Wochenrückblick: Reformen der Primärversorgung und Krebsdiagnose

Große Neuerungen im Gesundheitswesen! Die AOK reformiert die Primärversorgung, der GBA modernisiert Krebsfrüherkennung und erweitert Behandlungszugänge.

AOK sieht Primärversorgung als Teamaufgabe

Für die Reform der primärärztlichen Versorgung und damit für den Zugang zu Gesundheitsleistungen schlägt der AOK-Bundesverband ein teambasiertes Modell für Hausarztpraxen vor, das mit einer systematischen Ersteinschätzung kombiniert wird. Die Praxisteams sollen aus Ärzten, Pflegefachpersonen, Physician Assistants und weiteren Gesundheitsfachberufen bestehen, die auch Case-Management-Funktionen übernehmen. Dazu notwendig sei auch eine Reform des Vergütungssystems, mit dem Teamleistungen honoriert werden sollen. Grundsätzlich soll es in diesem System für die Versicherten bei der freien Wahl sowohl des Haus- als auch des Facharztes bleiben, der Zugang zu einem Facharzt soll aber nur nach einer Ersteinschätzung durch den möglich sein. Ausnahmen davon soll es bei der Inanspruchnahme von Kinderärzten, Gynäkologen sowie für chronisch Kranke und Krebsfrüherkennungsuntersuchungen geben. Für privat Versicherte sollen gesonderte Sprechstundenzeiten ausgewiesen werden.  Mindeststandards für den Versorgungsauftrag, die Bedarfsplanung und die Ausstattung der Praxen soll der Gemeinsame Bundesausschuss beschließen. Die Regeln dafür sollen so flexibel sein, dass regionalen Besonderheiten Rechnung getragen wird. 

Bundesausschuss will Früherkennung von Prostatakrebs modernisieren

Auf Antrag der Patientenvertretung und des unparteiischen Vorsitzenden Josef Hecken soll der Gemeinsame Bundesausschuss in Kürze ein Beratungsverfahren zur Bewertung eines risikoadaptierten PSA- und MRT-Screenings zur Früherkennung eines Prostatakarzinoms einleiten. Das Verfahren soll dann vom Unterausschuss Methodenbewertung durchgeführt werden mit dem Ziel, die bislang einzige in der GKV-Medizin mögliche Methode, die Tastuntersuchung, entsprechend dem wissenschaftlichen Erkenntnisstand zu ersetzen. Man könne die Erkenntnisse der Fachwelt nicht ignorieren, und der Bundesausschuss dürfe dabei „nicht auf dem Sofa liegen“, argumentierte GBA-Chef Hecken. Auch wenn es derzeit noch keine europäische Leitlinie zur Früherkennung von Prostatakrebs gebe, müsse der GBA proaktiv systematisch die vorhandene Evidenz klären. In frühen Stadien ist Prostatakrebs heilbar, viele Männer scheuen allerdings die von ihnen als unangenehm empfundene Tastuntersuchung, die überdies auch nicht hinreichend sensitiv ist. Die Alternative, eine PSA-Untersuchung, wird von Kassen nicht bezahlt, da sie relativ viele falsch-positive Befunde produziert.

Anspruch auf Liposuktion wird erweitert

Kassenpatienten, die an einem Lipödem leiden, sollen künftig unabhängig vom Stadium der chronischen Krankheit mit einer Liposuktion sowohl ambulant als auch im Krankenhaus behandelt werden können. Bislang war diese Leistung nur im Stadium III des Lipödems als befristete Ausnahmeregelung eine Kassenleistung. Am vergangenen Donnerstag beschloss der Gemeinsame Bundesausschuss die Erweiterung des Leistungsanspruchs. Grundlage dafür ist eine vom GBA veranlasste Studie, die belegt, dass die operative Fettgewebereduzierung deutliche Vorteile gegenüber alleinigen nichtoperativen Verfahren hat. Weitere Erkenntnisse, beispielsweise zur Notwendigkeit einer wiederholten Intervention, werden noch erwartet. Die entsprechende Richtlinie soll dann angepasst werden. Die Richtlinie muss noch vom Bundesgesundheitsministerium formal genehmigt werden. Ferner muss der Bewertungsausschuss eine Leistungsziffer im EBM beschließen. Dies soll nach Einschätzung des Bundesausschusses bis zum 1. Januar 2026 geschehen. 

Einsatz von Biomarkern bei Brustkrebs erweitert  

Der Gemeinsame Bundesausschuss hat den Einsatz von Biomarker-Tests vor einer Therapieentscheidung bei nicht metastasiertem Brustkrebs ausgeweitet und präzisiert, nachdem entsprechende Evaluationen durchgeführt worden sind. Danach sind diese Tests nun auch eine Kassenleistung bei einem Befall von ein bis drei Lymphknoten. Bislang war dies nur für primären ohne Lymphknotenbefall vorgesehen.

Seit 2019 sind Biomarker-Tests eine ambulante Leistung bei Patientinnen mit einem primären Hormonrezeptor-positiven, HER2/neu-negativen, nodalnegativen und nicht metastasierten Mammakarzinom, um eine Entscheidung für oder gegen eine adjuvante systemische Chemotherapie zu finden.   

Jetzt wurden aber auch die für solche Tests geeigneten Patientinnengruppen auf Basis neuer Erkenntnisse präzisiert: Bei den betroffenen Frauen muss entweder die Menopause eingetreten sein oder bei Frauen vor Eintritt der Menopause mit einer Begleittherapie die Produktion von weiblichen Geschlechtshormonen in den Eierstöcken supprimiert werden. Ferner kam der Bundesausschuss zu dem Ergebnis, dass als einer der zugelassenen Tests nur der Test Oncotype DX Breast Recurrence Score eingesetzt werden darf, dessen Analyseverfahren auf der Genexpressionsanalyse beruht. Für andere Vorgehensweisen, die bei Brustkrebs ohne Lymphknoten zugelassen sind, habe bislang eine ausreichende Aussagesicherheit nicht belegt werden können. GBA-Vorsitzender Josef Hecken räumte unter Hinweis auf Lobbyisten-Aktivitäten ein, dass dies die Wahlmöglichkeiten unter den vorhandenen Tests einschränke.

Enorme Fortschritte für krebskranke Kinder

Laut dem neuesten Jahresbericht des Deutschen Kinderkrebsregisters (2022) haben 84 Prozent der krebskranken Kinder ihre Diagnose um mindestens 15 Jahre überlebt. Noch in den 1950er und 1960er Jahren konnten nur 10 bis 20 Prozent der Kinder und Jugendlichen geheilt werden. Auch in jüngster Zeit wurden noch weitere Fortschritte erzielt: So stieg die 15-Jahres-Überlebensrate binnen vier Jahren seit 2018 nochmals um zwei Prozentpunkte. Außerdem sind neue Behandlungsverfahren wesentlich schonender. Jährlich sind etwa 2300 Kinder von der Diagnose betroffen. Inzwischen ist die Zahl der Survivor auf rund 50.000 gestiegen, so die Kinderkrebs-Stiftung. Hauptgrund für den Erfolg sei die Forschung, die die Stiftung seit ihrer Gründung 1995 mit 120 Millionen Euro unterstützt habe.

GKV-FinG: Pharmafirmen scheitern mit Verfassungsbeschwerde

Die Verfassungsbeschwerde von zwei Arzneimittelherstellern gegen Regelungen des GKV-Finanzstabilisierungsgesetzes war in Teilen unzulässig und hinsichtlich der behaupteten Grundrechtseingriffe nicht begründet. Dies geht aus einem jetzt veröffentlichten Beschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 7. Mai hervor. Die Beschwerde richtete sich gegen die zeitweilige Erhöhung des Herstellerrabatts auf die Preise patentgeschützter Arzneimittel sowie „Leitplanken“ für die Ermittlung von Erstattungsbeträgen und Sonderregelungen für die Erstattung von Arzneimitteln, die als Kombinationen eingesetzt werden. Ferner wurde die Verlängerung des Preismoratoriums bis 2026 beklagt. Das Gericht entschied, dass in den Beschwerden keine ausreichend substanziierte Grundrechtsverletzung aufgezeigt worden sei. Die bewirkten Grundrechtseingriffe seien gerechtfertigt, insbesondere auch angemessen, da das gesetzgeberisch angestrebte Gemeinwohlziel – die Sicherung der Finanzstabilität der GKV – bei der Interessensabwägung überwiege. Das Gericht folgt damit der jahrzehntelangen Praxis, die dem Gesetzgeber einen weiten Ermessensspielraum bei Maßnahmen zur Sicherung der Solidarsysteme zubilligt.