei, ob der Ärztetag dem nun vorliegenden Entwurf einschließlich des Leistungsverzeichnisses und seiner Bewertungen zustimmen wird. Zuletzt hatte es darüber – nach Kritik an Bewertungen insbesondere aus Kreisen der technisch orientierten Fächer – Kontroversen gegeben. Die Debatte und Entscheidung dazu wird am Donnerstag stattfinden.
Die in ihrer Zielsetzung „grundsätzlich richtige“ Krankenhausreform werde die Bundesregierung mit Korrekturen fortsetzen, und zwar insbesondere im Dialog mit den Ländern und der Selbstverwaltung. Dabei komme es auch darauf an, dass die öffentliche Debatte zu dieser Reform nicht primär unter dem Gesichtspunkt der Schließung von Krankenhäusern vor Ort, sondern unter dem Aspekt der Versorgungsqualität geführt werde.
Auch in diesem Zusammenhang hatte zuvor BÄK-Präsident Reinhardt die Dialog- und Kooperationsbereitschaft der Bundesregierung begrüßt. Dies sei insbesondere hinsichtlich der qualitativen und strukturellen Anforderungen und bei der Überprüfung der Praxistauglichkeit der insgesamt 65 Leistungsgruppen von Bedeutung.
Bislang viel zu wenig beachtet worden sei im Zusammenhang mit der Krankenhausreform deren Auswirkungen auf die ärztliche Weiterbildung sowie die dafür vorhandenen Weiterbildungskapazitäten und -strukturen. Von wesentlicher Bedeutung dafür sei die Entwicklung von Verbundstrukturen, wie sie schon für die allgemeinmedizinische Versorgung existieren, auch für die fachärztlichen Disziplinen. Dabei müsse auch eine Lösung für die Finanzierung der Weiterbildung gefunden werden. Dringend notwendig sei darüber hinaus die überfällige Umsetzung der neuen Approbationsordnung auf der Basis des Masterplans 2020.
Zur Mobilisierung von ärztlichem Arbeitskräftepotential gehöre auch, so Reinhardt, welche rechtlichen Rahmenbedingungen für ältere Ärzte geschaffen werden. Umfragen zeigten, dass auch bei Ärzten, die das Ruhestandsalter erreicht haben, eine hohe Bereitschaft bestehe, weiterhin, etwa in Teilzeit, ärztlich tätig zu sein. Das Potential bezifferte Reinhardt auf etwa 20.000 Vollzeitkräfte – eine relevante Größenordnung. Diese Ärzte wollten allerdings in der Patientenversorgung arbeiten und nicht mit bürokratischen oder Management-Aufgaben belastet sein. Notwendig dazu seien die Befreiung von der Sozialversicherungspflicht und steuerliche Anreize wie sie der Koalitionsvertrag für arbeitende Rentner vorsehe.
Zur Stabilisierung der prekären Finanzen der Kranken- und Pflegeversicherung forderte Reinhardt namens der Ärzteschaft den Abbau der Belastungen der Sozialversicherungen von gesamtgesellschaftlichen Aufgaben. Dies habe inzwischen ein Volumen von 60 Milliarden Euro erreicht. Ferner sollten spezifische Verbrauchssteuern auf gesundheitsgefährdende Produkte wie Tabak sowie zucker- und fetthaltige Lebensmittel dem Gesundheitsfonds zugeführt werden.