Wochenrückblick: Millionen für Notfallmedizin: Budget statt echter Lösungen?

Notfallreform mit Millionen-Finanzspritze, Verfassungsrichter kippen Triage-Regelung, neue Pflegekompetenzen und eine bedrohliche China-Abhängigkeit bei Arzneimitteln: Das deutsche Gesundheitswesen erlebt entscheidende Wendepunkte.

BMG legt Referentenentwurf für Notfallversorgung vor

Das Bundesgesundheitsministerium hat am Donnerstag den Referentenentwurf für die grundlegende Reform der Notfallversorgung und des Rettungsdienstes vorgelegt. Im Vergleich zu dem vor einem Jahr entstandenen Entwurf von Karl Lauterbach gibt es einige entscheidende Veränderungen und eine wichtige Finanzierungsentscheidung:

Ziel der Notfallreform ist es, unnötige stationäre Aufnahmen über die Notfallambulanzen der Kliniken, wie es sie bislang in erheblichem Umfang gab, zu vermeiden und damit die Krankenhäuser zu entlasten. Das BMG rechnet mit einem Sparpotential von 2,3 Milliarden Euro jährlich. 

Das Grundkonzept ist bereits sieben Jahre alt

Die Reform ist längst überfällig und hätte schon so oder in ähnlicher Form vor Jahren umgesetzt werden können. Die erste umfassende Blaupause hatte der Gesundheits-Sachverständigenrat im September 2018 zu Beginn der Amtsperiode von Jens Spahn als Gesundheitsminister vorgelegt. Die COVID-Pandemie seit Januar 2020 bot den Vorwand, nicht an der Reform zu arbeiten. Spahns Nachfolger Karl Lauterbach griff das Reformprojekt wieder auf, verspielte aber durch Einsetzung von Expertenkommissionen weitere Zeit. Schließlich wurde die Reform nach dem Scheitern der Ampel und die damit ausgelöste Diskontinuität für alle begonnenen Gesetzgebungsvorhaben erneut verzögert. 

Während von den Kassen Zustimmung zu den jetzt von Bundesgesundheitsministerin Warken vorgelegten Plänen kommt, kritisiert die KBV den geplanten zusätzlichen 24/7-Fahrdienst für Hausbesuche, der zu viel Arzt-Ressourcen verbrauche. Unklar blieben auf Struktur und Aufgabe der INZ während der Praxisöffnungszeiten. Notwendig sei der Aufbau einer 116 117-Struktur zur stringenten Patientensteuerung, die als gesamtgesellschaftliche Aufgabe finanziert werden müsse und nicht wie jetzt vorgesehen, gemeinsam von Kassen und KVen. Insgesamt sei das Konzept noch nicht ausgegoren, um die gegenwärtige Fehlallokation zu vermeiden. 

Bundesverfassungsgericht kippt Triage-Regelung

Mit Beschluss vom 25. September hat das Bundesverfassungsgericht die 2022 beschlossene Triage-Regelung des Paragrafen 5c des Infektionsschutzgesetzes in zweierlei Hinsicht als grundgesetzwidrig eingestuft und damit der Beschwerde von Notfall- und Intensivmedizinern, unterstützt vom Marburger Bund, stattgegeben. Zum einen verstößt die Regelung, wonach eine einmal bei einem Patienten begonnene Behandlung in einer Triage-Situation auch dann fortgesetzt werden muss, wenn bei einem anderen Patienten eine größere Chance auf eine Heilung besteht, gegen die in Artikel 12 des Grundgesetzes garantierte Freiheit der Berufsausübung, die sowohl das Ob als auch das Wie einer Heilbehandlung umfasse. Zum zweiten bestehe für den Bund keine Gesetzgebungskompetenz. Der maßgebliche Artikel 74 ermächtige den Bund nur zu Maßnahmen zum Schutz vor übertragbaren Krankheiten, also primär zu Prävention, sei aber keine Grundlage für ein reines Pandemiefolgenrecht wie im Falle einer Triage-Regelung. Dies sei vielmehr Aufgabe der Länder.

Bundesärztekammer und Marburger Bund begrüßten die am Dienstag veröffentlichte Entscheidung. Bundesgesundheitsministerin Nina Warken will sich nun dafür einsetzen, dass die Länder eine bundeseinheitlich koordinierte Regelung schaffen. 

Bundestag verabschiedet Pflegegesetz und „kleine“ Kostendämpfung 

Der Bundestag hat am Donnerstag das Gesetz zur Befugniserweiterung und Entbürokratisierung der Pflege in zweiter und dritter Lesung verabschiedet. Danach werden Pflegefachkräfte zur eigenverantwortlichen Heilkundeausübung befugt und dürfen im Rahmen ihrer Kompetenzen nach einer ärztlichen Erstdiagnose Leistungen erbringen, die bislang Ärzten vorbehalten waren. Ohne ärztliche Diagnose können Pflegefachkräfte nun auch pflegerischen Bedarf eigenverantwortlich feststellen. Welche Leistungen das betrifft, muss die Selbstverwaltung konkretisieren. Ferner sollen bestimmte Verfahren deutlich beschleunigt werden.

Angehängt an dieses Gesetz wurde ein kurzfristig wirkendes Kostendämpfungspaket in einem Volumen von zwei Milliarden Euro, mit dem der Anstieg der Zusatzbeiträge zum Jahreswechsel begrenzt werden soll. Im Wesentlichen soll dazu der Vergütungsanstieg der Krankenhäuser auf die tatsächliche Kostenentwicklung begrenzt werden. Die Mittel des Innovationsausschusses beim GBA werden einmalig um 100 Millionen Euro gesenkt, die Kassen müssen in der Verwaltung sparen. Aus Sicht der Krankenkassen ist das Paket nicht ausreichend; es berücksichtige nicht, dass eine Verpflichtung bestehe, die Mindestreserven für Liquidität wieder aufzufüllen. 

Hohes Sparpotential durch Innovationen

Mit dem konsequenten Einsatz von Innovationen – Digitalisierung, Künstliche Intelligenz, Telemedizin und neuer Medizintechnik – könnte bis zum Jahr 2045 im Gesundheitswesen ein hoher zweistelliger Milliardenbetrag jährlich gespart werden. Das haben Modellrechnungen des Prognos-Instituts im Auftrag des Bundesverbandes der Deutschen Industrie ergeben. In einem Basis-Szenario gehen die Ökonomen davon aus, dass die Ausgaben der gesetzlichen Krankenkassen unter Status-quo-Bedingungen bis 2045 auf 663 Milliarden Euro steigen würden. Bei konsequentem Einsatz von Innovationen digitaler und technischer Natur, die volle Wirksamkeit ab 2031 erreichen könnten, würde nach der Simulation der Ausgabenanstieg auf 616 Milliarden Euro begrenzt werden können. Das Delta belief sich damit auf 43 Milliarden Euro und würde den Beitragssatz um 1,4 Prozentpunkte entlasten. Am größten fallen dabei die Einsparungen durch moderne Medizintechnik (fast neun Milliarden Euro) und durch Digitalisierung (7,21 Milliarden Euro) aus.

Grundversorgung mit Arzneimitteln: Europa schafft den Stress-Test nicht

Bei der Grundversorgung mit generischen Arzneimitteln ist Europa in ähnlicher Weise von China abhängig wie bei Seltenen Erden. „Unsere Abhängigkeit kann im Krisenfall die medizinische Grundversorgung gefährden“, warnen die Experten David Francas, Jasmina Kirchhoff, Tim Rühlig und Martin Catarata in einem Beitrag für das „Handelsblatt“. Grundlage der Warnung ist ein Stresstest für 56 versorgungsrelevante Wirkstoffe. Bei 30 Substanzen bestehe eine mittlere bis hohe Abhängigkeit von chinesischen Herstellern. Darunter sind Standardmedikamente wie Paracetamol, Metamizol und Metformin. Diese Abhängigkeit existiert nicht nur bei Wirkstoffen, sondern auch bei den benötigten Vorprodukten. Beispielhaft wird Metformin genannt: 13 Prozent des Wirkstoffs stammen aus China, jedoch 80 Prozent des Vorproduktes Dicyandiamid werden in der Volksrepublik produziert.

Ursächlich dafür sei eine konsequente Forschungs- und Industriepolitik Chinas, die sich seit einigen Jahren nicht mehr nur auf Nachahmungen/Generika erstreckt, sondern auf innovative Biopharmazeutika. Die Zahl klinischer Studien, die in China durchgeführt werden, ist geradezu explodiert und erreicht nahezu den Weltmarktführer USA.