Wochenrückblick: Gesundheitswesen am Scheideweg – Lauterbachs Warnung und Warkens Herausforderung

Karl Lauterbach übergibt ein Gesundheitswesen in schwierigem Zustand: Ineffizienz, Ungerechtigkeit und demografische Herausforderungen. Seine Nachfolgerin Nina Warken steht vor der Mammutaufgabe, Reformen voranzutreiben.

Amtsübergabe im BMG: Lauterbach sieht Zustand des Gesundheitswesens überaus kritisch 

Trotz beträchtlicher Anstrengungen und Reformen hat der scheidende Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach bei der Amtsübergabe an seinen Nachfolgerin Nina Warken (CDU) den Zustand des deutschen Gesundheitswesens überaus kritisch bewertet. Aufgrund des demografischen Wandels bestehe eine doppelte Betroffenheit: die wachsende Belastung durch altersbedingt steigende Morbidität bei gleichzeitig sinkendem Fachkräfteangebot. Nach wie vor sei das Gesundheitssystem ineffizient und trotz höchster Ausgaben in Europa qualitativ nur mittelmäßig. Das schlage sich in einer im EU-Vergleich unterdurchschnittlichen Lebenserwartung nieder. Deutschland sei in der Prävention rückständig. Es existierte nach wie vor ausgeprägte Ungerechtigkeit zu Lasten ärmerer Menschen mit einem schlechteren Zugang zu Gesundheitsleistungen. Die wichtigste Aufgabe der Gesundheitspolitik sei es, Regeln für mehr Qualität auch gegen den Widerstand von Lobbyisten durchzusetzen. Dennoch seien in der letzten Legislaturperiode Erfolge gelungen: mit der grundlegenden Krankenhausreform, in der Digitalisierung mit Einführung der ePA und mit dem Medizinforschungsgesetz, das Lauterbach als „Moonshot-Gesetz“ bezeichnete, dessen erste Erfolge sichtbar seien. „Für mich war das Amt des Gesundheitsministers ein Traumjob“, sagte Lauterbach, der nie einen Hehl daraus gemacht hatte, dass er liebend gern das Amt behalten hätte. Seine Nachfolgerin sei allerdings prädestiniert für dieses Amt – und bringe vielleicht auch „einen neuen Blick“ für diese Aufgabe mit. 

Nina Warken bezeichnete das Gesundheitsressort als eines der anspruchsvollsten in der Bundesregierung. Sie werde an diese Aufgabe „mit Respekt“ herangehen. Bei ihrer bisherigen politischen Arbeit habe sie die Schwerpunkte in der Rechts- und Innenpolitik gehabt – allerdings auch mit Schnittstellen zum Gesundheitswesen im Zusammenhang mit der Corona-Pandemie, dem Infektionsschutz und der Einwanderungspolitik. Für sie werde es darauf ankommen, einen Blick für jene Vorgänge zu haben, die anzubrennen drohen. Überdies sei das Gesundheitsminsterium seit langem als „Gesetzgebungsmaschine“ anerkannt, was auch der Bundestag zu würdigen wisse. Aussagen über konkrete erste politische Maßnahmen und Entscheidungen vermied die neue Ministerin – sie muss sich schnellstmöglich mit Hilfe der Mitarbeiter in den Fachabteilungen und den zum BMG gehörenden Behörden in die Materie einarbeiten.

Für Karl Lauterbach ist der Abschied vom Ministeramt eine tiefe Zensur: Seit seinem Start als Parlamentarier vor knapp 23 war er in Sachen Gesundheitspolitik einer der führenden Köpfe und medial stets präsent. Es ist allerdings politischer Usus, dass ehemalige Minister nach ihrem Ausscheiden Abstinenz üben; so wird Lauterbach auch nicht dem Gesundheitsausschuss angehören. Es ist aber schwer vorstellbar, dass er sich nun ein Schweigegelübde auferlegt hat.

GKV mahnt: Vorschaltgesetz nötig

Angesichts des Zehn-Milliarden-Defizits im Jahr 2024 und weiter überproportional steigender Ausgaben fordert der GKV-Spitzenverband von der neuen Bundesgesundheitsministerin rasch eine Entscheidung für ein Vorschaltgesetz, mit dem die GKV-Finanzen stabilisiert werden. Trotz Rekordbeitragssätzen liege die Finanzreserve der Kassen im Schnitt nur noch bei sieben Prozent einer Monatsausgabe (das bedeutet, dass die vorhandene Liquidität gerade noch ausreicht, die Ausgaben der nächsten zweieinhalb Tage abzudecken). Angesichts dessen werde sich die Beitragsspirale ungebremst weiterdrehen. Es sei daher keine Option, die Ergebnisse einer laut Koalitionsvertrag einzusetzenden Kommission bis Anfang 2027 abzuwarten. Vielmehr müsse bis zur Sommerpause ein Gesetz mit einem verbindlichen Ausgabenmoratorium kommen. Das heißt: Keine Preis- oder Honorarerhöhungen, die über die laufenden Einnahmen hinausgehen. Das müsse gelten, bis geeignete Strukturreformen Einnahmen und Ausgaben wieder ins Gleichgewicht gebracht haben. Zu diesem Vorschaltgesetz müsse auch ein kostendeckender Bundeszuschuss für Bezieher von Bürgergeld zählen.

Pflege verdient inzwischen überdurchschnittlich

Die Gehälter der Pflegeberufe sind in den letzten zehn Jahren überproportional gestiegen und erreichten nach Angaben des Statistischen Bundesamtes im April 2024 durchschnittlich 4048 Euro für eine Vollzeitkraft ohne Zusatzvergütungen für Nacht- oder Wochenenddienste. Das ist ein Zuwachs von 1219 Euro oder 43 Prozent in den letzten zehn Jahren. Im Durchschnitt aller Berufsgruppen lag der Zuwachs bei 33 Prozent auf ein Durchschnittsgehalt von 3978 Euro.

Rekord bei Herz-Kreislauf-Arzneien

Nach Daten der Techniker Krankenkasse in Rheinland-Pfalz ist der Verbrauch der verschriebenen Medikamente gegen Herz-Kreislauf-Erkrankungen im Jahr 2024 auf 124 Tagesdosen je Versicherten gestiegen. Im Jahr 2000 waren es 51 Tagesdosen. Als eine der wesentlichen Ursachen nennt die Kasse den demografischen Wandel und die dadurch erhöhte krankheitsspezifische Morbidität. Deutlich stärker betroffen sind offenbar Männer (die aber auch intensiver medikamentös behandelt werden): Sie erhielten im Schnitt 161 Tagesdosen, bei Frauen waren es 82.

Versorgung mit Blutplasmaprodukten in Gefahr

Eine Allianz aus Verbänden der pharmazeutischen Industrie und Organisationen der Hersteller von Blutplasma warnen vor der Gefahr von Versorgungsengpässen mit lebenswichtigen Blutplasma-Produkten. Ursächlich sei, dass der Bedarf an diesen essenziellen Arzneimitteln stärker steigt als das aus Blutspenden gewonnene Plasma. Die Organisationen fordern deshalb in Deutschland und in der EU eine Intensivierung von Motivationskampagnen, um das Spendenaufkommen zu erhöhen, sowie eine Verbesserung des Meldesystems zur früheren Erkennung von Versorgungsengpässen. Grundlage der Forderung ist der jüngst veröffentlichte Jahresbericht des Paul-Ehrlich-Instituts für 2024. Danach ist der Verbrauch von Immunglobulinen zwischen 2014 und 2023 um 120 Prozent gestiegen, während die gespendete Plasmamenge nur um vier Prozent zunahm. In Europa sind viele Länder auf Plasma-Importe auch aus nichteuropäischen Ländern wie die USA angewiesen. Dabei entstehe durch die geopolitische Entwicklung ein Risiko für die Sicherheit der Lieferketten. 

Deutschland: Arzneiversorgung weniger innovativ als in den USA

Gemessen an den USA stehen in Deutschland und in Europa weniger innovative Arzneimittel zur Verfügung. So sind nach Angaben des Verbandes der forschenden Pharma-Unternehmen seit 2015 19 Arzneimittel, die in den USA den Status „Breakthrough Therapy“ erhalten haben, in der EU weder zugelassen noch befinden sie sich in einem Zulassungsverfahren. Dazu zählt das erste Medikament seiner Klasse, dass zur Behandlung der akuten Leukämie indiziert ist, die erste zielgerichtete Therapie gegen eine seltene und aggressive Form der Leukämie. Insgesamt fehlen im deutschen Markt seit 2015 mindestens 101 neuartige Arzneimittel, die in den USA bereits zugelassen sind. Innerhalb von Europa und gemessen an den von der europäischen EMA zugelassenen neuen Arzneimitteln erreicht Deutschland hinsichtlich der Verfügbarkeit einen Spitzenplatz, nicht jedoch im Vergleich zum US-Markt, dem Leitmarkt für Innovationen. Im US-Markt sind jedoch – anders als in Deutschland – bei weitem nicht alle Medikamente für alle Bürger zugänglich und insbesondere Innovationen erheblich teurer.