Künstliche Befruchtung und ihre psychischen Auswirkungen

Welche Auswirkungen hat die Reproduktionsmedizin auf die Psyche? Und was bedeutet die Aufspaltung in genetische und soziale Elternschaft?

Interessenkonflikt zwischen Eltern und Kind aus künstlicher Befruchtung

Welche Auswirkungen hat die Reproduktionsmedizin auf die Psyche? Was bedeutet die Aufspaltung in genetische und soziale Elternschaft? In welche Konflikte geraten Kinder, die durch fremden Samen gezeugt wurden? Unter dem Motto „Generativität“ gehen die Teilnehmerinnen und Teilnehmer der 70. Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Psychoanalyse, Psychotherapie, Psychosomatik und Tiefenpsychologie (DGPT) e.V. unter anderem diesen Fragen nach. 

Künstliche Befruchtung durch Samenspende, Eizellspende, Embryoadaption oder Leihmutterschaft: Immer mehr Menschen nehmen die Reproduktionsmedizin in Anspruch – sei es, weil sie unfruchtbar sind, weil sie in gleichgeschlechtlicher Partnerschaft leben oder ein Kind alleine aufziehen möchten. Welche psychischen Folgen die modernen Fortpflanzungsmethoden für die Psyche haben können, wurde bisher von der Forschung noch wenig beachtet. "Bei der künstlichen Befruchtung entsteht ein Interessenkonflikt zwischen den Eltern und dem so gezeugten Kind", berichtet Ann Kathrin Scheerer, niedergelassene Psychoanalytikerin in Hamburg. "Während die Eltern die Art der Zeugung am liebsten verschweigen möchten, wollen die Kinder möglichst viel über ihre biologische Herkunft erfahren und haben ein Recht auf Aufklärung." 

Welche Folgen hat die Aufspaltung zwischen genetischer und sozialer Elternschaft für die Eltern und vor allem für das Kind? Welche Rolle spielt der unbekannte dritte Mann oder die unbekannte dritte Frau innerhalb der Familie? Darüber wird die Psychoanalytikerin auf der 70. Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Psychoanalyse, Psychotherapie, Psychosomatik und Tiefenpsychologie (DGPT) e.V. referieren, die am 27.09. in Würzburg beginnt.

Kinder wollen biologische Elternteile kennenlernen, aber "soziale" Elternteile nicht kränken

"Die Reproduktionsmedizin hat die Macht der Biologie lange unterschätzt", sagt Scheerer, die zusammen mit einer Kollegin das kürzlich erschienene Buch "Auf neuen Wegen zum Kind" herausgegeben hat. "Wir wissen aber aus den Erfahrungen mit Adoptionen, dass Kinder den starken Wunsch verspüren zu wissen: Von wem stamme ich ab?" Aus Gesprächen mit "Spenderkindern" weiß sie, dass die Kinder häufig spüren, dass es ein Geheimnis gibt. Automatisch machen sie sich auf die Suche nach Ähnlichkeiten mit ihren Eltern, die sie möglicherweise dann vermissen.

Haben sie herausgefunden, dass sie ein "Spenderkind" sind, kollidiert ihr Interesse, den biologischen Vater kennenzulernen, mit dem Wunsch, den sozialen Vater nicht zu kränken. Der unbekannte Dritte verwirrt möglicherweise ihr Selbstbild, die Identitätsfindung ist erschwert. "Diese Konflikte werden auch nicht mit dem Argument aufgelöst, dass sie doch – im Gegensatz zu vielen natürlich gezeugten Kindern – Wunschkinder seien", so Scheerer. "Vielmehr betrachten sie sich als Ersatzkind für das Kind, das die Eltern auf natürlichem Weg nicht zeugen konnten." Sie fordert, dass Paare sich mit all diesen Fragen mehr auseinandersetzen, bevor sie das Abenteuer einer künstlichen Befruchtung eingehen. "Schließlich sollten es die sozialen Eltern schaffen, den oder auch die Dritte mit ins Familienboot zu holen."