Wochenrückblick: Weichenstellung im Gesundheitswesen: Kredite, Reformen und neue Modelle

Angesichts finanzieller Engpässe erhalten Krankenkassen Kredite aus dem Bundeshaushalt, während neue Initiativen zur Reform der Gesundheitslandschaft starten.

Kranken- und Pflegekassen erhalten Kredit aus dem Bundeshaushalt

Zur Milderung der prekären Finanzlage erhält die gesetzliche Kranken- und Pflegeversicherung zinslose Darlehen aus dem Bundeshaushalt. Das hat das Bundeskabinett am Mittwoch beschlossen. Zur teilweisen Deckung der wird der GKV in 2026 ein Kredit von 5,6 Milliarden Euro zur Verfügung gestellt; es verbleibt noch eine wahrscheinlich durch Beitragserhöhungen zu schließende Lücke von vier Milliarden Euro. Die Rückzahlung an den Bund soll 2029 beginnen. Zudem hat das Kabinett den Start des Krankenhaustransformationsfonds beschlossen, dem jährlich aus dem Sondervermögen Infrastruktur 2,5 Milliarden Euro überwiesen werden sollen. Zudem erhalten Krankenhäuser ebenfalls aus dem Sondervermögen Rechnungszuschläge zur Finanzierung der Sofort-Transformationskosten für die Jahre 2022 und 2023. Die Pflegeversicherung erhält für 2024 und 2025 zwei Kredite mit einem Volumen von insgesamt zwei Milliarden Euro, die ab 2029 zurückgezahlt werden müssen. 

Bundesgesundheitsministerin Nina Warken gesteht zu, dass mit den Krediten die Probleme der beiden Sozialversicherungszweige nicht gelöst, sondern nur aufgeschoben werden. Zwei Kommissionen sollen daher „schnell“ Maßnahmen für Strukturreformen erarbeiten.

GKV positioniert sich zur Koordination in der Primärversorgung

Der Verwaltungsrat des GKV-Spitzenverbandes hat in Positionspapier zur patientenorientierten Koordination in der ambulanten Versorgung beschlossen. Danach sollen Versicherte Zugang zu einem standardisierten digitalen Ersteinschätzungsinstrument erhalten, das es erlaubt, ärztliche Ressourcen zu entlasten und eine zielgerichtete Steuerung der Patienten zu ermöglichen. Versicherten mit mangelnder Digitalkompetenz soll das Instrument auch telefonisch angeboten werden. Rahmenbedingungen müsse der Gesetzgeber festlegen. Zur besseren Akzeptanz müsse das digitale Werkzeug gemeinsam mit den Ärzten zur Anwendung kommen. Größere primärversorgende Praxisstrukturen sollen gestärkt werden. Durch Delegation und Substitution soll die Bedeutung von qualifiziertem Praxispersonal und weiteren Gesundheitsberufen ausgebaut werden. Um die koordinierende Rolle des Hausarztes effektiv wahrzunehmen, ist ein zeitnaher Zugriff auf alle relevanten Befunde, Diagnosen und Therapieempfehlungen erforderlich. Eine effiziente digitale Kommunikation zwischen Ärzten ist hierfür unverzichtbar. Die bietet hierfür eine geeignete Lösung. Ergänzend dazu sollte eine einheitliche, vollständig digitale Terminvergabe implementiert werden. Versichertenbezogene vertragsärztliche Abrechnungsdaten sollen taggleich an die Krankenkassen übermittelt werden, damit diese eine aktivere Rolle bei der Unterstützung und Koordination der medizinischen Versorgung etwa in Form von Reminder-Systemen übernehmen können. Um das Potential der Primärversorgung auszuschöpfen, müsse die vertragsärztliche Vergütungssystematik überprüft und angepasst werden.     

Der Spitzenverband der Fachärzte lehnt diese Position der GKV kategorisch ab. Durch die Einführung eines zentralen Algorithmus zur Ersteinschätzung fühlen sich die Ärzte entmachtet. Darüber hinaus enthalte das Papier die Forderung, wonach Ärzte täglich Diagnosen und erbrachte Leistungen an Krankenkassen melden sollen – das leiste einer „Staatsmedizin“ Vorschub und entmündige die Fachärzte.

HÄPPI für Hausärzte in Baden-Württemberg

Die Partner der HZV und der besonderen Facharztverträge – der Hausärzteverband, der Medi-Verbund und die AOK in Baden-Württemberg – haben ihr Vertragskonzept maßgeblich weiterentwickelt zu einem Konzept für das „Hausärztliche Primärversorgungszentrum – Patientenversorgung interprofessionell (HÄPPI)“, mit dem die Hausarztpraxen zukunftsfähig aufgestellt werden sollen. Dazu wurden auch spezielle Vergütungsvereinbarungen getroffen.

Vereinbart wurde ein ganzheitlicher Transformationsansatz: multiprofessionelle Teams mit qualifizierter Delegation, konsequenter Einsatz digitaler Anwendungen, Ausrichtung auf die Bedürfnisse von Patienten und enge Kooperation mit anderen Gesundheitsakteuren. Kernpunkt ist die Koordination durch die Hausarztpraxis. Das Modell wurde in zehn Pilotpraxen im vergangenen Jahr getestet. 

Besonderheiten in der Vergütung: Für eingeschriebene HZV-Versicherte erhalten Ärzte einen Zuschlag von 20 Euro sowie einen HÄPPI-Transformationszuschlag von 10 Euro zur Unterstützung des Aufbaus der notwendigen Infrastruktur. Weitere Zuschläge gibt es für die Beschäftigung nichtärztlicher Gesundheitsberufe (15 Euro pro Versichertem und Jahr). Die Ärzte verpflichten sich zur Online-Terminbuchung, Videosprechstunde, Messenger-Diensten. Spezielle Software zur Medikamentensicherheit und ein Erinnerungsservice für Impfungen und Vorsorgeuntersuchungen.

Zur Umsetzung des Konzepts hat der Hausärzteverband ein Workbook erarbeitet und bietet Schulungen und Beratung an. Die Praxen sind verpflichtet, regelmäßig an Evaluationen teilzunehmen, um den Erfolg des Modells zu überprüfen und zu verbessern.      

Krankenhaus Rating Report 2025: Immer tiefer in die Verlustzone

Trotz Subventionen in Höhe von mehreren zehn Milliarden Euro seit 2020 geraten immer mehr Krankenhäuser in die Verlustzone. Der aktuelle Krankenhaus Rating Report, der am Donnerstag vorgestellt wurde, zeigt, dass der Anteil der Kliniken mit Verlusten voraussichtlich von 43 Prozent im Jahr 2023 auf 56 Prozent gestiegen ist. Die Analyse beruht auf über 500 Jahresabschlüssen für 2023, erste Daten liegen auch für das vergangene Jahr vor. „Die wirtschaftliche Lage der Krankenhäuser war noch nie so angespannt“, resümiert der Autor, Professor Boris Augurzky vom Leibniz-Institut für Wirtschaftsforschung in Essen.

16 Prozent der Krankenhäuser befinden sich in einem kritischen Bereich mit erhöhter Insolvenzgefahr. Viele Kliniken verfügen nur noch über einen schmalen Puffer, der die erwarteten Kosten für die kommenden zwei Wochen zu decken imstande ist. Nach einem erstmaligen Anstieg der stationären Fallzahl seit Beginn der Pandemie von 2,4 Prozent in 2023 ist diese im darauffolgenden Jahr nur noch um 0,8 Prozent gestiegen. Ursächlich sind vermehrte Leistungen, die nach Hybrid-DRGs abgerechnet werden, sowie ambulante Interventionen.  

Kliniken in privater und freigemeinnütziger Trägerschaft schneiden im Rating deutlich besser ab als öffentlich-rechtliche Häuser. Am günstigsten ist die Lage der mittelgroßen Kliniken mit Kapazitäten zwischen 300 und 500 Betten, ebenso solche Kliniken mit einem hohen Spezialisierungsgrad. Bei einer Zunahme der Vollzeitkräfte um 2,25 Prozent hat sich die Produktivität abermals verschlechtert. Gegenüber 2019 hat sich der Beschäftigtenstand um 6,3 Prozent erhöht, obwohl die Fallzahl gesunken ist. Im Jahr 2023 wurden in Bezug auf die Fallzahl 16 Prozent mehr Vollzeitkräfte eingesetzt. Dies hat einen rasanten Schub bei den Personalkosten ausgelöst. Allein durch die Einführung des Pflegebudgets, über das alle Pflegepersonalkosten vollständig von den Krankenkassen finanziert werden, kam es zu einem Kostenanstieg von über 50 Prozent binnen vier Jahren. 

Die im Koalitionsvertrag beschriebenen Reformpläne werten die Experten als im Prinzip richtig, aber als nicht ausreichend. Notwendig seien Bürokratieabbau, mehr Spielraum für Innovationen, Beschleunigung von Baugenehmigungen, die Reform der Notfallversorgung und eine sozial abgefederte Selbstbeteiligung. 

Personalie

Dr. Oliver Blatt tritt am 1. Juli das Amt des Vorstandsvorsitzenden des Spitzenverbandes der gesetzlichen Krankenversicherung an. Er folgt auf Dr. Doris Pfeiffer, die aus Altersgründen aus der Position ausgeschieden ist. Pfeiffer war 18 Jahre Vorstandsvorsitzende und hatte den Spitzenverband nach einer grundlegenden Organisationsreform der GKV-Spitze durch das Wettbewerbsstärkungsgesetz von 2007 aufgebaut. Die bis dahin auf verschiedene Spitzenverbände der Kassen verteilten Aufgaben wurden damit in einem Verband als Körperschaft des Öffentlichen Rechts zusammengefasst.