KI in der Diagnostik: Microsofts System schlägt Ärzte

Microsoft präsentiert ein neues KI-System, das bei der Diagnose komplexer Krankheitsfälle viermal zuverlässiger sein soll als erfahrene Mediziner. Brauchen wir bald keine Ärzte mehr?

Microsoft stellt neues Diagnose-System vor

Der US-amerikanische Technologiekonzern Microsoft hat ein KI-System namens "Microsoft AI Diagnostic Orchestrator" (MAI-DxO) vorgestellt, das bei der komplexer Krankheitsbilder menschlichen Ärzten deutlich überlegen sein soll. In Tests mit über 300 anspruchsvollen Fallstudien aus dem renommierten New England Journal of Medicine erreichte das System eine Diagnosegenauigkeit von bis zu 85%, während erfahrene Ärzte im Durchschnitt nur etwa 20% der Fälle korrekt diagnostizierten.

Das System arbeitet nach einem sequentiellen Diagnoseansatz: Es stellt Fragen zur Krankengeschichte, fordert bei Bedarf Untersuchungen an und wertet die Ergebnisse aus - ähnlich wie ein menschlicher Arzt in der klinischen Praxis. Bemerkenswert ist, dass die KI dabei nicht nur präziser, sondern auch kostengünstiger arbeitet, indem sie unnötige Tests vermeidet.

Wie funktioniert die "medizinische Superintelligenz"?

MAI-DxO kombiniert mehrere führende KI-Sprachmodelle, darunter OpenAI's GPT, Google's Gemini und Anthropic's Claude. Diese Modelle arbeiten wie ein virtuelles Ärzteteam zusammen, das unterschiedliche diagnostische Ansätze verfolgt. Microsoft beschreibt das System als "Orchestrator", der verschiedene koordiniert und deren Stärken kombiniert.

Der technologische Fortschritt im Vergleich zu früheren medizinischen KI-Systemen ist beachtlich: Während ChatGPT noch vor einem Jahr in einer kanadischen Studie etwa die Hälfte aller Testdiagnosen falsch stellte, zeigt MAI-DxO nun eine deutlich höhere Präzision.

Dr. Dominic King, ein Vizepräsident bei Microsoft, betont: "Unser Modell arbeitet unglaublich gut, sowohl bei der Diagnosestellung als auch bei der kosteneffizienten Erreichung dieser Diagnose."

Kritische Stimmen zur Methodik

Trotz der beeindruckenden Ergebnisse gibt es Kritik an der Methodik der Studie. Die menschlichen Ärzte in der Vergleichsgruppe durften keine Hilfsmittel wie Fachbücher oder das Internet nutzen und arbeiteten ohne kollegialen Austausch - was nicht der realen klinischen Praxis entspricht.

Der Radiologe Dr. Daniel Truhn von der Uniklinik Aachen zeigt sich dennoch beeindruckt von der Microsoft-Entwicklung. Nach seiner Überzeugung weist diese genau in die Richtung, die die Medizin in naher bis mittlerer Zukunft entscheidend prägen wird. Gleichzeitig weist er auf praktische Hindernisse hin. Truhn betont, dass Krankenhäuser aktuell ihre Daten in zahlreichen, voneinander unabhängigen Systemen speichern, die meist noch nicht darauf ausgelegt sind, unmittelbar mit KI-Systemen zu interagieren.

Stefan Herzog vom Max-Planck-Institut für sforschung und anerkannter Experte auf dem Gebiet der KI-gestützten medizinischen Diagnostik bleibt "eher skeptisch" und warnt vor übertriebenen Erwartungen. Er hält KI-Systeme, die Ärzte unterstützen statt zu ersetzen, für vielversprechender, da solche digitalen Helfer sowohl beim medizinischen Personal als auch bei Patienten auf größeres Vertrauen stoßen würden. Zudem verweist er auf die rechtliche Realität, dass in den meisten medizinischen Entscheidungsprozessen ohnehin ein Mensch die letzte oder wichtigste Entscheidung treffen muss.

Potenziale und Grenzen

Für niedergelassene Ärzte und Kliniker könnte diese Technologie mittelfristig bedeutsame Veränderungen mit sich bringen. Die Kosteneffizienz bei gleichzeitig höherer diagnostischer Genauigkeit wäre im deutschen Gesundheitssystem mit seinem zunehmenden Kostendruck besonders relevant.

Das Problem der "KI-Halluzinationen" - Fälle, in denen KI-Systeme sich Antworten ausdenken, anstatt Wissenslücken einzugestehen - bleibt jedoch bestehen. Dies stellt im medizinischen Kontext ein erhebliches dar und erfordert weiterhin die kritische Überwachung durch Fachpersonal.

Microsofts KI-Chef Mustafa Suleyman kündigt an: "In den nächsten Jahren werden wir diese Systeme in der realen Welt weiter erproben." Experten schätzen, dass ähnliche Systeme bereits in zwei bis drei Jahren routinemäßig im klinischen Alltag eingesetzt werden könnten.

Fazit: Evolution statt Revolution

Die Entwicklung von MAI-DxO markiert einen bedeutenden Fortschritt im Bereich der medizinischen KI. Statt einer vollständigen Ablösung ärztlicher Expertise deutet sich jedoch eher eine Symbiose an: KI-Systeme als leistungsfähige Assistenten, die komplexe Diagnosen unterstützen und Ärzten ermöglichen, ihre Zeit effizienter zu nutzen.

Für praktizierende Mediziner wird es zunehmend wichtiger, sich mit den Möglichkeiten und Grenzen dieser vertraut zu machen - nicht um ersetzt zu werden, sondern um die Potenziale für eine verbesserte Patientenversorgung optimal nutzen zu können.

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