"Schlankmacher-Pille" scheint Krebsrisiko zu erhöhen

Ein als Wundermittel gegen Übergewicht beworbener Appetitzügler wird vom Markt genommen, nachdem eine neuere Studie einen Zusammenhang zu erhöhten Krebsprävalenzen aufdeckte.

Ein als Wundermittel gegen Übergewicht beworbener Appetitzügler wird vom Markt genommen, nachdem eine neuere Studie einen Zusammenhang zu erhöhten Krebsprävalenzen aufdeckte.1

Der Serotonin-Agonist Lorcaserin (Belviq®) stimuliert im Hypothalamus 5-HT2C-Rezeptoren und verstärkt das Völlegefühl. Bereits seine Zulassung war umstritten: ein erster Antrag wurde 2010 von der FDA abgelehnt, nachdem in Tierexperimenten ein Signal für Brustkrebs aufgetreten war. 2012 wurde Lorcaserin in den USA mit weiteren Dokumenten dann doch zur ergänzenden Behandlung der Adipositas zugelassen. Einen Antrag bei der Europäischen Arzneimittelagentur EMA zog der Hersteller (Arena Pharmaceuticals) 2013 zurück, nachdem der europäische Ausschuss für Humanarzneimittel (CHMP) Beanstandungen an den Unterlagen vorgebracht hatte. Es erfolgten keine weiteren Versuche. In Europa wurde das Medikament nicht zugelassen.2

Eine Serie von Artikeln im BMJ Evidence-Based Medicine gab zu bedenken, dass das Medikament nur eine minimale Gewichtsreduktion bewirke und seine Risiken nicht gut untersucht seien.3 Kritisiert wurde auch der hohe Preis von umgerechnet 2.218–3.220 € pro Patient und Jahr.4 Ein erhoffte Reduktion von Herz-Kreislauf-Erkrankungen konnte nie bestätigt werden, wie im New England Journal of Medicine und auf dem Kongress der ESC (European Society of Cardiology) 2018 vorgestellte Daten unterstrichen.5

Mit der Wurst nach dem Schinken geworfen?

Die 2012 erteilte Zulassung geschah u. a. mit der Auflage, eine Endpunkt-Studie durchzuführen. Die 'CAMELLIA‑TIMI 61'-Studie sollte primär die Bedenken der FDA hinsichtlich der kardiovaskulären Sicherheit überprüfen, denn andere Appetitzügler (Fenfluramin und Dexfenfluramin) mussten vor Jahren wegen deutlich erhöhter Raten neu aufgetretener Herzklappenfehler vom Markt genommen werden.6 Bis auf eine Zunahme von Hypoglykämien bei Diabetikern ergab sich für Lorcaserin bis dato kein Anhalt für kardiovaskuläre Risiken.7

Doch die randomisierte, doppelblinde, placebokontrollierte Studie an 12 Tsd. Patienten über 5 Jahre ergab bei insgesamt 7,7 % der mit Lorcaserin behandelten Patienten neu diagnostizierte Malignome (versus 7,1 % in der Placebogruppe). Eine Reihe von Tumorentitäten wurden berichtet und Pankreas-, Kolorektal- und Lungenkrebs traten in der Lorcaserin-Kohorte häufiger auf.1,8 In dem FDA-Bericht hieß es: „In den ersten Behandlungsmonaten bestand kein großer Unterschied hinsichtlich der Krebsinzidenz, aber das Ungleichgewicht nahm mit längerer Zeitspanne unter Lorcaserin zu.“

Die FDA hatte 2011 bereits 2-Jahres-Karzinogenitätstests mit Ratten resümiert. In Tierexperimenten waren Astrozytome, hepatozelluläre Adenome, Mamma-Adenokarzinome, Fibroadenome, Plattenepithelkarzinome, Schwannome und Schilddrüsenfollikelzell-Adenome beschrieben.2

Kein alleiniges Problem von Lorcaserin

Der Ansatz erscheint ohnehin fragwürdig. Unbenommen ist es so: manche Patienten mit Übergewicht bekämen lieber ein Medikament verschrieben als etwas an ihrer Lebensweise, der Ernährung, der körperlichen Aktivität etc. zu verändern. Doch die Gefahr, dass eine solche Diätpille von dieser Gruppe nicht als Ergänzung zur ursächlich nötigen Therapie, sondern als Ersatz aufgefasst wird, erscheint groß.

Aufgreifen wollte ich dieses Thema auch deshalb, weil es allgemein beunruhigend ist. Die Anzahl der Fälle, in denen die FDA Zulassungsanträge großer Pharmaunternehmen ablehnt, kann man an einer Hand abzählen. Ein Kardiologe von der Eastern Virginia Medical School meint in einem, übrigens sehr lesenswerten, Leserbrief im British Medical Journal sogar, ihm wäre aus der Big Pharma kein einziger Fall bekannt, wo es abschließend bei einer Ablehnung geblieben wäre.1 Im Kontrast dazu hat die FDA 2018 einem Rekordhoch von 599 neuen Therapien die Zulassung erteilt, aber seit Oktober 2017 musste sie 234 zugelassene Substanzen zurückrufen.10 Und auch nach dieser Zahl bleiben leider noch immer viele weitere Medikamente auf dem Markt, deren Nutzen und Risiken nicht adäquat belegt sind, wie wir im Beitrag Beschleunigte Arzneimittelzulassungen bleiben zu oft trotz fehlender oder sogar negativer Post-Marketing Daten unverändert bestehen beleuchteten.

Referenzen:
1. Mahase, E. Weight loss pill praised as “holy grail” is withdrawn from US market over cancer link. BMJ 368, (2020).
2. FDA: Mehr Krebs durch Appetitzügler Lorcaserin? Medscape http://deutsch.medscape.com/artikelansicht/4908547.
3. Kmietowicz, Z. Acclaimed anti-obesity drug fails to impress scouts for clinically important research. BMJ 364, l464 (2019).
4. U.S. weight loss drug lorcaserin ‘safe’ but only modestly effective. nhs.uk https://www.nhs.uk/news/obesity/us-weight-loss-drug-lorcaserin-safe-only-modestly-effective/ (2018).
5. Bohula, E. A. et al. Cardiovascular Safety of Lorcaserin in Overweight or Obese Patients. New England Journal of Medicine 379, 1107–1117 (2018).
6. DER ARZNEIMITTELBRIEF: Appetitzügler und Herzklappenerkrankungen Dexfenfluramin Fenfluramin. https://www.der-arzneimittelbrief.de/Jahrgang1998/Ausgabe11Seite87b.htm.
7. Ärzteblatt, D. Ä. G., Redaktion Deutsches. Lorcaserin: Diätpille besteht Sicherheitstest, kann jedoch... Deutsches Ärzteblatt https://www.aerzteblatt.de/nachrichten/97441/Lorcaserin-Diaetpille-besteht-Sicherheitstest-ka
nn-jedoch-kardiovaskulaere-Erkrankungen-nicht-verhindern (2018).
8. Research, C. for D. E. and. FDA requests the withdrawal of the weight-loss drug Belviq, Belviq XR (lorcaserin) from the market. FDA (2020).
9. LaMattina, J. Can The Record Breaking Number Of FDA New Drug Approvals Continue? Forbes https://www.forbes.com/sites/johnlamattina/2019/01/09/can-the-record-breaking-number-of-fda-new-drug-approvals-continue/.
10. Research, C. for D. E. and. Drug Recalls. FDA http://www.fda.gov/drugs/drug-safety-and-availability/drug-recalls (2019).