Assistierter Suizid: Der rechtliche Rahmen und die aktuelle Debatte in Deutschland

Nach dem Urteil zum assistierten Suizid diskutieren Experten über mögliche gesetzliche Regelungen und das Selbstbestimmungsrecht.

Assistierter Suizid: Keineswegs ein rechtsfreier Raum

Fast sechs Jahre nach dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts zum assistierten Suizid sieht sich der Gesetzgeber erneut vor die Frage gestellt, ob für die Beihilfe zum Suizid nicht doch eine Rechtsgrundlage geschaffen werden muss. Im Rahmen ihres Symposions „Brennpunkt : Am Ende? Selbstbestimmtes Sterben in Deutschland“ der Deutschen Krebsgesellschaft diskutierten Palliativmediziner, Hospizvertreter, Juristen und Parlamentarier, ob die Notwendigkeit dazu besteht und welche Möglichkeiten es geben könnte.

In seinem aufsehenerregenden Urteil vom 26. Februar 2020 hatte das Bundesverfassungsgericht die vom Bundestag mehrheitlich beschlossene Fassung des Paragraf 217, das Verbot der geschäftsmäßigen Sterbehilfe, als grundgesetzwidrig eingestuft und damit aufgehoben. Dabei hatte das Gericht im Kern auf das Selbstbestimmungsrecht eines jeden mündigen Bürgers abgestellt, das auch das Recht auf Selbsttötung einschließt, unabhängig vom Motiv. Dies schließt auch das Recht ein, sich für den Hilfe zu suchen. Eine solche Assistenz dürfe der Staat jedenfalls durch rechtliche Regelungen wie die eines strafrechtlichen Verbots „geschäftsmäßiger“, also jedweder organisierter professioneller Sterbehilfe verunmöglichen.  

Zugleich habe das Bundesverfassungsgericht auch die Anforderungen an eine straflose Beihilfe definiert, so die Medizin-und Strafrechtlerin Professor Tanja Henking von der Hochschule Würzburg-Schweinfurt:

Der Gesetzgeber kann handeln, er muss es aber nicht

Der Gesetzgeber, so Henking, könne eine Regulierung der Suizidhilfe schaffen, er müsse dies aber nicht. Eine staatliche Intervention müsse sich allerdings strikt darauf beschränken, den Schutz der Selbstbestimmung zu sichern. Das könnte auch mit Mitteln des Strafrechts geschehen, wenn sichergestellt sei, dass „im Einzelfall ein Zugang zu freiwillig bereitgestellter Suizidhilfe real eröffnet bleibt“. 

Angesichts eines existierenden Rechtsrahmens für den assistierten Suizid sieht Henking nicht unbedingt Handlungsbedarf im Strafrecht. Denn schon nach geltendem Recht sei Hilfe zum nicht freiverantworteten Suizid strafbar.  

Anders dagegen die Auffassung von Lukas Benner, Bundestagsabgeordneter von Bündnis 90/Die Grünen. Er ist in einer überfraktionellen Arbeitsgruppe von Parlamentariern tätig, die einen neuen gesetzlichen Rahmen für den assistierten Suizid schaffen wollen. Im derzeitigen Stadium arbeitet die Parlamentariergruppe strikt vertraulich, welche Lösungen diskutiert werden, sagte Benner nicht. Außerdem scheinen die Beratungen noch ganz am Anfang zu stehen, das heißt, dass im Moment erst einmal Rechtstatsachenforschung stattfindet. Grundlage dafür sollen Gerichtsurteile sein, die insbesondere mutmaßliche oder tatsächliche Verstöße gegen das Erfordernis der Freiverantwortlichkeit im Inhalt haben. Und damit kann sich für den Gesetzgeber die Frage nach den Anforderungen an die Suizidhilfe leistenden Organisationen oder Personen sowie die dabei notwendigen Prozesse stellen. 

Abkehr von der strikten Pro-Kontra-Debatte

Wesentlich aus der Sicht des Palliativmediziners Professor Ulrich Wedding (Universität Jena) ist eine deutliche Optimierung eine verbesserte „health and death literacy“. Evidenzbasierte Empfehlungen sehen daher vor, dass Ärzte bei nicht heilbarer betroffene Patienten nach Todeswünschen fragen. Es gebe keinen Hinweis, dass damit die Entstehung von Suizidgedanken gefördert wird oder dass solche Gedanken gestärkt werden. Für die meisten Patienten, auch solche mit Suizidgedanken, lassen sich nach der Erfahrung Weddings befriedigende Antworten finden: „Palliativmedizin muss erfahrbar werden, um wirken zu können.“ Der Suizid bleibe aber ein Grundrecht, das geachtet werden müsse. Dabei darf der Staat sich nicht mit dem Verbot “geschäftsmäßiger Suizidhilfe” zwischen einen freiwillig Hilfe Suchenden und dem Anbieter freiwilliger Suizidhilfe stellen. Wedding: „Besser kein Gesetz als ein schlechtes.“

Alle Diskussionsteilnehmer stellten fest, dass sich nach dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts die Haltungen zum assistierten Suizid verändert haben. Aus den ehemals strikten Pro- und Kontra-Auffassungen sind auch durch interdisziplinäre Diskurse Annäherungen entstanden. Lukas Benner sieht daher diese Chance, dass der Bundestag nur über einen konsentierten mehrheitsfähigen Entwurf entscheiden wird.