Apixaban oder Rivaroxaban bei älteren VHF<sup>♦</sup>-Patient:innen: Was sagen Real-World-Daten?
Risikogruppe ältere VHF<sup>♦</sup>-Patient:innen – wie können ischämische und hämorrhagische Ereignisse möglichst reduziert werden? Ray et al. analysierten Unterschiede zwischen Apixaban und Rivaroxaban im US-amerikanischen Versorgungsalltag. Was bedeuten diese Ergebnisse für Ihren Praxisalltag?
Patient:innen mit nicht-valvulärem Vorhofflimmern (VHF♦︎︎︎︎︎︎︎︎︎︎︎) haben ein erhöhtes Risiko für thromboembolische Ereignisse – insbesondere für Schlaganfälle.1 Die aktuelle Leitlinienempfehlung sieht Nicht-Vitamin-K-abhängige orale Antikoagulanzien (NOACs) als bevorzugte Therapieoption zur Schlaganfallprophylaxe bei VHF♦︎︎︎︎︎︎︎︎︎︎︎ vor.2 Gerade bei älteren Patient:innen ist die Auswahl des geeigneten NOACs besonders relevant, da mit zunehmendem Alter sowohl das Risiko für thromboembolische Ereignisse als auch für schwerwiegende Blutungskomplikationen deutlich ansteigt.2, 3
In diesem Kontext gewinnen Versorgungsdaten* aus dem klinischen Alltag zunehmend an Bedeutung. Sie ergänzen die klinischen randomisierten Studiendaten zu Apixaban und Rivaroxaban um praxisnahe Erkenntnisse und können damit die individuelle Therapieentscheidung in dieser vulnerablen Patient:innengruppe unterstützen.†
Eine unabhängige retrospektive Analyse US-amerikanischer Versorgungsdaten‡ durch Ray et al. untersuchte den Einsatz von Apixaban vs. Rivaroxaban bei VHF♦︎︎︎︎︎︎︎︎︎︎︎-Patient:innen ab 65 Jahren – und zeigte Unterschiede in Bezug auf Effektivität und Verträglichkeit.4,†
Wie wurden die Real World Evidence-Daten erhoben?4
In einer unabhängigen retrospektiven Datenanalyse‡ verglichen Ray et al. Daten von 581.451 erwachsenen Patient:innen ≥ 65 Jahren mit Neueinstellung auf Apixaban oder Rivaroxaban miteinander.4, †
Für weiterführende Informationen zur Methodik und Datengrundlage lesen Sie bitte das Akkordeon „Studiendesign“!
- Es handelt sich um eine retrospektive Analyse von Daten aus der US-amerikanischen Medicare-Versicherungsdatenbank.
- Untersucht wurden die Daten von VHF♦︎︎︎︎︎︎︎-Patient:innen ≥ 65 Jahre mit Neueinstellung auf Apixaban bzw. Rivaroxaban.
- Der Zeitraum umfasste den 1. Januar 2013 bis zum 30. November 2018; Publikation im Dezember 2021 im Journal of the American Medical Association (JAMA).
- Eingeschlossen wurden 581.451 VHF♦︎︎︎︎︎︎︎-Patient:innen (Rivaroxaban: 227.572; Apixaban: 353.879), Standard- oder reduzierte Dosis§, Altersdurchschnitt: 77,0 Jahre.
- Die statistische Auswertung erfolgte mittels Propensity-Score-Analyse mit Inverse probability of treatment weighting-Schätzung.5 Dadurch erfolgten alle Endpunktanalysen in einer gewichteten Population.
- Primärer Endpunkt: kombinierter Endpunkt aus schwerwiegenden ischämischen oder hämorrhagischen Ereignissen**
- Sekundäre Endpunkte: nicht-tödliche extrakranielle Blutungen, gastrointestinale (GI)-Blutungen, andere oder unspezifizierte Blutungen, Gesamtmortalität, tödliche ischämische oder hämorraghische Ereignisse und andere Todesursachen während Follow-Up
Zentrale Ergebnisse
Bei VHF♦︎︎︎︎︎︎︎-Patient:innen ≥ 65 Jahre war die Behandlung mit Apixaban, in Standard- oder reduzierter Dosierung§, gegenüber Rivaroxaban assoziiert mit einem geringeren Risiko für:†
-
schwerwiegende ischämische oder hämorrhagische Ereignisse** (kombinierter primärer Endpunkt; Hazard Ratio [HR] = 1,18; 95%-KI: 1,12–1,24),
-
GI-Blutungen (sekundärer Endpunkt; HR = 2,09; 95 %-KI: 2,01–2,18).4

Abb.1:Schwerwiegende ischämische oder hämorrhagische Ereignisse** und GI-Blutungen unter Apixaban vs. Rivaroxaban, modifiziert nach Ray et al.4, ‡ Das relative Risiko für schwerwiegende ischämische oder hämorrhagische Ereignisse** war 18 % höher für Rivaroxaban. Das relative Risiko für GI-Blutungen war 109 % höher für Rivaroxaban.†
Apixaban in der Zulassungsstudie mit überlegenem Sicherheitsprofil vs. Warfarin6
Die Daten aus dem Versorgungsalltag ergänzen die Daten aus der doppelblinden, randomisierten Zulassungsstudie ARISTOTLE.6 Apixaban zeigte bei VHF♦︎︎︎︎︎︎︎-Patient:innen im Vergleich mit dem VKA Warfarin
- eine signifikant überlegene Wirksamkeit (- 21 % niedrigeres relatives Risiko für Schlaganfälle/Systemische Embolien [SE])
- bei signifikant weniger schweren Blutungen (- 31 %)
- sowie vergleichbar vielen schweren GI-Blutungen.6
Diese Ergebnisse waren unabhängig vom Alter der Patient:innen konsistent.7
Auch Rivaroxaban erreichten in den Zulassungsstudien Rocket-AF8 zur Schlaganfallprophylaxe bei VHF♦︎︎︎︎︎︎︎-Patient:innen den primären Endpunkt im Vergleich zu Warfarin (näheres entnehmen Sie bitte diesem Akkordeon).††
Apixaban
In der ARISTOTLE-Studie6 (18.201 Proband:innen) traten unter Apixaban im Vergleich zu Warfarin
-
weniger Schlaganfälle/SE (primärer Endpunkt; HR = 0,79; 95 %-KI: 0,66–0,95; p = 0,01 für Überlegenheit)6,
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weniger schwere Blutungen (HR = 0,69; 95 %-KI: 0,60–0,80; p = 0,001)6 und
-
vergleichbare Raten für schwere GI-Blutungen (HR = 0,89; 95 %-KI: 0,70–1,15; p = 0,37) auf.6
Rivaroxaban
In der Studie ROCKET AF8, 9 (14.264 Proband:innen) traten unter Rivaroxaban im Vergleich zu Warfarin
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vergleichbar viele Schlaganfälle/SE (Intention-to-treat-Population; = HR 0,88; 95 %-KI: 0,75–1,03; p < 0,001 für Nichtunterlegenheit)8
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vergleichbare Raten für schwere Blutungen (HR = 1,04; 95 %-KI: 0,90–1,20; p = 0,58)8 und
-
signifikant mehr GI-Blutungen (HR = 1,42; 95 %-KI: 1,22–1,66; p ˂ 0,0001)9 auf.
Fazit
Apixaban war gegenüber Rivaroxaban in der Real-World-Analyse bei älteren VHF♦︎︎︎︎︎︎︎-Patient:innen ab 65 Jahren mit einem geringeren Risiko für schwerwiegende ischämische und hämorrhagische Ereignisse sowie für GI-Blutungen assoziiert.4, † Diese Versorgungsdaten ergänzen die Ergebnisse der NOAC-Zulassungsstudien, wonach bei Apixaban signifikant weniger schwere Blutungen und vergleichbar viele schwere GI-Blutungen versus Warfarin auftraten. Diese Ergebnisse waren unabhängig vom Alter der Patient:innen konsistent.6, 7
* Limitationen aus dem Versorgungsalltag: ●Beobachtungsstudien zeigen nur Assoziationen zwischen Variablen, keine Kausalität. ● Die Definitionen der Endpunkte unterscheiden sich teilweise von denen der randomisierten kontrollierten Studien (RCTs) und sind mittels ICD-10-Codes erhoben. ● Wie bei jeder Versicherungsdatenbank besteht die Möglichkeit für Kodierungsfehler und fehlende Daten. ● Eine Adjustierung ist nur für die bekannten demografischen und klinischen Baseline-Charakteristika möglich; für potenzielle nicht beobachtbare Confounder kann nicht adjustiert werden. ● Die Ergebnisse treffen unter Umständen nur auf die in der jeweiligen Datenbank erfasste Population zu. ● Bestimmte spezifische Patient:innenmerkmale wie z. B. Laborparameter (INR, GFR …) sind nicht verfügbar. ● OTC-Medikationen wie ASS oder NSAR können nicht erfasst werden. ● Der Vergleich der NOACs ermöglicht nur die Generierung von Hypothesen. ● Diese Ergebnisse müssen von randomisierten, kontrollierten Interventionsstudien bestätigt werden.
† Es existieren keine prospektiven NOAC-Vergleichsstudien, daher können keine direkten Vergleiche zwischen den Präparaten gezogen werden. Der Vergleich der NOACs über Daten aus dem Versorgungsalltag ermöglicht nur die Generierung von Hypothesen.
‡ Limitationen Ray et al.4: • Ein Studien-Bias durch unbekannte oder nicht untersuchte Faktoren kann nicht ausgeschlossen werden. • Die Definitionen der Endpunkte unterscheiden sich teilweise von denen der RCTs und sind mittels ICD-9 und/oder ICD-10 erhoben. • Wie in anderen Kohorten- und Langzeitstudien zu Gerinnungshemmern und Herz-Kreislauf-Erkrankungen brach ein erheblicher Anteil der Patient:innen die Behandlung ab. Trotzdem stimmten die Ergebnisse der Sensitivitätsanalyse unter Berücksichtigung der unterschiedlichen Eingangsparameter sowie einer begrenzten Nachbeobachtung auf ein Jahr nach Beginn der Gerinnungshemmung mit denen der Primär-Analyse konsistent überein. • Studiendaten erlauben keine Analyse nach pharmakologischen Auswirkungen der Plasmakonzentrationen oder der Bioverfügbarkeit. • Die eingeschlossenen Proband:innen sind Medicare-Leistungsempfänger:innen in den USA. Die Ergebnisse können nicht verallgemeinert werden.
§ Standard- oder reduzierte Dosis für Apixaban zur Prophylaxe von Schlaganfällen und systemischen Embolien bei erwachsenen Patient:innen mit VHF* 5 mg bzw. 2,5 mg 2 x täglich. Dosisreduktion bei mindestens 2 der folgenden Kriterien (Alter ≥ 80 Jahre, Körpergewicht ≤ 60 kg oder Serumkreatinin ≥ 1,5 mg/dl (133 µmol/l) oder CrCl 15-29 ml/min; Standard- oder reduzierte Dosis für Rivaroxaban 20 mg bzw. 15 mg 1 x täglich. Dosisreduktionskriterium: CrCl 30–50 ml/min.
** Ischämischer Schlaganfall, systemische Embolie, hämorrhagischer Schlaganfall, andere intrakranielle Blutungen oder tödliche extrakranielle Blutungen (Tod innerhalb von 30 Tagen nach Auftreten der Blutung)
†† Es existieren keine prospektiven NOAC-Vergleichsstudien, daher können keine direkten Vergleiche zwischen den Präparaten gezogen werden.
VHF♦︎︎︎︎︎︎︎︎︎︎︎︎: nicht-valvuläres Vorhofflimmern
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