In jedem vierten der insgesamt 12.304 Gutachten der Fachärzte des Medizinischen Dienstes ist im vergangenen Jahr ein Behandlungsfehler mit einem Schaden festgestellt worden. Dies stellt jedoch nur die Spitze des Eisbergs dar – basierend auf internationalen Daten erleiden etwa fünf Prozent der Krankenhauspatienten, was ungefähr 800.000 Personen entspricht, einen Behandlungsfehler. Entgegen dem internationalen Trend steigt in Deutschland das Risiko, auch deshalb, weil es an stringenten verpflichtenden Maßnahmen zur Verbesserung der Patientensicherheit fehlt.
„Wenn Behandlungsfehler passieren, werden nicht nur Patienten geschädigt. Es entstehen auch enorme Kosten im Gesundheitssystem, weil Folgeuntersuchungen, erneute Operationen und Nachbehandlungen notwendig sind“, so der Vorstandsvorsitzende des Medizinischen Dienstes Bund, Dr. Stefan Grönemeyer, bei der Vorstellung der Jahresstatistik zur Begutachtung von Behandlungsfehlern am Donnerstag in Berlin.
Grönemeyer fordert deshalb, Krankenhäuser, Kassenärztliche Vereinigungen, Ärzte und andere Gesundheitsberufe zu verpflichten, zum einen Patienten über Behandlungsfehler zu informieren und zum zweiten an einem obligatorischen, sanktionsfreien und pseudonymisierten Meldesystem für vermeidbare Schadensereignisse teilzunehmen. Solche müssten systematisch dazu genutzt werden, Untersuchungs- und Behandlungsprozesse etwa durch Checklisten sicherer zu machen – ein Instrument, das in anderen Ländern längst genutzt wird, in Deutschland aber nur freiwillig und zufällig eingesetzt wird.
Im Rahmen seiner Gutachtertätigkeit stellte der Medizinische Dienst im vergangenen Jahr 134 solcher Fälle (Vorjahr: 151 Fälle) fest. Dazu gehören schwerwiegende Medikationsfehler, im Körper zurückgelassene Fremdkörper oder Verwechslung von Patienten. Solchen Fehlern im Versorgungsprozess müsse systematisch nachgegangen werden, um sie künftig zu vermeiden, so Grönemeyer.
Die Begutachtungszahlen des Medizinischen Dienstes zeigen nur einen kleinen Ausschnitt des tatsächlichen Fehlergeschehens, etwa drei Prozent. Sie können überdies verzerrt sein, weil nur für Patienten wahrnehmbare Schäden gemeldet werden. Die meisten Gutachten (7960) wurden zu vermuteten Behandlungsfehlern in Krankenhäusern erstellt, ein Drittel bezog sich auf den ambulanten Bereich. Die meisten Vorwürfe betreffen die , 3664 Fälle die Orthopädie und Unfallchirurgie, 1402 Fälle die Innere Medizin, 1097 Fälle die und 1040 Fälle die Zahnmedizin.
Die Zahlen seien jedoch nicht repräsentativ, eine Häufung von Vorwürfen in einem Fachgebiet sage nichts über deren Fehlerquote oder die Sicherheit im jeweiligen Fachgebiet, betonte Dr. Christine Adolph, die stellvertretende Vorstandsvorsitzende des MD Bayern. So seien Fehler in der Chirurgie für Patienten leichter zu erkennen als in anderen medizinischen Disziplinen.
Bei knapp zwei Dritteln der begutachteten Fälle waren die Gesundheitsschäden vorübergehend, erforderten aber eine Intervention oder eine Krankenhausbehandlung. Bei knapp einem Drittel der Patienten wurde jedoch ein Dauerschaden verursacht. In 8,4 Prozent aller Schadensfälle war ein schwerer Dauerschaden eingetreten, 2,3 Prozent erforderten lebensrettende Maßnahmen, 2,7 Prozent verliefen tödlich.
Die Entwicklung und das Ausmaß des Fehlergeschehens zeigen auch die Reformbedürftigkeit des deutschen Gesundheitswesens, insbesondere der stationären Versorgung. Die derzeit besten und aktuellen international vergleichbaren Daten, so der Gesundheitsökonom Professor Reinhard Busse von der TU Berlin, liefere die „Global Burden of Disease“-Studie. Danach ist die Zahl der Todesfälle durch Behandlungsfehler im internationalen Durchschnitt seit 1990 um rund ein Drittel auf 1,3 pro 100.000 Einwohner zurückgegangen. In Deutschland ist diese Zahl jedoch im gleichen Zeitraum um rund 100 Prozent auf zuletzt 1,9 gestiegen. Das entspreche 1900 Todesfällen. Zum Vergleich: In der Schweiz sind es 0,6.
Zugleich entstehen dadurch enorme ökonomische Schäden: Etwa 15 Prozent der Krankenhauskosten gehen auf Behandlungsfehler zurück, das sind 15 Milliarden Euro. Der gesamtwirtschaftliche Schaden wird auf ein Prozent des Bruttoinlandsprodukts, also etwa 40 Milliarden Euro, geschätzt.