Mit einer neuen Strategie nutzt die AfD gezielt die Gesundheitspolitik, um die Bundesregierung in der Öffentlichkeit als handlungsunfähig darzustellen. Unstrittige Schwächen der Gesundheitsversorgung – Schwierigkeiten, Arzttermine zu bekommen, notwendige Veränderungen der Klinikstrukturen, Mängel in der Pflege – instrumentalisiere die AfD für eine Skandalisierung. So der Gesundheitspolitiker von Bündnis 90/Die Grünen, Dr. Janosch Dahmen, im Interview mit der „Tageszeitung“. Der Grund, so Dahmen: „Die neue Gesundheitsministerin agiert bisher über den Bereich der fehlenden Fachlichkeit und Einarbeitung hinaus sehr verzagt und mutlos. Und es ist erkennbar, dass die AfD diese Zögerlichkeit ausnutzt. Sie kopiert ganz konkret Teile der vorliegenden Vorschläge und lädt sie mit dem populistischen Narrativ auf, dass die demokratischen Parteien insgesamt unfähig seien, Lösungen und Entscheidungen zu treffen, und inszeniert sich selbst als einzige Alternative.“ Sie nutze dabei das gleiche Muster wie andere Rechtspopulisten in Europa, etwa der Brite Boris Johnson, der unhaltbare Zustände im NHS skandalisiert habe, um den Brexit mehrheitsfähig zu machen.
Ganz konkret sei die neue Strategie der AfD nach der Sommerpause in der Gesundheitspolitik offenkundig geworden: Es vergeht keine Woche, in der die AfD nicht neue gesundheitspolitische Initiativen einbringe und den Gesundheitsausschuss mit Anträgen flute. Das reiche weit über klassische rechtspopulistische Themen hinaus und betreffe etwa Überlebenschancen von Dialysepatienten, bedarfsgerechte Psychotherapie, die hohe Sterblichkeit in Deutschland oder Lieferengpässe bei Arzneimitteln. Dahmen: „Mein Eindruck ist, dass die AfD sich teilweise thematisch tief eingearbeitet hat. Aber die Strategie ist im Prinzip die: Sie nutzt Lösungsansätze, die bereits vorliegen, aber nicht umgesetzt werden, um es dann so darzustellen, als würden damit alle Probleme gelöst werden. Verknüpft mit der Erzählung: Es könnte so einfach sein, warum kriegt es diese Regierung nicht hin? Vielleicht weil sie nicht im Interesse der Bürger handelt, sondern irgendwelcher anderen dubiosen Mächte?“ Die Union habe noch nicht in aller Konsequenz verstanden, dass dies auch ihr Problem sei.
Konkret macht Dahmen dies an der Reform der Krankenhäuser, der Notfallversorgung und des Rettungsdienstes deutlich: Dazu seien bereits von der letzten Regierung Gesetze vorbereitet worden – mit einem breiten Konsens; und diese könnten nun zur Beschlussfassung aufgesetzt werden.
Ähnlich kritisch sieht Ex-Gesundheitsminister Karl Lauterbach die Rolle seiner eigenen Partei in Bezug auf die AfD, die zuletzt insbesondere auf Kosten der Sozialdemokraten erheblich an Zustimmung gewonnen hat. Die wichtigsten Gründe, die dabei verkannt worden seien, sind, wie Lauterbach in einem Interview der „Zeit“ sagte: Die ärmeren 50 Prozent der Bevölkerung empfinden die Verhältnisse als zunehmend ungerecht. Das gelte für die Verschlechterung des Bildungssystems mit zunehmend ungleichen Bildungschancen, eine zunehmende Zwei-Klassen-Versorgung durch das Gesundheitssystem, steigende Mieten und unsichere Renten. „Die SPD muss diese Ungerechtigkeiten ehrlich einräumen, konkrete Lösungen vorschlagen und mit Leidenschaft kämpfen. Es kann doch nicht sein, dass die einzige Leidenschaft in der Politik von der AfD ausgeht.“
Ex-Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach warnt vor einer Verwässerung der Krankenhausreform, insbesondere hinsichtlich einer Abschwächung bei den Qualitäts- und Strukturvorgaben. In einem Interview der „Zeit“ gestand Lauterbach, der jetzt Vorsitzender des Bundestags-Forschungsausschusses ist, dass er Einfluss und Gestaltungsmöglichkeiten, die er als Minister hatte, schmerzlich vermisst, aber hinzufügt: „Ich gebe der neuen Ministerin keine öffentlichen Ratschläge, das gehört sich nicht.“ Um dann hinzuzufügen: Was ich im Hintergrund mache, ist eine andere Sache.“
Nur eine Frage später bleibt es dann nicht mehr bei verschwiegener Arbeit im Hintergrund; er antwortet mit Sätzen, die nur als Attacke auf Nina Warken gewertet werden können: „ Die Krankenhausreform ist eine sehr bedeutende Reform, die einfach nicht verwässert werden darf. Wir geben mittlerweile über 100 Milliarden Euro für die Krankenhäuser aus. Und die Kosten wachsen zwischen fünf und zehn Milliarden Euro. Trotzdem haben wir eine im internationalen Vergleich mäßige Qualität. Die Krankenhausreform bietet die Möglichkeit, die Qualität zu verbessern, die Lebenserwartung der Menschen zu erhöhen und dabei gleichzeitig viel Geld zu sparen. Man darf jetzt keine faulen Kompromisse mit den Lobbygruppen machen […] Beispielsweise, dass mehr Ausnahmen bei den Qualitätskriterien notwendig seien, damit möglichst viele Kliniken erhalten bleiben können. Doch das heißt übersetzt, dass der Patient eine schlechtere Versorgung bekommt […] Das können wir uns […] weder ethisch noch ökonomisch leisten.“
Für ein umfassendes Sparpaket zur finanziellen Stabilisierung der gesetzlichen Krankenkassen plädiert die Bundesvereinigung Deutscher Arbeitgeberverbände in einem Positionspapier. Verbunden wäre dies mit Einsparungen in einem Volumen zwischen 30 und 50 Milliarden Euro, das sind etwa 9 bis 15 Prozent des GKV-Finanzvolumens. Weite Teile der vorgeschlagenen Handlungsoptionen sind allerdings nicht neu, lösten aber gleich heftigen Protest aus. Wesentliche Elemente:
Die Bundesministerien für Gesundheit und Forschung scheinen der Long-Covid-Forschung keine hohe Priorität mehr einzuräumen. Das zeigen Daten aus dem Entwurf für den Bundeshaushalt 2026. Nachdem Ex-Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach 140 Millionen Euro für Long-Covid-Forschungs-Programme ausgehandelt und bekommen hatte – in Realisierung davon befinden sich Projekte mit einem Volumen von 116 Millionen Euro – sind im Etat des Gesundheitsministeriums für 2026 nur noch 16 Millionen Euro an frischem Geld vorgesehen; 15 Millionen Euro davon sind vorgesehen für Modellvorhaben zur Versorgung von Kindern und Jugendlichen. Insgesamt sind die Forschungsmittel des BMG um rund 1,6 Millionen Euro auf 41,47 Millionen Euro gekürzt worden; gefördert wird damit die Erforschung von Frauengesundheit, Digitalisierung und Prävention. Aus dem Etat des Forschungsministeriums sollen 187 Millionen in die Medizin fließen. Mit 16 Millionen Euro könnte davon die Long-Covid-Forschung profitieren. Angesichts der hohen gesamtgesellschaftlichen Belastung ist dies wenig: Die bislang entstandenen Gesamtkosten von Long Covid werden von der Hamburger ME/CFS-Research Foundation auf 250 Milliarden Euro beziffert. Grund dafür ist, dass von Long Covid auch sehr viele jüngere, nicht erwerbstätige Menschen betroffen sind, deren Arbeitsfähigkeit erheblich beeinträchtigt oder langfristig nicht gegeben ist.
Nach der Vorlage der Jahresstatistik des Medizinischen Dienstes zur Begutachtung von Behandlungsfehlern 2024 hat das Aktionsbündnis Patientensicherheit gefordert, im Rahmen der Krankenhausreform und der Digitalisierungsstrategie auch einen Nationalen Aktionsplan Patientensicherheit zu implementieren. Dazu sollen folgende Elemente gehören:
Das Aktionsbündnis argumentiert, dass bislang nur drei Prozent der vermeidbaren Schäden systematisch nachverfolgt werden. Notwendig sei eine verbesserte Datenbasis für ein modernes Patientensicherheitsmanagement.
Das Bundesgesundheitsministerium verweist in diesem Zusammenhang auf das Krankenhausversorgungsverbesserungsgesetz, in dem bereits vorgesehen ist, dass der Innovationsfonds des Gemeinsamen Bundesausschusses Projekte zur Versorgungsforschung mit dem Ziel einer Reduktion von Never Events finanzieren soll.